Symbolbild: Lehrerin an der Tafel mit Zahlen
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Über die Anzahl fehlender Lehrkräfte in Bayern gibt es immer wieder widersprüchliche Aussagen

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Zahlenchaos: Wie viele Lehrer fehlen in Bayern wirklich?

Das Kultusministerium sagt: Bayern konnte in den vergangenen Jahren alle offenen Lehrerstellen besetzen. Laut Lehrerverband aber fehlen 4.000 Lehrkräfte – Umfragen bestätigen Lücken. Woher kommen die unterschiedlichen Zahlen?

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Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Im Herbst 2022 führte Forsa eine repräsentative Befragung durch. Im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) interviewte die Sozialforschungsgesellschaft rund 1.300 Schulleiter und Schulleiterinnen zur Situation an ihren Schulen, unter anderem auch zu unbesetzten Stellen. Laut dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), der Teil des VBE ist, waren darunter rund 250 Rektoren und Rektorinnen aus Bayern.

Das veröffentlichte Ergebnis – rund zehn Prozent der Lehrkräftestellen in Bayern seien nicht besetzt – traf auf scharfe Kritik beim Bayerischen Kultusminister Michael Piazolo. Die Daten würden nicht stimmen, es gebe methodische Schwächen. Auch Einschätzungen und Gefühle seien abgefragt worden; es werde nicht klar, welche Schularten unter welcher Trägerschaft einbezogen wurden.

Ein Rückschluss von rund 250 Schulleitern auf ganz Bayern ist vielleicht zu einfach. Der Vorfall steht jedoch beispielhaft für eine undurchsichtige Faktenlage in Bayern, wenn es um die Bezifferung des Lehrermangels geht.

Widersprüchliche Zahlen und Aussagen

Auf der einen Seite steht die Position des Kultusministeriums. Auch auf die für diesen Artikel gestellte Anfrage gab ein Sprecher zur Antwort: "Bayern konnte in den letzten Jahren stets alle offenen Stellen besetzen." Bei allen allgemeinbildenden Schularten sei der Grundbedarf – also die Lehrerstellen, die für das Pflichtmaß an Unterricht benötigt werden – vollständig abgedeckt worden. Im Bereich der Grund- und Mittelschulen seien lediglich 100 Verträge für flexiblen Personalbedarf (Aushilfen) offen.

Auf der anderen Seite steht eine Vielzahl anderer Quellen. Etwa der BLLV, der in verschiedenen Presseveröffentlichungen 4.000 fehlende Lehrkräfte für das Schuljahr 2022/2023 ansetzt. Eine im Oktober 2022 erschienene Studie im Auftrag der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag bestätigt diese Größenordnung. Und dann sind da noch zahlreiche Stimmen von Lehrerinnen und Lehrern. Auch wenn die aus der Forsa-Umfrage von 2022 getroffenen Aussagen in der Kritik stehen – es lässt sich nicht leugnen, dass hier rund 250 bayerische Schulleiter über die Schwierigkeit gesprochen haben, Stellen zu besetzen. In zahlreichen Medienberichten erzählen Menschen aus dem Bildungssystem immer wieder ähnliche Umstände. Auch die jüngsten Gespräche von BR24 mit jungen Lehrkräften in Bayern zeichnet ein entsprechendes Bild:

Piazolo: Es gibt jedes Jahr weniger Bewerber, als gebraucht

Kultusminister Piazolo sagt im BR24-Interview, dass man klar von einem Lehrermangel sprechen kann – es gebe jedes Jahr weniger Bewerber an ausgebildeten Lehrkräften, als man brauche. Er halte es aber nicht für sinnvoll, auf Detailzahlen einzugehen.

Wie kommt das Kultusministerium also zu seiner Aussage, alle Lehrerstellen können besetzt werden? In der Bayerische Lehrerbedarfsprognose (BLP), die jährlich erscheint, ermittelt die Behörde den Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern für die nächsten zehn Jahre, aufgeschlüsselt nach den Schularten Grundschule, Förderschule, Mittelschule, Realschule, Gymnasium und den Berufsschulen. Die BLP deckt sowohl öffentliche als auch private Schulen ab. Neben dem Bedarf wird auch das Angebot an Lehrkräften prognostiziert. Am Ende können für die nächsten zehn Jahre ein prognostizierter Bedarf an Lehrkräften und eine vorausgesagte Zahl an möglichen Neueinstellungen gegenübergestellt werden – für jede Schulart in Bayern. Die angewandte Methodik in Bayern wird von Bildungsexperten als vorbildlich bezeichnet.

Lücke an den Grund- und Mittelschulen besonders groß

Die Lehrerbedarfsprognosen der vergangenen Jahre zeigten für bestimmte Schularten immer eine langfristige Lücke zwischen dem errechneten Bedarf und dem prognostizierten Angebot an Lehrkräften. Neben den Berufsschulen war die Differenz für die Grund- und Mittelschulen besonders hoch.

In diesen Schularten war etwa das prognostizierte Angebot für das Jahr 2022 jeweils über 300 Lehrkräfte niedriger, als der errechnete Bedarf. Die folgende Grafik aus der BLP 2022 zeigt die Prognose für die Mittelschulen:

Grafik: Einstellungssituation an der Mittelschule

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Prognostizierte Einstellungssituation an bayerischen Mittelschulen bis 2032 (Bayerische Lehrerbedarfsprognose 2022)

Wie werden diese Lücken also geschlossen, um zur "Vollbesetzung" zu kommen, die das Kultusministerium angibt? Auch dazu gibt es in der Lehrerbedarfsprognose wichtige Informationen: "Zum Schuljahr 2020/21 wurden verschiedene freiwillige und dienstrechtliche Maßnahmen zur Gewinnung von Lehrerkapazitäten beschlossen."

Kapazitäten decken durch Arbeitszeitkonten und Teilzeitbeschränkung

Zum einen bedeutet das: Ein verstärktes Quereinsteiger-Programm, eine bessere Bezahlung von Grundschul- und Mittelschullehrkräfte oder Werbemaßnahmen für Personal aus anderen Bundesländern. Zum anderen aber auch: Für vorhandene Lehrkräfte werden Arbeitszeitkonten eingerichtet, damit sie mehr arbeiten können. Teilzeitmodelle werden beschränkt oder nicht mehr angeboten. Die Altersgrenze für den Antragsruhestand wird angehoben.

Ein Sprecher des Kultusministeriums fasst zusammen: "Für uns sind die Personalbedarfe dann abgedeckt, wenn hinreichend Lehrpersonalkapazitäten zur Unterrichtsversorgung zur Verfügung stehen." Christopher Regl, ein Dozent für Lehramts-Studierende im Fachbereich Kunstpädagogik an der LMU München, beschreibt die Situation im Gespräch mit BR24 etwas anders: "Jede Schule läuft weiter, obwohl das Personal nicht da ist. So geht das jeden Tag, seit Jahren, seit Jahrzehnten!"

Verbände werfen Piazolo Schönrechnerei vor

Erreicht Bayern seine "Vollbesetzung" der Lehrerstellen auf dem Rücken der vorhandenen Lehrkräfte? Auf diese Frage antwortet Kultusminister Piazolo: "Genau das wollen wir nicht – aber ich kann ja auch keine Entwarnung geben. Das ist vielleicht gerade das Hauptthema im Kultusministerium." Die Lehrerinnen und Lehrer seien bereits psychisch stark belastet. Man wolle deshalb alles tun, um zu entlasten und auch die "Hausaufgaben" zu machen, um jedes Jahr die benötigte Zahl an Lehrkräften sicherzustellen.

Die Abdeckung der Lehrerkapazitäten durch die Maßnahmen wird vielfach kritisiert – etwa vom BLLV, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der politischen Opposition im Landtag. Sie werfen Piazolo unter anderem Schönrechnerei vor. Der BLLV geht in seinen Analysen zum Beispiel auch dann von fehlenden Lehrkräften aus, wenn Lehrpersonalkapazitäten durch die Einschränkung von Teilzeitbeschäftigung oder ein Arbeitszeitkonto gewonnen wurden. 

Und dann sind da die vielen bereits erwähnten "Einzelfälle", die trotz der bayernweiten Bilanz über unbesetzte Stellen und Mangel klagen. Darin zeigt sich ein weiterer Faktor in diesem Problem: Die Situation an Schulen ist über den Freistaat hinweg natürlich sehr unterschiedlich. Das lässt sich etwa an Werten wie der Klassengröße gut veranschaulichen. Die folgende Karte zeigt beispielhaft, wie unterschiedlich groß die durchschnittliche Realschulklasse in den Landkreisen und kreisfreien Städten Bayerns ist:

Grafik: Verteilung der Klassengrößen in Realschulen

Eine Bedarfsprognose auf regionaler Ebene wird laut dem Kultusministerium nicht durchgeführt, weil das Angebot im Gegenzug nicht auf kleine Ebenen wie Landkreise heruntergebogen werden könne. Allerdings kann so natürlich der Eindruck entstehen, dass die Gegebenheiten vor Ort bei der Planung überhaupt keine Rolle spielen.

Eine junge Lehrerin schreibt BR24: "Aktuell bin ich einfach sehr frustriert, wie das Kultusministerium die aktuelle Situation fast schon weg redet."

Im Audio: In Bayern sind laut BLLV aktuell 4.000 Lehrerstellen unbesetzt

Lehrermangel an Bayerns Schulen: Das Problem ist seit Jahren bekannt, keine Maßnahme des Kultusministeriums hat wirklich geholfen.
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Lehrermangel an Bayerns Schulen: Das Problem ist seit Jahren bekannt, keine Maßnahme des Kultusministeriums hat wirklich geholfen.

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