Haushaltswoche im Bundestag (Archivbild)
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Haushalt 2024: Solide Finanzen oder Zahlenkosmetik?

Die Ausgaben sollen sinken, die Schuldenbremse soll eingehalten werden. Bundesfinanzminister Lindner verspricht nach Rekordschulden durch Pandemie und Krieg finanzpolitische Normalität. Ein dehnbarer Begriff, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt.

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Erst musste die Ampel die Vorstellung der sonst üblichen Eckpunkte für den Bundeshaushalt des kommenden Jahres verschieben. Dann wurden sie im Frühjahr ganz gestrichen, weil sich die Koalitionspartner verhakt hatten. Als die Bundesregierung im Juli schließlich einen Entwurf für den Haushalt 2024 auf den Weg brachte, sprach Christian Lindner im Rückblick von "sehr intensiven Beratungen". Zugleich aber stellte der Finanzminister und FDP-Chef eine "Rückkehr zur haushaltspolitischen Normalität" in Aussicht. Ein Ziel, das Lindner auch an diesem Dienstag vor Augen haben wird – wenn er seinen Haushaltsentwurf in den Bundestag einbringt.

Corona-Krise brachte Rekordschulden

In den Jahren der Corona-Pandemie mit ihren schwerwiegenden Folgen für die Weltwirtschaft hatte der Bund seine geballte finanzielle Kraft eingesetzt, um den Schaden für Firmen und Beschäftigte in Grenzen zu halten. Eine Anstrengung, die zu einer Neuverschuldung auf Rekordniveau führte. So nahm der Bund im Jahr 2021 neue Schulden in Höhe von 215 Milliarden Euro auf.

Auch im vergangenen Jahr war es ein dreistelliger Milliardenbetrag – zu den Pandemie-Folgen kam nun noch eine kriegsbedingte Energiekrise. Dieses Jahr wird der Bund voraussichtlich knapp 46 Milliarden an neuen Krediten aufnehmen. Für 2024 plant Lindner mit rund 17 Milliarden. Das wäre – wie schon im laufenden Jahr – noch im Rahmen der Schuldenbremse des Grundgesetzes.

Kritik an Schattenhaushalten

Aus Sicht von Kritikern hält die Ampelregierung diese Verfassungsregel allerdings nur auf dem Papier ein. So bemängelte etwa Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg, Lindner spiele die "Show eines harten Sparkommissars". Die Opposition verweist in diesem Zusammenhang auf sogenannte Sondervermögen – große Geldtöpfe jenseits des eigentlichen Bundeshaushalts. Ein Beispiel ist das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr, ein anderes der Fonds, mit dessen Mitteln die Energiepreisbremsen finanziert werden.

Auch der Bundesrechnungshof sieht diese Nebenhaushalte kritisch. Die Behörde schlägt vor, besser von "Sonderschulden" als von "Sondervermögen" zu sprechen. Beziehe man diese Geldtöpfe ein, sei die tatsächliche Nettokreditaufnahme deutlich höher als im eigentlichen Haushalt ausgewiesen. Für dieses Jahr haben die Rechnungsprüfer rund 193 Milliarden Euro ermittelt – die Summe ist mehr als viermal so groß wie die, die sich im Zahlenwerk des Bundeshaushalts findet.

Ministerien mussten für Haushalt 2024 Sparvorgaben erfüllen

Für Lindner ist die Einhaltung der Schuldenbremse dennoch wichtig. Zum einen gehört sie zum Markenkern seiner FDP. Zum anderen setzt der Finanzminister darauf, dass die Regel eine disziplinierende Wirkung auf seine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett hat. Denen bescheinigte er bei der Vorstellung seines Haushaltsentwurfs einen gewissen "Einfallsreichtum", was Ausgabenwünsche betrifft. Vorangegangen waren zähe Verhandlungen darüber, welches Ressort wie viel Geld einzusparen hat. Nur das Verteidigungsministerium war von der Vorgabe ausgenommen.

Unterm Strich kam ein Betrag von dreieinhalb Milliarden zusammen. Das ist angesichts der geplanten Gesamtausgaben von fast 446 Milliarden keine so große Summe. Aber dort, wo der Rotstift angesetzt wird, hat das mitunter weitreichende Folgen.

Streit über geplante Kürzungen im Haushalt

Ein Beispiel: das Elterngeld. Diese Leistung zahlt der Staat, wenn Eltern nach der Geburt der Kinder eine Betreuungspause im Job einlegen oder ihre Arbeitszeit verringern. In Zukunft sollen Familien mit besonders hohen Einkommen kein Elterngeld mehr bekommen. Die Regierung will die entsprechende Grenze auf ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 150.000 Euro pro Haushalt senken. Familienministerin Lisa Paus von den Grünen geht davon aus, dass damit 60.000 Familien keinen Anspruch mehr hätten. Anderen Schätzungen zufolge könnte die Kürzung deutlich mehr Paare und Alleinerziehende betreffen. CSU-Generalsekretär Martin Huber nannte die Ampelpläne einen "Schlag ins Gesicht für viele junge Familien".

Der Streit über Kürzungen dürfte nur ein Vorgeschmack auf künftige Verteilungskämpfe sein. Denn den allgemeinen Zinsanstieg bekommen nicht nur Immobilienkäufer auf der Suche nach einem günstigen Kredit zu spüren. Auch für den Bund wird es teurer, neue Schulden zu machen. Und die in früheren Zeiten aufgebauten Rücklagen sind fast aufgebraucht. Hält der Bund an der Schuldenbremse fest, müssen zwangsläufig Ausgaben begrenzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass schon jetzt zwei Drittel des Bundeshaushalts für Soziales, Personal und Zinsen verwendet werden. Der Spielraum für neue, kostspielige Projekte wird also kleiner.

Haushaltspolitik: Künftige Konflikte absehbar

Vorsichtshalber machte Lindner im ARD-Sommerinterview am Wochenende deutlich, was künftig aus seiner Sicht gelten muss. Dauerhafte Mehrausgaben seien "gegenwärtig nicht finanzierbar, bräuchten also eine Gegenfinanzierung an anderer Stelle". Eine Warnung an SPD und Grüne: Wer zusätzliche Ausgabenwünsche hat, möge bitte sagen, woher das Geld kommen soll, so der Gedanke.

Sozialdemokraten und Grüne diskutieren darüber, ob in dieser Lage die Schuldenbremse aufgeweicht werden sollte. Auch die Idee öffentlicher Investitionsgesellschaften macht in Berlin die Runde – letztlich auch ein Mittel, die Regel aus dem Grundgesetz zu umgehen. Doch die FDP winkt ab. Und auch Steuererhöhungen kommen für die Liberalen nicht infrage. Für die zu erwartenden Diskussionen bedeutet das: Geräuschlos werden sie nicht vonstattengehen. Die von Kanzler Olaf Scholz in Aussicht gestellten Schalldämpfer bei der Konfliktbeilegung könnten schon bald benötigt werden.

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