Palästinensisches Flüchtlingsmädchen vor einem Notzelt am Krankenhaus Shuhada Al-Aqsa in Zentral-Gaza.
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Palästinensisches Flüchtlingsmädchen vor einem Notzelt am Krankenhaus Shuhada Al-Aqsa in Zentral-Gaza.

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Krieg im Nahen Osten: Die Mächte im Hintergrund

Der Krieg in Nahost ist nicht nur eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas. Etliche Mächte haben offen oder verdeckt ihre Hände im Spiel. Ägypten, Iran, Katar: Wer mischt mit, wer schürt den Konflikt an, wer sucht den Frieden?

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Die einen sind derzeit Vermittler über Geiseln und Waffenruhe, die anderen unterstützen weiter die radikalislamische Hamas – im Krieg in Israel und Gaza haben viele Mächte ihre Hände im Spiel, darunter Katar, Ägypten und der Iran. So unterschiedlich wie ihre aktive oder verdeckte Rollen, sind auch ihre Interessen und Ziele.

Schon immer mischten Mächte von außen im Nahostkonflikt mit – einem Konflikt, der mindestens schon 76 Jahre dauert. Bezieht man die Vorgeschichte mit ein, sind es rund 2.000 Jahre. Den "Urkonflikt der Weltgeschichte" nennt Völkerrechtsexperte Christoph Safferling die Auseinandersetzung – "ein Konflikt, bei dem religiöse, geopolitische und geschichtliche Faktoren zusammenkommen". Safferling, Professor an der Uni Erlangen, ist auch Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien.

Der Nahost-Konflikt – ein "kalter Krieg" im On/Off-Modus

Ein Rückblick in Kürzestform: 1947 beschlossen die Vereinten Nationen, die seit 1923 unter britischem Mandat stehende Region Palästina in einen palästinensischen und einen israelischen Staat aufzuteilen, was die arabischen Anrainer nicht akzeptieren wollten. 1948 eröffneten Ägypten, Jordanien, der Libanon, Irak und Syrien ohne Kriegserklärung den bewaffneten Konflikt, was mit ihrer Niederlage endete. In Israel zählt der erste große militärische Sieg zum Gründungsmythos. Palästinenser sprechen vom "Tag der Katastrophe" ("Nakba").

Seither herrscht in der Wüste eine Art "kalter Krieg" im On/Off-Modus – unterbrochen von drei weiteren "heißen" Kriegen, unzähligen Gewaltausbrüchen und Terrorakten – aber auch Phasen der Entspannung, die die "Spirale von Gewalt und Gegengewalt" bremsten und die Hoffnung auf Frieden am Leben erhielten. Die übrige Welt sortierte sich währenddessen mehrfach neu.

Lager in Bewegung: Wer steht, an wessen Seite?

Mit Sorge wurde in Israel registriert, dass sich Deutschland wie Italien und Großbritannien bei der von Jordanien im Namen von 22 arabischen Ländern ausgearbeiteten UN-Resolution für eine humanitäre Waffenruhe der Stimme enthielt. Noch gravierender: Joe Biden – der im Dauerwahlkampf gefangene Präsident der historischen "Schutzmacht USA" – weigerte sich im Weltsicherheitsrat erstmals, einen von Israel schroff abgelehnten Aufruf zur Waffenruhe durch sein Veto zu verhindern.

Noch deutlich markanter sind allerdings die Verschiebungen auf der arabischen Seite. Hier nämlich sind keineswegs mehr alle Staaten natürliche Bundesgenossen der Palästinenser – dafür aber sind neue Akteure auf der Bildfläche erschienen.

Ägypten und Jordanien: Nachbarn im Zwiespalt

Die beiden mit Abstand längsten Grenzen teilt Israel seit seiner Gründung mit Ägypten im Westen und Jordanien im Osten. Beide sind längst nicht mehr Teil der "Anti-Israel-Koalition" von 1948. Ägypten schloss bereits 1979 als erstes arabisches Land einen detaillierten Friedensvertrag mit Israel. Auch der seit 2013 amtierende Regierungschef Abdel Fattah al-Sisi bemüht sich um Ausgleich, machte sich etwa gegenüber den Palästinensern für eine Anerkennung der USA als Verhandlungsführer stark. Vor den Massakern des 7. Oktober sollen ägyptische Sicherheitskreise Israel laut US-Angaben gewarnt haben.

Nicht außer Acht lassen sollte man allerdings auch, dass die (auch in Ägypten verbotene) radikale "Muslimbruderschaft" hier ihre Wurzeln und zahlreiche Anhänger hat – und als Keimglas der palästinensischen Hamas (hier unser FAQ dazu) gilt. "Wir beobachten, dass Ägypten sich bisher bei der Lieferung von Hilfsgütern und bei Grenzöffnungen sehr zurückhaltend verhält", so Völkerrechtsexperte Christoph Safferling – auch, weil viele fürchten, der Sinai könnte sich zum Rückzugsort für Terroristen entwickeln.

Ähnlich sieht es in Jordanien aus, dessen König Abdullah II. nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen Wert auf gute Beziehungen zum Westen legt. Nur ein Beispiel: 2022 eröffnete die Fachhochschule Schweinfurt in Amman einen Studiengang Wasserstofftechnik. Doch die Stimmung im Land ist angespannt, viele Jordanier haben palästinensische Wurzeln – weshalb Vermittlungsbemühungen nur diskret ablaufen und unter der Maßgabe, nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden.

Karte: Israel und seine Nachbarn

Libanon, Syrien, Jemen: Die Unruheherde

Libanon, Syrien und der Jemen sind drei (Ex-)Bürgerkriegsstaaten, in deren Chaos viel offene oder heimliche Unterstützung für die palästinensischen Aktionen gedeiht.

Libanon ist seit jeher Stützpunkt der Hisbollah. Deren Chef Hassan Nasrallah vermied bisher eine direkte Kriegserklärung an Israel, drohte jedoch, dass die Hisbollah bald stärker angreifen könne: Eine Eskalation hänge vom Verlauf des Krieges im Gazastreifen sowie von Israels Verhalten gegenüber dem Libanon ab.

Syriens von Russland und dem Iran gestützter Machthaber Assad – zuletzt ein Paria der Weltgemeinschaft – ist erst im Mai wieder in die arabische Liga aufgenommen worden und versucht, sich mit moralischen Vorhaltungen gegen Israel zu profilieren.

Und vom Jemen aus – lange kein Akteur im Nahostkonflikt – nahmen vom Iran unterstützte Huthi-Rebellen zuletzt US-Schiffe im Roten Meer unter Beschuss.

Katar: Der "ehrliche Makler"

Ein gänzlich neuer Player im alten Konflikt ist Katar. Auf der Karte ist das Öl-Emirat mit seinen 2,7 Millionen Einwohnern kaum mehr als eine Ausstülpung Saudi-Arabiens ins Meer – und gerade deshalb nach Ansicht von Nahost-Experten eine wichtige Drehscheibe geworden: Für den Emir geht es um internationale Sichtbarkeit, die Katar Schutz vor möglichen Aggressionen des großen Nachbarn Saudi-Arabien bieten soll. Die erreicht Katar als Energielieferant, Anteilseigner europäischer Konzerne, Großsponsor von Sportvereinen und Ausrichter von Events wie der Fußball-WM – aber auch als omnipräsenter Vermittler etwa im Geiseldrama, bei dem katarische und US-amerikanische Gesandte zuletzt auf Augenhöhe verhandelten. Tatsache ist allerdings auch, dass Katar viele Milliarden Dollar nach Palästina überwies.

Saudi-Arabien, das sich in den letzten Jahren immer mehr an Israel angenähert hatte, hat diesen Prozess inzwischen demonstrativ gestoppt; wohl auch um dem Iran, dem großen Rivalen um die Vorherrschaft im muslimischen Lager, nicht die Gelegenheit zu bieten, sich als letzte große Schutzmacht der Palästinenser in Szene zu setzen. Seit dem großen Nahost-Gipfel am 11. November hat der Ölstaat allerdings kaum mehr Initiative gezeigt.

Iran: Todfeind Israels und der USA

Der Iran agiert als nicht erklärte Kriegspartei. Der erklärte Todfeind Israels ("kleiner Satan") und der USA ("großer Satan") versucht, eine Achse des Widerstands um Jemen, Syrien und Libanon zu bilden, und liefert dazu nach Einschätzung westlicher Nachrichtendienste neben finanzieller Hilfe auch Rüstungsgüter und militärisches Know-how, und zwar sowohl an die Hamas als auch an die libanesische Hisbollah. Experten gehen davon aus, dass viele der zuletzt abgefeuerten Raketen unter iranischer Anleitung im Gaza-Streifen hergestellt wurden.

Dazu kommt die Finanzierung von Propaganda fürs Ausland wie dem (in Deutschland eigentlich verbotenen, aber im Internet empfangbaren) Hisbollah-Sender Al-Manar-TV.

Wer nach den Motiven fragt, landet wieder bei der von Safferling konstatierten Mischung von Faktoren. Vom ideologischen Hass auf den Westen abgesehen, geht es dem schiitischen Mullah-Regime auch um Punkte im Propagandaduell mit dem sunnitischen Rivalen Saudi-Arabien und um Ablenkung von Wirtschaftskrise und inneren Konflikten. Was die Lage noch komplizierter macht: Der Iran teilt sich das weltweit größte Gasfeld South Pars ausgerechnet mit Katar.

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Teheran, 18. November: Großdemonstration - diesmal nicht gegen die Regierung, sondern für Palästina

Last but not least: Die UNO

Die Vereinten Nationen und ihr Präsident António Guterres agieren inmitten dieser Gemengelage bisher mäßig souverän – und ziehen Kritik auf sich.

Vor allem beim Sicherheitsrat beobachtet Völkerrechtsexperte Christoph Safferling (trotz der jüngsten Stimmenthaltung der USA) statt des erwünschten "An-einem-Strang-Ziehens" im Sinne des Völkerrechts ein historisch eingeübtes Tauziehen – "die USA auf der einen Seite, China und Russland auf der anderen, Großbritannien und Frankreich irgendwo dazwischen". Die Konsequenz: Selbstblockade. "Die UNO bildet bis heute die Nachkriegsaktualität nach 1945 ab", so der Völkerrechtsexperte. Die Rolle als "Weltpolizei" sei aber nicht mehr zu vermitteln – und die Chance auf Reformen im kurzen Zeitfenster zwischen 1990 und 1998 verspielt worden.

Immerhin: Dass die Delegationen sich treffen und miteinander reden, hält Safferling weiter für bedeutsam. Und: "Die Generalvollversammlung hat nach wie vor eine öffentliche Wirkungsmacht" – wenn auch eher in Bezug auf die Ukraine als im Nahostkonflikt.

Im Audio: ARD-Korrespondent Tim Assmann zur aktuellen Lage im Gazastreifen

04.12.2023, Palästinensische Gebiete, Rafah: Palästinenser inspizieren nach einem israelischen Luftangriff ein zerstörtes Haus und suchen nach Überlebenden.
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Israel weitet die Bekämpfung der Hamas auch auf den Süden des Gazastreifens aus.

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