Nazi-Aufmarsch bei einer Demonstration (Symbolbild)
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Verfassungsschützer: Extremisten wollen Corona-Krise ausnutzen

Verfassungsschützer: Extremisten wollen Corona-Krise ausnutzen

Extremisten im Corona-Modus: Eine Gefahr für die Gesellschaft? Sie nutzen die Pandemie zur Verbreitung von Verschwörungstheorien. Der Psychologe Ahmad Mansour fordert: Die Medienkompetenz stärken – schon bei Kindern und Jugendlichen.

"Die Corona-Pandemie, ist nur ein Vorwand", sagt eine Frau im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Die Frau, die in einer Stadt in Deutschland lebt, war mehrere Monate in Syrien bei der Terrormiliz IS. Von der Ideologie des IS hat sie sich abgewandt. Doch sie ist weiterhin empfänglich für extreme Ansichten. Die Ex-Dschihadistin sucht nun via sozialer Netzwerke Kontakt in Kreise von Rechtsextremen und der sogenannten Reichsbürgerbewegung.

Psychologe: In Krisenzeiten sind Verschwörungstheorien beliebt

Die Frau ist davon überzeugt, dass die Corona-Krise nicht existiert, sondern dazu dient, Deutschland von den Flüchtlingen zu befreien. Seit Wochen schickt sie den Reportern des Bayerischen Rundfunks Audionachrichten und Facebook-Screenshots von Personen, die derartige Verschwörungstheorien verbreiten.

Es wird gehetzt gegen Minderheiten und die Demokratie - mit Fotos, Karikaturen, Videos und irreführenden Texten. Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten versuchen gerade jetzt Anhänger zu rekrutieren. "Wir beobachten dass es Versuche gibt, die Pandemie propagandistisch auszunutzen, insbesondere mit Hilfe der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformation", bestätigt der Präsident des Bundesamts für Verfassungschutz, Thomas Haldenwang, dem Bayerischen Rundfunk.

Das sei kein Zufall in der aktuellen Lage, meint auch der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour. Seit Jahren betreut er Extremisten und organisiert Projekte an Schulen und in Gefängnissen, um zu verhindern, dass sich junge Menschen radikalisieren. "In Krisenzeiten sind Verschwörungstheorien sehr beliebt, weil sie zu den eigentlichen Geschehnissen eine Alternativ-Erklärung liefern. Verschwörungstheorien dienen immer dazu, um komplexe Angelegenheiten einfacher darzustellen", sagt Mansour. "Viele Menschen sind überfordert und suchen nach Feindbildern, nach Erklärungen und landen leider bei Verschwörungstheorien, die die Welt in schwarz und weiß darstellen."

Rechtsextremisten: Corona eine Biowaffe

"Im neonazistischen Bereich ist die überwiegende Mehrheit der Meinung, hinter der Krise stecke der Jude", heißt es vom bayerischen Verfassungsschutz. Es werde verbreitet, Juden profitierten durch die von der Pandemie ausgelösten Finanzkrise als Geldverleiher.

Zudem: Das Bundesamt für Verfassungsschutz berichtet, dass die rechtsextreme Szene davon ausgeht, dass das Coronavirus als biologische Waffe erschaffen wurde. Diese Biowaffe, so stellen es rechtsextreme Verschwörungstheorien dar, würde insbesondere ältere Personen mit weißer Hautfarbe töten. Als Entwickler dieser Biowaffen werden etwa Bill Gates oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) genannt. Es gäbe einen "geheimen tiefen Staat", der das Bevölkerungswachstum kontrollieren, einen Polizeistaat errichten und Flüchtlinge einschleusen wolle. Das Virus diene der Auslöschung der indigenen Bevölkerung oder der Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten.

Linksextremistische Propaganda

Aber auch andere extremistische Gruppen verbreiten Corona-Propaganda. Linksextremisten rufen laut Verfassungsschützern dazu auf, sich bereits jetzt zu organisieren und Pläne zu schmieden. Der etwaige Zusammenbruch solle dann genutzt werden, um durch Plünderungen und Sabotagen den Wiederaufbau der öffentlichen Ordnung zu verhindern und das System zu stürzen.

Die Deutsche Kommunistische Partei etwa fordert nach Erkenntnissen der bayerischen Verfassungsschützer weitreichende staatliche Kontrollen.

Salafisten-Prediger: Corona geht erst, wenn Allah es erlaubt

Auch Salafisten reagieren auf die Pandemie. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird die Verbreitung des Virus als Werk Gottes gesehen, mit dem die Menschen gestraft werden sollten. "Corona geht erst, wenn Allah es erlaubt", verbreitete kürzlich der deutsche Salafisten-Prediger Abdellatif Rouali in einem Video.

Corona soll als Waffe genutzt werden, zu diesem Ergebnis kommt auch der US-Israelische Think-Tank "Middle East Media Institute" (MEMRI). Zwei Monate lang hat das Institut soziale Medien und andere Veröffentlichungen in den Sprachen Arabisch, Farsi, Urdu, Türkisch und Russisch ausgewertet. Das vorläufige Ergebnis zeuge von Verschwörungstheorien, so Institutsleiter Yigal Carmon in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk: "Für islamistische Gruppierungen, wie die Muslimbruderschaft, den 'Islamischen Staat' oder Al-Kaida, ist das Coronavirus der Soldat Allahs."

In seiner Freitagspredigt vom 20. März 2020, so heißt es in der MEMRI-Untersuchung, hatte etwa Imam Jamil-Mutawa gesagt, Muslime würden am wenigsten mit dem Virus infiziert. Der Imam lobt die hohen Opferzahlen in Italien: "Allah sei gelobt!. Die Zahlen in Italien: 450 Opfer gestern. Das ist alle acht Minuten ein Opfer….Gelobt sei Allah."

Judenhetze und Terrorgefahr

Der türkische Politiker Fatih Erbakan, Sohn des inzwischen verstorbenen Führers der "Milli-Görüs-Bewegung", dem ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Nacmettin Erbakan, sagte am 06. März, laut MEMRI Auswertung: "Obwohl wir noch keinen Beweis haben, dieses Virus dient zionistischen Zielen die Zahl der Menschen zu reduzieren. ... Zionismus ist eine 5.000 Jahre altes Bakterium, dass den Menschen Leid gebracht hat."

Die Terrororganisation Al-Kaida rät Nicht-Muslimen übrigens sich in der Quarantäne mit dem Islam zu beschäftigen. Der IS fordert seine Anhänger dagegen dazu auf, keine Gnade zu zeigen und die Krise für Anschläge zu nutzen.

Die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group (ICG), die Analysen und Lösungsvorschläge zu internationalen Konflikten liefert, warnt, die Pandemie stelle die weltweite Solidarität in Frage, die entscheidend im Kampf gegen Extremisten sei. Mit großer Sicherheit werde Covid-19 auf regionaler und internationaler Ebene die Zusammenarbeit gegen den IS behindern: "Das ermöglicht den Dschihadisten, besser spektakuläre Terroranschläge vorzubereiten."

"Verschwörungstheorien verbreiten sich schneller als der Erreger"

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, macht diese Hetze betroffen. "Krisenzeiten waren schon immer Hochzeiten des Judenhasses." Die Ausbreitung eines Virus, der nach Konfession und Herkunft natürlich nicht unterscheide, erklärten rechtsextreme und islamistische Judenhasser sich und anderen mit abstrusen Ideen, die nur eins gemeinsam hätten: "Sie sehen 'die Juden' oder den Staat Israel hinter der aktuellen Pandemie", sagt sie.

Nach Knoblochs Worten verbreiten sich "absurde Verschwörungstheorien im gegenwärtigen Klima der Unsicherheit fast schneller als der Erreger selbst: Gegen sie hilft keine Ausgangssperre." Das Virus des Antisemitismus müsse politisch und gesellschaftlich eingedämmt werden, "sonst werden wir auch nach Corona immer wieder neue Ausbrüche erleben."

Psychologe: Mangelnde Medienkompetenz ein großes Problem

Die Sicherheitsbehörden müssen also ganz genau hinschauen, dass die Situation nicht eskaliert. "Wir monitoren mit Nachdruck, inwieweit die von uns beobachteten Phänomenbereiche von der Lage profitieren können und ob sich möglich Gefährdungen ergeben", sagt Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang.

Der Psychologe Ahmad Mansour warnt davor, sich allein auf die Auswertung von Online-Medien zu fokussieren. Die Verschwörungstheorien seien in der Welt, verbreitet von unterschiedlichen extremistischen Gruppen. "Das heißt die Informationen laufen auch offline. Also Leute, die sich am Telefon treffen oder zu Hause darüber reden, die sind auch nicht frei von Verschwörungstheorien."

Mansour schlägt vor, auf Verschwörungstheorien einzugehen und diese öffentlich zu entkräften. Auch so könne die Pandemie bekämpft werden. Aus seiner Sicht muss dringend die Medienkompetenz gestärkt werden – schon bei Kindern und Jugendlichen. Dies sei bisher kaum passiert und räche sich jetzt möglicherweise in der Krise.