Demo gegen Rechtsextremismus in München
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Demo gegen Rechtsextremismus in München

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"Wiedereroberung der Straße": 910.000 bei Demos am Wochenende

Bundesweit haben am Wochenende laut Polizei 910.000 Menschen gegen Rechtsextremismus protestiert. Der Politologe Leggewie spricht von "Wiedereroberung der Straße", Soziologe Hurrelmann von "Befreiungsschlag". Beide sehen die Politik in der Pflicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Zu den Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus sind am Wochenende nach Schätzungen der Polizei bundesweit mehr als 910.000 Menschen geströmt. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, sagte in Berlin, am Samstag hätten sich in mehreren deutschen Städten rund 360.000 Menschen beteiligt, am Sonntag etwa 550.000.

Er verwies darauf, dass die Veranstalter selbst die Teilnehmerzahl teilweise deutlich höher einschätzen. In München beispielsweise sprachen die Organisatoren von 200.000 bis 250.000 Demonstranten, während die Polizei ihre Schätzung von 100.000 noch einmal bekräftigte.

Soziologe: "Wie ein Befreiungsschlag"

Politikwissenschaftler Claus Leggewie wertet die Demonstrationen im Bayern-2-Kulturwelt-Interview als eine "Wiedereroberung der Straße". Wenn man sich daran erinnere, was bei den Pegida-Protesten in den vergangenen Jahren passiert sei, dann sei jetzt deutlich gezeigt worden, "wer das Volk ist, wer die berühmte schweigende Mehrheit ist, die sich jetzt mobilisiert hat und welche Minderheit die AfD ist". Es sei wichtig, dies auf der Straße zu dokumentieren. "Selbstvergewisserung der Demokratie ist immer gut."

Der Soziologe Klaus Hurrelmann sagte der "Augsburger Allgemeinen", auf ihn wirkten die Proteste gegen Rechtsextremismus "wie ein Befreiungsschlag von Gruppen der Bevölkerung, die wegen Corona und der vielen anderen Herausforderungen sehr lange mit sich selbst beschäftigt waren und fast übersehen hätten, was alles auf dem Spiel steht".

Appell an die Politik: Ampel und Union

Entscheidend ist laut Leggewie nun, welche Konsequenzen die Politik aus den Protesten ziehe. So müssten die Streitereien aufhören, "die die AfD stark gemacht haben". Zudem gelte es, Erfolge der Politik deutlicher herauszustellen und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. "Alle reden über Migration. Ich sage nicht, dass das kein Thema ist, aber es gibt sehr viel wichtigere Themen für unsere Gesellschaft. Ich erinnere nur an den Klimawandel, ich erinnere an die wachsende soziale Ungleichheit." Auch das seien die Themen, mit denen sich die Regierung jetzt beschäftigen müsse.

Doch nicht nur bei der Ampel, sondern auch bei Union und Freien Wählern sieht der Politologe Handlungsbedarf. Denn die Redensarten mancher Unionspolitiker, unter ihnen Markus Söder und Friedrich Merz, sowie von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger gingen "in die AfD-Richtung", sagt Leggewie. Auch das habe zur Stärke der AfD beigetragen. "Ich hoffe, dass das jetzt verstanden wird, dass man anders redet über Probleme wie Migration, dass man anders redet als diese Partei."

Hurrelmann sieht die Bundesregierung in der Pflicht, "jetzt offen und direkt auf die konstruktiven Kräfte in allen Gruppen der Gesellschaft aktiv einzugehen und sie aufzufordern, sich an der Lösung der anstehenden Probleme zu beteiligen".

Was bringen die Demos überhaupt?

Nach Einschätzung von Leggewie könnte ein nachhaltiger Kampf gegen die AfD, auch in den sozialen Netzwerken, einen Effekt auf Nichtwähler und auf "die Zögerlichen" haben. "Hier muss es jetzt weitergehen, und ich glaube auch, dass Potenzial in unserer Gesellschaft da ist", sagte der Politologe.

Der Soziologe Sebastian Koos von der Uni Konstanz betont bei Bayern 3, die Teilnahme an einer solchen Demonstration sei auch ein Signal an die Mitbürger, "dass wir keinen Angriff auf die Demokratie tolerieren wollen". Die AfD werde auch von Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte gewählt. "Um so wichtiger ist, dass die restliche gesellschaftliche Mitte aufsteht und zeigt: Wir sind durch diese Partei nicht vertreten."

Zwar sei bei den Demonstrationen oft verkürzend von einem Protest "gegen rechts" die Rede, gemeint seien aber die Rechtsradikalen, erläutert Leggewie. Dieses Bündnis gegen die Rechtsextremen müsse sehr viel breiter sein als bei einer antifaschistischen Veranstaltung. "Die CDU und CSU gehören dazu", betont der Politologe. "Die Brandmauer muss wirklich stehen." Aktuell nähmen an den Demonstrationen neben jenen, die schon immer gegen Rechtsextremismus gekämpft hätten, auch viele teil, "die jetzt aufgewacht sind".

Debatte über Münchner Veranstalter

Zur Münchner Demonstration rief zwar ein breites Bündnis von rund 200 Verbänden und Organisationen auf, über einzelne Veranstalter aber gab es eine kontroverse Debatte. So hatte die Versammlungsleiterin der Kundgebung, die Klimaaktivistin Lisa Pöttinger, vorab auf X deutlich gemacht, dass sie dort keine CSU-Politiker wünsche. "Als Versammlungsleiterin kann ich sagen, dass ich gar keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur habe!"

Der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU), reagierte verärgert auf diese "unqualifizierte, im Kern undemokratische Pöbelei" und verzichtete deswegen auf eine Teilnahme. Vize-Ministerpräsident Aiwanger kritisierte auf X grundsätzlich, Demos gegen rechts seien "vielfach von Linksextremisten unterwandert". Der Freie-Wähler-Chef nahm stattdessen am Freitag an einer Demo von Lkw-Fahrern in Berlin, am Samstag an einer Anti-Ampel-Kundgebung in Ellwangen (Baden-Württemberg) sowie am Sonntag auf einer Bauerndemo in Burgberg teil. Dennoch waren unter den Demonstranten in München neben Politikern von Grünen und SPD auch prominente Vertreter von CSU und Freien Wählern.

Organisatoren zeigen Verständnis für Kritik

Nach der Demonstration gibt es Kritik daran, dass auf der Bühne Vertreter vom Antifa Stammtisch München und der Antifa NT sprechen durften, die vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft und beobachtet werden. Mit-Organisatorin Micky Wenngatz, SPD-Stadträtin und Vorsitzende des Vereins "München ist bunt", zeigt auf BR24-Anfrage Verständnis für die Kritik. Sie habe das Stirnrunzeln von Teilnehmern wahrgenommen. Was vor allem zähle, sei aber: Es seien mehr als 200.000 Menschen gekommen und hätten deutlich gemacht, dass sie für die Demokratie einstehen. "Die gesamte Stadtgesellschaft war auf den Beinen."

Die Mehrheit der Veranstalter habe sich dafür eingesetzt, dass auf der Bühne Menschen zu Wort kommen, die "von den Anfeindungen der AfD als allererstes betroffen wären", schildert Wenngatz. Es sei aber geplant, dass sich die Organisatoren zusammensetzen und überlegen, "was man hätte anders machen können".

Luc Ouali von Fridays for Future betont im BR-Interview, es sei ein sehr ausgewogenes Programm geplant gewesen, "mit verschiedenen Reden aus verschiedenen Perspektiven": Statt Politikern hätten zum Beispiel behinderte Menschen, von Rassismus und von Antisemitismus betroffene Menschen sprechen sollen. Da die Veranstaltung wegen des großen Andrangs aus Sicherheitsgründen abgebrochen worden sein, seien leider nicht alle Rednerinnen und Redner zu Wort gekommen. "Wir sind auf jeden Fall selbstkritisch im Umgang mit unserem Programm", versichert Ouali. Beim nächsten Mal werde man versuchen, "mehr Menschen zu repräsentieren".

Mit Informationen von dpa, epd.

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