Der Migrationsexperte Gerald Knaus im BR-Interview
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Flüchtlingsforscher Knaus wirbt für neuen Deal mit der Türkei

Der Migrationsexperte Gerald Knaus hält ein neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei für die wichtigste Frage der deutschen Migrationspolitik. Im Interview mit BR24 zeigt Knaus außerdem Verständnis für die Obergrenzen-Forderung von CSU-Chef Söder.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Laut dem Migrationsforscher Gerald Knaus braucht es im Umgang mit der zunehmenden Migration nach Deutschland schnell eine "neue Einigung mit der Türkei". Seit einigen Wochen beziehungsweise Monaten nehme die Zahl der Menschen, die aus der Türkei in Griechenland ankommen, stark zu, sagte Knaus im Interview mit BR24. Für Deutschland sei dies die wichtigste offene Grenze.

"Großteil" der Asylanträge in Deutschland über die Türkei

"Jetzt müsste Deutschland reagieren, mit Griechenland gemeinsam", sagte der Österreicher, der den Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative leitet. Die allermeisten Asylanträge in Deutschland stammten Knaus zufolge von Syrern, Afghanen, Türken, Irakern und Iranern, also von Menschen, die immer noch zu einem Großteil über die Türkei in die Europäische Union kommen. Die Menschen, die beispielsweise in Lampedusa ankommen, würden selten nach Deutschland gelangen.

Nun brauche es ein Angebot an die Türkei. "Etwas anbieten, was es attraktiv macht, dass man ab einem Stichtag, möglichst schon ab dem 1. Oktober, wieder Menschen von den griechischen Inseln auch in die Türkei zurückbringen kann, wo dann der UNHCR faire Verfahren machen könnte."

Knaus rät: Flüchtlingsdeal erneuern

Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei wurde 2016 ausgehandelt. Im Grundsatz besagt es, wer unrechtmäßig als Flüchtling oder Migrant nach Griechenland kommt, wird in die Türkei zurückgeschickt. Insgesamt wurde der Türkei die Zahlung von sechs Milliarden Euro Hilfsgeldern zugesagt. Außerdem sollten Flüchtlinge aus der Türkei auf die 28 EU-Staaten verteilt werden. Auch daran scheiterte das Abkommen.

In Deutschland sind von Januar bis August mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl gestellt worden. Das sind rund 77 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf seiner Internetseite mitteilt. Die meisten Asylanträge kamen demnach von Syrern, gefolgt von Afghanen und Türken.

Obergrenze von 200.000 als "Richtwert"

Die Empörung über die von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ins Spiel gebrachte Obergrenze für Flüchtlinge in Deutschland hält Knaus für "nicht sehr sinnvoll". Söder wisse, dass man Menschen nicht mit Verweis auf eine willkürliche Obergrenze abweisen könne. Die Zahl von 200.000 sei vielmehr als Richtwert zu verstehen. "Wenn ich sehe, dass im letzten Jahr in Deutschland ungefähr 125.000-mal Schutz vergeben wurde, und ich mir vorstelle, es würde gelingen, dass Deutschland 200.000 Menschen Schutz gibt, aber ansonsten Menschen nicht mehr irregulär ins Land kommen, dann wäre dieses Ziel sogar mehr Schutz und weniger irreguläre Migration."

Söder hatte mit seiner Aussage eine Debatte über die künftige Asylpolitik in Deutschland ausgelöst. Der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil warf Söder vor, Politik "auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten" zu machen. Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner betonte in Berlin: "Eine Obergrenze löst das Problem nicht." Das Problem müsse auf europäischer Ebene gelöst werden.

Menschen an Überfahrt "hindern oder sie entmutigen"

Mit Blick auf die Lage in Italien rät Migrationsforscher Knaus der Bundesregierung in Berlin, eine Koalition zu bilden mit anderen Staaten und zu überlegen, wie man Menschen "daran hindern oder sie entmutigen könne", mit Booten nach Lampedusa zu fahren. Zudem brauche es schnelle Verfahren in Lampedusa, und man müsse einen sicheren Drittstaat finden, wo der UNHCR Asylverfahren durchführen könne, um Menschen zurückzubringen.

Die italienische Regierung mit der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an der Spitze will nun schärfer gegen illegale Zuwanderung vorgehen. Wegen der extrem angespannten Lage auf Lampedusa hat das Kabinett beschlossen, die Höchstdauer der Abschiebehaft deutlich zu verlängern – von 135 Tagen auf 18 Monate. Die Bestätigung im Parlament gilt als Formsache. In Italien sind laut Zahlen des Innenministeriums seit Jahresbeginn rund 130.000 Migranten angekommen. Das sind bereits jetzt fast doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2022.

Im Video: Neuer Streit in der Flüchtlingspolitik

Neuer Streit in der Flüchtlingspolitik
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Neuer Streit in der Flüchtlingspolitik

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