Kardinal Marx, Vorsitzender der bayerischen Bischöfe, beim Gemeindebesuch in Garching, wo ein strafrechtlich verurteilter Missbrauchstäter wirkte
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Kardinal Marx, Vorsitzender der bayerischen Bischöfe, beim Gemeindebesuch in Garching, wo ein strafrechtlich verurteilter Missbrauchstäter wirkte

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Verjährter Missbrauch: Bistümer nennen Pfarreien kaum Täternamen

Auf Druck von Betroffenen hat die katholische Kirche die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in ihren Reihen immer wieder nachjustiert. Im Umgang mit strafrechtlich verjährten Missbrauchsfällen tun sich die bayerischen Bischöfe aber immer noch schwer.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Eine Andacht für Missbrauchsbetroffene im oberbayerischen Eichenau bei Fürstenfeldbruck, vor dem Altar auf einem Stuhl sitzt sichtbar niedergeschmettert: Kardinal Reinhard Marx. Der Erzbischof von München und Freising hört sich an, was der Betroffene Richard Kick erzählt: Mehr als zehn Jahre lang habe Kick vom Erzbistum keine Hilfe und Unterstützung erfahren, nachdem er das Verbrechen und den Täter im Ordinariat angezeigt hatte. "Nicht einmal ein seelsorgerisches Gespräch erfolgte", sagt Kick.

Pfarrei, in der Missbrauch geschah, wurde lange nicht informiert

Richard Kick wurde als Ministrant im Kindesalter Ende der 1960er-Jahre vom damaligen Kaplan schwer sexuell missbraucht. Der Täter starb im Jahr 2019. Inzwischen ist Kick Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising. Seit 2010 kennt die Erzdiözese seinen Fall. Die Pfarrei Eichenau, in der alles passierte, wurde lange nicht informiert.

"Vor zwei Jahren kam unser damaliger Pastoralreferent in den Pfarrgemeinderat und hat gesagt, er hat da was in der Zeitung gelesen", erzählt Hannelore Münster, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. In der Zeitung stand damals die Geschichte von Richard Kick, der nach Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens an die Presse gegangen war. "Aber es war eben diese Ungewissheit, weil man nicht wusste: Vielleicht erzählt der Herr Kick etwas, was gar nicht stimmt."

Erzbistum verweist auf Datenschutz

Zweifel, die das Erzbistum München und Freising erst vor wenigen Wochen endgültig ausräumte, indem es den Missbrauch und den Namen des Täters publik machte. Und Eichenau ist kein Einzelfall: Ähnlich war der Ablauf Mitte des Jahres auch in den oberbayerischen Pfarreien Poing und Maitenbeth. Jedes Mal wurden zuerst Betroffene aktiv und veranlassten das Erzbistum dazu, die Pfarreien zu informieren und dazu aufzurufen, mögliche weitere Vorfälle aus der Vergangenheit zu melden. "Wir vermuten und hören auch Zahlen, dass es etwas über 50 Tätergemeinden geben soll hier in unserer Erzdiözese. Und der Großteil weiß davon nichts. Das Erzbistum weiß es, aber die Gemeinden wissen nichts", so Richard Kick.

Das zurückhaltende Vorgehen erklärt das Erzbistum München und Freising auf BR-Anfrage mit dem Schutz der Betroffenen, die oft anonym bleiben wollen. Aber auch rechtliche Normen wie der Datenschutz spielten eine Rolle. Die Nennung von Täternamen müsse man "vorbereiten und begleiten", sagte der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx zum Abschluss der Herbstvollversammlung der bayerischen Bischöfe vor Journalisten: "Wir müssen Teams vor Ort haben, die mit Leuten reden können – das können sie nicht mit 50 Orten gleichzeitig."

Kardinal Marx: "Nicht, weil wir nicht Transparenz wollen"

Dass die proaktive Nennung von Namen mutmaßlicher Täter, die inzwischen verstorben oder deren Taten strafrechtlich verjährt sind, nicht erfolge, habe nichts damit zu tun, dass "wir nicht Transparenz wollen, sondern weil wir Rechtssicherheit wollen". Für sein Erzbistum gehe er den Weg, "Orte zu identifizieren und dann Schritt für Schritt auch zu publizieren, einzuladen, mit dem Pfarrgemeinderat zu sprechen". Das geschehe auf Basis von Erkenntnissen aus dem Münchner Missbrauchsgutachten und Hinweisen von Betroffenen. Wie viele Gemeinden noch aufgeklärt werden müssten – dazu könne das Erzbistum keine Angaben machen, so Marx.

Ähnlich vorsichtig ist das Vorgehen in den anderen bayerischen Diözesen, wie eine Anfrage des BR ergab. Einzelne Bistümer verweisen auf noch ausstehende Missbrauchsgutachten. Die sollen rechtliche Fragen in puncto Namensnennung erst noch klären. Das Bistum Passau und das Erzbistum Bamberg entscheiden von Fall zu Fall.

Zahlen darüber, wie viele Pfarreien noch nicht informiert wurden, obwohl den Bistümern Hinweise auf frühere Missbrauchsfälle dort bereits vorliegen, wollte keines der bayerischen Bistümer nennen. Als erstes deutsches Bistum hatte die Diözese Aachen Ende Oktober eine Liste mit den Namen bereits verstorbener Missbrauchstäter publik gemacht. Was folgte, war auch eine Reihe von Klagen.

"Recht des Täters über den Tod hinaus"

Die Bistümer stünden vor einem Dilemma, sagt Pfarrer Kilian Semel, der die Beratungsstelle für Betroffene im Erzbistum München und Freising leitet: "Es gibt ja jetzt in Aachen Angehörige eines Weihbischofs, der als Täter benannt wurde. Die klagen nun gegen den Bischof", sagt er dem BR. "Und die juristischen Antworten, die da jetzt gegeben wurden, sind sehr klar, dass man da sehr zurückhaltend sein muss, auch was das Recht des Täters angeht, auch über den Tod hinaus."

Betroffenensprecher Richard Kick hofft auf einen offenen Austausch zwischen Bischöfen und den Betroffenenbeiräten ihrer Diözesen. Denn transparente Regelungen seien wichtig, zur weiteren Aufarbeitung und um Missbrauch künftig zu verhindern.

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