Flüchtlingskinder gehen durch ein Zelt der Flüchtlingsunterkunft
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Arne Dedert

Reaktionen auf den Flüchtlingsgipfel

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Analyse: Sechs Monate Ruhe für eine Milliarde Euro?

Länder und Kommunen bekommen eine Milliarde Euro zusätzlich vom Bund, um Flüchtlinge unterzubringen und zu integrieren. Doch das wird den Streit über die Migrationspolitik nicht befrieden. Das sind fünf Gründe dafür - eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: Thema des Tages am .

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Ländern und Kommunen eine weitere Milliarde Euro für die Flüchtlingsversorgung zugesagt. Damit steigt die allgemeine Pauschale des Bundes in diesem Jahr auf 3,75 Milliarden Euro. Dazu kommen Sozialleistungen, Geld für die Integration, ein großer Teil der Unterkunftskosten und die Bekämpfung von Fluchtursachen. Im November wollen Bund und Länder dann beraten, wer künftig welche Kosten übernimmt. Bis dahin dürfte die Diskussion weiter gehen.

Das Geld

Die Kassen des Bundes sind leer. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat noch immer keinen Haushalt für das nächste Jahr aufstellen können. Die Bundesregierung hat schon angedeutet, dass sie für 2024 keinen großen Spielraum sieht. Denn höhere Steuern oder neue Schulden will Lindner unbedingt vermeiden. Länder und Kommunen machen dagegen weiter Überschüsse.

Die Länder

Die eine Milliarde Euro zusätzlich mag die Diskussion über die Flüchtlingsfinanzierung ein halbes Jahr beruhigen. Doch die Länder bleiben bei ihrer grundsätzlichen Forderung: Der Bund soll pro Flüchtling einen gewissen Betrag zahlen. Wenn mehr Menschen aufgenommen werden, fließt mehr Geld vom Bund. Die Länder nennen das "atmendes System" und versprechen sich davon mehr Planbarkeit.

Kanzler Scholz lehnt das ab. Er verweist darauf, dass der Bund schon jetzt mehr zahlt als er eigentlich müsste – zum Beispiel die Sozialleistungen für Flüchtlinge aus der Ukraine. Dabei sind rechtlich gesehen Kommunen und Länder dafür zuständig, Geflüchtete unterzubringen und zu versorgen.

Die Grünen

"Gut, dass die MPK kein Gesetzgeber ist, sondern das Parlament", sagt die bayerische Landesgruppenchefin der Grünen im Bundestag, Jamila Schäfer. Sie sieht durch einige Verabredungen das Grundrecht auf Asyl in Gefahr. Bund und Länder hatten sich unter anderem dafür ausgesprochen, Georgien und Moldau als sogenannte "sichere Herkunftsländer" einzustufen. Das bedeutet, dass das Nürnberger Bundesamt für Migration Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern in der Regel ablehnt.

Der Einstufung der "sicheren Herkunftsländer" müssen allerdings Bundestag und Bundesrat zustimmen. Viele Grüne haben mehr als Bauschmerzen damit. Ähnliches gilt für den Beschluss, den Abschiebegewahrsam von zehn auf 28 Tage zu verlängern. Das soll helfen, dass Menschen vor ihrer Abschiebung nicht abtauchen können. Auf die Ampel-Koalition kommen also noch Diskussionen zu.

Die Europäische Union

Bürgermeisterinnen, Landräte und Ministerpräsidenten fordern vehement, dass die Bundesregierung den Zuzug von Flüchtlingen begrenzt. Die hat das allerdings kaum in der Hand. Sie will sich bei den laufenden Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Asylpolitik dafür einsetzen, dass einige Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden.

Das betrifft Menschen, die eine geringe Chance haben, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Solche Vorschläge liegen seit Jahren auf dem Tisch. Ob eine Einigung vor der nächsten Europawahl in einem Jahr gelingt, ist völlig offen. Und so lange werden die Forderungen nach "Steuerung und Ordnung" weitergehen.

Der Realitäts-Check

Geld allein löst keine Probleme – darauf weisen Bürgermeisterinnen und Landräte hin. Viele suchen vergeblich nach Personal für Kitas, Schulen, Sprach- und Integrationskurse. Da ändert auch eine Milliarde Euro zusätzlich vom Bund wenig. Gleiches gilt für fehlende Wohnungen. Beides sind grundsätzliche Schwachstellen, die durch 1,25 Millionen Flüchtlinge im vergangenen Jahr besonders deutlich sichtbar geworden sind. Asyl- und Gerichtsverfahren ziehen sich manchmal über Jahre hin. Digitale Abläufe könnten hier helfen. Sie kommen aber auch nicht von heute auf morgen.

Größere Fortschritte sind auch bei Abschiebungen erstmal nicht zu erwarten. Sie stehen und fallen damit, ob Herkunftsländer mitmachen und die nötigen Papiere ausstellen. Die geplanten Migrationsabkommen der Bundesregierung könnten hier Bewegung bringen. Noch sind die aber nicht ausgehandelt.

Von den bisher gut 110.000 Erstanträgen in diesem Jahr kommen knapp 48.000 aus Syrien und Afghanistan. Diese Menschen werden auf absehbare Zeit weiter Schutz in Deutschland bekommen und müssen hier versorgt und integriert werden.

Fazit: Der Bund hat sich mit einer Milliarde Euro etwas Ruhe und Zeit erkauft in der Flüchtlingspolitik. Die grundsätzlichen Herausforderungen bleiben aber.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!