Szene aus dem Film "The Quiet Girl"
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Szene aus dem Film "The Quiet Girl"

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Weshalb "The Quiet Girl" den Oscar verdient gehabt hätte

Ein schüchternes Mädchen, eine arme irische Familie: "The Quiet Girl" ist das leise Spielfilmdebüt des Regisseurs Colm Bairéad. Und der erste irisch-sprachige Film, der je für einen Oscar nominiert war. Jetzt kommt das Drama in die deutschen Kinos.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Schweigen sei Gold, heißt es in der sprichwörtlichen Wendung. Für die schmächtige neunjährige Cait ist es ein Überlebensprinzip. Das schüchterne Mädchen zieht sich in sich zurück. Cait lebt in einer armen irischen Familie Anfang der 1980er Jahre. Die Mutter kriegt gerade ihr fünftes Kind. Der Vater ist ein zynischer Nichtsnutz. Die drei älteren Schwestern sind zickig. In der Schule wird Cait gehänselt. Dann flieht sie in die Natur. Legt sich in eine Wiese, während alle um sie herum nach ihr suchen.

Die literarische Vorlage erschien im "New Yorker"

Dann wird Cait für die Sommerferien ein paar Wochen in die Obhut der Cousine der Mutter gegeben. Nahe einer kleinen Küstenstadt kommt die Neunjährige in ein abgelegenes Farmhaus, in dem sie sich zu Beginn als Fremdkörper empfindet. Eibhlín, die Cousine der Mutter, kümmert sich um sie. Steckt sie erstmal in die Badewanne. Kämmt ihr das Haar. Sean hingegen, ein maulfauler Bauer, erscheint anfangs recht mürrisch und meidet Cait. So ist das Mädchen vor allem mit Eibhlín unterwegs, in einem für Irland ungemein heißen Sommer etwa zur nahen Quelle, aus der das Wasser geholt wird.

Die literarische Vorlage zu "The Quiet Girl" erschien 2010 in der Printausgabe des "New Yorker" – die Kurzgeschichte "Foster" von Claire Keegan. Sie wurde als "Best of the Year" ausgezeichnet und kam kurz darauf als Buch heraus, das sofort in den Kanon der herausragenden irischen Geschichten nach der Jahrtausendwende aufgenommen wurde. Colm Bairéad, der Regisseur, las es, war berührt von dem leisen Familiendrama, am Ende kamen ihm die Tränen und er hatte die Idee, das Büchlein zu verfilmen.

Geradlinige Inszenierung ohne viel Psychologie

Einfach und geradlinig hat Colm Bairéad diese Geschichte aus der Sicht des Mädchens inszeniert, ohne groß zu psychologisieren oder zu dramatisieren. In einem entschleunigten Rhythmus begleitet er den Alltag von Cait: Wie sie lernt, Kartoffeln zu schälen, wie Sean, der Bauer, als Zeichen der Zuneigung beim Verlassen der Küche ihr einen Keks auf den Tisch legt, wie sie schließlich den Stall mit schrubben darf.

Nie wird viel gesprochen, der Film entspricht der Lebensart der irischen Landbevölkerung jener Zeit. Fast zu schön sind manche der Bilder – eine etwas rauere Ästhetik wäre naheliegender gewesen. Dem möchte der Regisseur gar nicht widersprechen – er selbst, in Dublin aufgewachsen und lebend, erklärt die Magie der Bilder damit, dass das Landleben für ihn immer noch eine fast exotische Schönheit besitze, und die entdecke man umso mehr, wenn man mit der Kamera auf das Land blicke.

Sehenswerter Film mit offenem Ende

Sensibel bis in kleinste Beobachtungen in Szene gesetzt tauchen wir ein in das Leben eines verunsicherten Kindes und auch eines traumatisierten Ehepaares, von drei Menschen, die auf wundersame Weise beginnen, sich gegenseitig zu öffnen und zu stützen. Das Ende bleibt offen – es mögen, wie bei der Lektüre des Buches, ein paar Tränen kommen. Um den stillen sehenswerten Film nachwirken zu lassen, seien ein paar Momente des Schweigens empfohlen.

"The Quiet Girl" von Regisseur Colm Bairéad läuft ab 16. November 2023 in den deutschen Kinos.

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