Flüchtlingsunterkunft in Hessen
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Kosten für Geflüchtete: Der Streit um die Zahlen

Beim Flüchtlingsgipfel dürften die Kosten für Geflüchtete ein Knackpunkt zwischen Bund und Ländern werden. Beide Seiten haben vorgerechnet, wie viel sie schon ausgeben – allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Wie das sein kann: eine Analyse.

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Der Streit um die Zahlen hat begonnen. Es ist nur wenige Tage vor dem Gipfel, da kursiert plötzlich ein "Non-Paper" aus dem Kanzleramt. Der Bund rechnet vor, welche Kosten er schon jetzt für Unterbringung und Integration von Geflüchteten übernimmt. Für das Kanzleramt ist das der Beleg: Mehr geht nicht. Die Länder aber wollen das nicht gelten lassen und legen nur wenige Tage später ihre eigene Interpretation vor.

Flüchtlingskosten schwer zu ermitteln

Das Problem: Es ist schwer zu ermitteln und zu vergleichen, wie viel Bund, Länder und Kommunen tatsächlich dafür ausgeben, Geflüchtete unterzubringen, sie zu versorgen und zu integrieren. Denn auf der einen Seite ist nicht ganz klar, was überhaupt zu den Kosten zählt – und auf der anderen Seite, wer wann zuständig ist.

Grundsätzlich gilt: So lange das Asylverfahren läuft, sind die Länder nach dem Grundgesetz dafür zuständig, Geflüchtete aufzunehmen, zu versorgen und zu betreuen. Bis 2015 haben sie dafür die Kosten alleine getragen. Als 2015/16 allerdings die Zahl der Geflüchteten stark angestiegen ist, hat sich der Bund immer stärker beteiligt. Ein Grund dafür war auch, dass Asylverfahren, für die der Bund zuständig ist, wegen des Andrangs immer länger dauerten. Das hat die Kosten der Länder erhöht.

Streitpunkt 1: Wie soll Unterstützung aussehen?

Seit 2016 hat der Bund deswegen einen Großteil der Kosten von den Ländern übernommen. Er hat eine Pro-Kopf-Pauschale von 670 Euro gezahlt, die Kosten für die Unterbringung vollständig erstattet und eine Pauschale für unbegleitete Minderjährige gezahlt. Hinzu kamen weitere Unterstützungsleistungen, etwa für die Kinderbetreuung, für die Wohnraumförderung oder indem der Bund seine Liegenschaften für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung gestellt hat. Im Jahr 2016 hat der Bund dafür rund neun Milliarden Euro gezahlt, im Jahr 2018 rund sieben Milliarden. 2021 waren es etwa drei Milliarden Euro, wie aus Berichten an den Bundestag hervorgeht. Der Bericht für das Jahr 2022 ist noch nicht veröffentlicht.

Bundeszuschüsse sollen sich verändern

Nun soll sich die Art der Zuschüsse verändern. Bund und Länder haben sich im November des vergangenen Jahres auf eine neue Kostenverteilung geeinigt. In Zukunft plant der Bund eine allgemeine Pauschale für Flüchtlingskosten von 1,25 Milliarden Euro. Alle anderen Pauschalen sollen wegfallen. Damit würde der Bund wieder stärker zur Ausgangslage zurückkehren. Die Länder kritisieren, dass ihnen so weniger Geld vom Bund zur Verfügung steht, um die Kosten für Geflüchtete aufzufangen. Das Bayerische Finanzministerium teilt auf BR-Anfrage mit, dass der Freistaat im vergangenen Jahr rund 700 Millionen Euro vom Bund erhalten hat. In diesem Jahr rechnet es noch mit 436 Millionen Euro.

Bund übernimmt Großteil der Kosten für ukrainische Geflüchtete

Allerdings: Seit Sommer 2022 übernimmt der Bund die Kosten für Geflüchtete aus der Ukraine vollständig, da sie kein Asylverfahren durchlaufen und damit nicht in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Angaben des Bundes zufolge waren das im vergangenen Jahr rund drei Milliarden Euro. Hinzu kamen (und kommen in diesem Jahr) Unterstützungsleistungen für Kinderbetreuung, Beschulung, Gesundheits- oder Pflegekosten.

Der Bund argumentiert nun, dass er auf diese Weise die Kosten für einen Großteil der Geflüchteten übernimmt. Die Länder verweisen darauf, dass die Zahl der Geflüchteten aus anderen Ländern derzeit ebenfalls wieder steige und fürchten, dass die neue Pauschale dann nicht ausreicht. Außerdem verweisen sie darauf, dass Kosten für die Integration, Betreuung oder Beschulung von Geflüchteten aller Staaten anfallen würden.

Problem 2: Integrationskosten unkalkulierbar

Diese Kosten sind allerdings schwer zu kalkulieren. Der Bayerische Rundfunk hat bei allen Ministerien der Bayerischen Staatsregierung nachgefragt. Kosten für Integration werden dabei nicht einheitlich oder überhaupt erfasst. So verweist etwa das Wissenschaftsministerium darauf, dass das Engagement der Hochschulen und Kultureinrichtungen "ideel und finanziell eindrucksvoll" sei. Die Maßnahmen würden aber nicht im Staatshaushalt aufgeführt. Andere Ministerien, wie etwa das Bauministerium, fördern pauschal einzelne Projekte. Seit 2019 ist das Innenministerium federführend für die Integration zuständig. Seitdem haben sich die Kosten für Integrationsmaßnahmen von 65,7 Millionen Euro auf 63,5 Millionen Euro verringert, wie das Ministerium auf Anfrage des BR mitteilt.

Allerdings: Ob die Kosten wirklich zurückgegangen sind, ist schwer zu sagen. Denn fraglich ist, was überhaupt als Ausgabe für Integration zählt: Ein zusätzlicher Kitaplatz, der auch Geflüchteten zugutekommt? Eine neue Stelle in der Verwaltung?

Rechnungshof kritisiert fehlende Zuständigkeit

Der Bundesrechnungshof hat das schon mehrfach kritisiert. 2018 bemängelte er, dass es im Bundesfinanzministerium keine einheitliche Definition dafür gebe, was als Kosten ausgewiesen werden könne und welcher Haushalt dafür zuständig sei. "Die zuständigen Bearbeiter/innen in den Ressorts und den BMF-Spiegelreferaten hatten dabei erhebliche Bewertungsspielräume", heißt es in dem Bericht. Auch der Bayerische Oberste Rechnungshof sagt, er habe das Thema "auf dem Schirm".

Im vergangenen Jahr kritisierten die Prüfer im Bund außerdem, dass nicht geklärt sei, wer überhaupt für die Integration zuständig sei. "Viele der Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen überschneiden sich inhaltlich und konkurrieren miteinander", heißt es in dem Bericht. Alleine auf Bundesebene hätten im Jahr 2018 mehr als zehn Ressorts und zwei Beauftragte der Bundesregierung mehr als 150 Maßnahmen gefördert. Hinzu kommen die Integrationsbemühungen der Länder.

Mehr Spielraum für Diskussionen

All diese Aspekte führen dazu, dass Bund und Länder mit ihren Kalkulationen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das zeigt: Je weniger Aufgaben klar definiert und zugewiesen werden, desto mehr Spielraum bleibt für Diskussionen. Ob Bund und Länder heute zu einem Ergebnis kommen, ist unklar.

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