In sozialen Netzwerken versuchen User Gleichgesinnte zur Teilnahme an Umfragen zur Impfpflicht zu bewegen und so das Ergebnis zu beeinflussen.
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In sozialen Netzwerken versuchen User Gleichgesinnte zur Teilnahme an Umfragen zur Impfpflicht zu bewegen und so das Ergebnis zu beeinflussen.

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#Faktenfuchs: Wie versucht wird, Online-Umfragen zu beeinflussen

In sozialen Netzwerken und Chatgruppen werden regelmäßig Links zu Umfragen oder Abstimmungen verbreitet, verbunden mit dem Aufruf, das Ergebnis zu beeinflussen. Welche Ziele werden damit verfolgt - und geht die Taktik auf? Ein #Faktenfuchs.

Der Bundestag hat sich gestern gegen eine allgemeine Impfpflicht entschieden. Im Vorfeld der Abstimmung wollten unter anderem die Tagesschau und der Deutschlandfunk auf Instagram von ihren Usern wissen: “Seid ihr für oder gegen eine Impfpflicht?” oder “Ist eine Impfpflicht sinnvoll?” Solche Umfragen zur Impfpflicht haben Social-Media-User über mehrere Monate hinweg versucht zu beeinflussen. Ob dies tatsächlich gelungen ist, und wie Meinungsforschungsinstitute damit umgehen, lesen Sie in diesem #Faktenfuchs.

Aufrufe zur Teilnahme: “Steht noch gegen uns”

Die Accounts der Nachrichtenmedien sind öffentlich, jede und jeder kann also an Umfragen wie den oben genannten teilnehmen. Manche User nutzten das aus - und versuchten, durch gezielte Aufrufe an Gleichgesinnte das Ergebnis zu beeinflussen. Die Umfrage des Deutschlandfunks teilten User in einer Telegram-Gruppe mit den Worten: “DRINGEND steht noch gegen uns: Impfumfrage auf Insta”. Bei einer ähnlichen Umfrage der Tagesschau schrieb ein Telegram-Nutzer: “Bitte alle dagegen abstimmen falls ihr Instagram benutzt” (sic!).

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User rufen zur Teilnahme an Instagram-Umfragen von Deutschlandfunk und Tagesschau auf.

Der freie Journalist Henrik Merker schrieb daraufhin Ende Januar auf Twitter: “Können seriöse Medien endlich aufhören, leicht zu manipulierende Umfragen zum Thema #Impfpflicht zu machen?” Die würden seit Wochen gezielt von Impfgegnern beeinflusst. Dazu teilt er ein Foto der Instagram-Story des Deutschlandfunks: 63 Prozent hatten sich zu diesem Zeitpunkt in der Abstimmung gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Laut dem ARD-Deutschlandtrend war jedoch nur ein Drittel der Befragten Anfang Februar dagegen.

Abstimmungen wie die des Deutschlandfunks sind nicht repräsentativ, es lassen sich also keine allgemeingültigen Rückschlüsse aus dem Ergebnis ziehen. Auf eine Nachfrage des #Faktenfuchs antwortet die Social-Media-Redaktion des Deutschlandfunks, man nutze solche “Quiz- und Frageelemente”, um die Interaktion mit Nutzerinnen und Nutzern auf den Social-Media-Kanälen anzustoßen bzw. zu intensivieren. Die Umfragen würden journalistisch nicht ausgewertet. Dass die Umfrage offenbar gezielt beeinflusst wurde, habe die Redaktion nicht feststellen können. Auch weitere Fälle seien nicht bekannt.

Dennoch scheinen bestimmte Gruppen zu versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen: Sie teilen nicht nur Links zu Instagram-Umfragen, sondern auch zu Live-Abstimmungen von Anbietern wie Opinary und Online-Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey. Beide werden immer wieder in Artikel auch seriöser Medien eingebunden.

Im Gespräch mit dem #Faktenfuchs bestätigt die Mitgründerin von Opinary, Pia Frey, dass es solche Manipulationsversuche von Abstimmungen immer wieder gibt. Bei Abstimmungen zur US-Wahl sei das so gewesen oder auch bei Abstimmungen zu den Folgen des Brexit - und jetzt bei der Corona-Politik. Dort würden “gehäufte Manipulationsversuche” auftreten, von denen Opinary aber “durch künstliche Intelligenz die allermeisten erkennen und blockieren könne.” Seit 2019 seien 500 bestätigte Manipulationsversuche pro Tag Durchschnitt. Zum Vergleich: In den letzten sechs Monaten verzeichnete Opinary etwa eine Million Stimmen pro Tag.

Der Zweck einer Beeinflussung von Umfragen? “Die Welt im Kleinen verändern.”

Die Aufrufe, an Umfragen teilzunehmen verbreiten sich auf verschiedenen Plattformen, zum Beispiel auf Telegram, Facebook und Twitter. Der Wunsch, die eigene Meinung - vor allem zu einem Thema wie der Impfpflicht - stärker im öffentlichen Diskurs vertreten zu sehen, ist ihnen gemein.

Laut dem Politikwissenschaftler Arndt Leininger von der TU Chemnitz kann es auch darum gehen, mit der Beeinflussung solcher Umfragen den Eindruck zu erwecken, eine bestimmte Meinung herrsche in der Bevölkerung vor.

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Ein Telegram-User teilt ein erfolgreich "gedrehtes" Abstimmungsergebnis.

Es werden auch Screenshots von Umfrageergebnissen in den Telegram-Gruppen geteilt - immer dann, wenn das Ergebnis einer Abstimmung wie gewünscht ausgefallen ist - zum Beispiel gegen die Impfpflicht. Dabei könnte aber viel wichtiger als die öffentliche Wirkung der “Effekt nach Innen” sein, sagten mehrere Experten dem #Faktenfuchs, unter ihnen Politik-, Sozial- und Kommunikationswissenschaftlerinnen und ein Experte für die verschwörungsideologische Szene.

So sagt etwa Jakob-Moritz Eberl, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Wien: “Zentral ist das Mobilisierungspotential solcher Umfragen. Der Community wird dort eine Möglichkeit gegeben, sich für etwas einzusetzen: die Welt im Kleinen zu verändern sozusagen.”

Und Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) sagt: Eine Umfrage zu manipulieren, sei ein Erfolg für das verschwörungsideologische Milieu. “Sowas lässt sich auch immer gut für Propagandazwecke zurückspeisen, um sich zu vergegenwärtigen, dass man selbst auch Macht hat und Macht anwenden kann.”

Das sei besonders deshalb relevant, weil Menschen zum Teil aus mangelnder Selbstwirksamkeit in das Milieu hineingeraten seien - also deshalb, weil sie die Erfahrung gemacht hätten, Herausforderungen nicht aus eigener Kraft meistern zu können. Solche Momente würden sich dann sehr gut eignen, positive Erfahrungen zu machen, sagt Rathje. Erfolgreich beeinflusste Umfragen trügen demnach also zu einem gesteigerten Empfinden von Selbstwirksamkeit bei.

Der Effekt nach außen: Abhängig von der Aufmerksamkeit des Betrachters

Gibt es aber dennoch einen Effekt auf diejenigen, die zufällig auf Ergebnisse solcher manipulierten Abstimmungen oder Umfragen stoßen? Wie solche Umfragen bei ihnen wirken, ist wenig erforscht.

Umfrageforschung gibt es vor allem im Kontext von Wahlen. Daraus wisse man, dass Umfragen grundsätzlich “sehr wohl auch Wahrnehmungen beeinflussen können”, sagt Kommunikationswissenschaftler Eberl. Bei Wahlen könnten sie etwa dazu beitragen, dass die Chancen bestimmter Parteien anders eingeschätzt würden und dadurch die Wahlentscheidung beeinflusst werde, möglicherweise auch andere Parteien gewählt würden, sagt Eberl.

Bei Umfragen zur Impfpflicht und zu Corona, wie etwa in dem Beispiel der Abstimmung des Deutschlandfunks, geht es laut Politikwissenschaftler Leininger darum, die Ablehnung der Corona-Maßnahmen oder der Impfung größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist.

Wie das letztendlich bei Usern ankomme, sei stark damit verbunden, wie aufmerksam und kritisch diese seien. “Worauf natürlich gesetzt wird, bei solchen Manipulationsversuchen, ist, dass Leserinnen und Leser die Ergebnisse nicht ganz reflektieren und für bare Münze nehmen”, sagt Leininger.

Auch die Sozialwissenschaftlerin Lydia Repke vom GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften sagt, die unterschiedliche Aussagekraft von wissenschaftlichen Umfragen und einfachen Abstimmungen sei nicht jedem bewusst. So könnten “die Ergebnisse, die aus solchen Abstimmungen hervorkommen, möglicherweise von bestimmten Personen auch als wahr interpretiert werden.”

Wer steckt hinter diesen Aufrufen?

Viele der in den letzten Monaten geteilten Links, die der #Faktenfuchs auf verschiedenen Social-Media-Plattformen finden konnte, führten zu Umfragen, in denen die Impfpflicht, Corona-Proteste oder Corona-Maßnahmen bewertet werden sollten.

Auf Telegram gibt es sogar einen eigenen Kanal mit rund 5.200 Abonnenten, in dem ausschließlich Links zu Umfragen und Abstimmungen von Medien geteilt werden. Von diesem Kanal aus werden die Links wiederum von größeren Kanälen, wie etwa dem des Corona-Maßnahmen-Gegners Bodo Schiffmann, verbreitet.

Was sich die Verbreiter davon versprechen, wird durch Posts wie diese deutlich:

“Am Sonntag wird das Wetter ja nicht so toll. Wenn ihr nicht auf eine Demo geht, haben wir eine alternative Beschäftigung für Euch. Nehmt doch einfach mal an einigen Umfragen teil und hinterlasst eure Meinung.”

Die Teilnahme an Umfragen wird also hier als Alternative zu Corona-Protesten angepriesen.

Das beobachtet auch Jan Rathje von CeMAS: “Bei unseren Beobachtungen des verschwörungsideologischen Milieus nehmen wir auch häufig wahr, dass Umfragen der sogenannten ‘Mainstream-Medien’ geteilt werden - aber auch Links zu wissenschaftlichen Umfragen, mit dem Aufruf, diese doch ‘mit der Wahrheit’ zu versehen”, sagt Rathje.

Aufrufe als eine "Form des Ausgleichs"

Diese Aufrufe würden innerhalb des verschwörungsideologischen Milieus als eine “Form des Ausgleichs” wahrgenommen. Laut Rathje vertrauen viele dieser Menschen seriösen Umfragen nicht und halten es deshalb für legitim, selbst in den Umfrageprozess “einzugreifen”, um den öffentlichen Diskurs aus ihrer Sicht zu “korrigieren”.

Das Phänomen, auf Umfragen hinzuweisen und Gleichgesinnte zur Teilnahme zu mobilisieren, ist schon länger verbreitet. “Das ist so alt wie das Internet selbst”, sagt Gerrit Richter, Geschäftsführer von Civey, einem Online-Meinungsforschungsinstitut. Auch der Bayerische Rundfunk arbeitet mit Civey zusammen, allerdings nicht bei politischen Umfragen, sondern bei Fragen, die gesellschaftlich diskutiert werden, wie etwa diese: “Hat die Schule Ihres Kindes ein gutes Hygienekonzept, um Präsenz-Unterricht zu ermöglichen?”

Dass Gleichgesinnte nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie auch schon in der Vergangenheit zur Teilnahme an Umfragen animiert weurden, bestätigt auch der Chemnitzer Politikwissenschaftler Arndt Leininger dem #Faktenfuchs. Dabei müssen es nicht nur Privatpersonen sein, die Umfragen in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Es sei nichts Neues, “dass verschiedenste Arten politischer Akteure aus allen politischen Richtungen versuchen, diese Abstimmungen zu nutzen, um das Meinungsklima zu beeinflussen.” Er nennt Vertreter von Parteien oder Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Parteien als Beispiele für solche Akteure.

Wie funktioniert seriöse Meinungsforschung?

Seriöse Umfragen lassen sich nicht so einfach manipulieren. Denn ein wichtiges Prinzip in der Meinungsforschung ist die Zufallsauswahl. Hierfür wählen Meinungsforscher beispielsweise bei telefonischen Umfragen zufällig Telefonnummern von Privathaushalten aus. Ein Computer generiert dafür nach einem bestimmten Schema Telefonnummern, damit auch die Haushalte erreicht werden, die nicht im Telefonbuch stehen oder keine Festnetznummer haben.

Das bedeutet: Die Umfrageinstitute kommen auf die Teilnehmer zu, nicht umgekehrt, wie bei Online-Umfragen. So soll eine repräsentative Stichprobe gezogen und verhindert werden, dass Menschen, die sich besonders für ein bestimmtes Thema interessieren, das Ergebnis verzerren. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap schreibt dazu auf seiner Webseite:

“Entscheidend für eine repräsentative Untersuchung ist (...), dass Personen unabhängig davon, wie stark sie an Umfragen interessiert sind, an unseren Erhebungen teilnehmen. Deshalb ist eine Selbstrekrutierung ausgeschlossen.” Infratest dimap

Letztendlich ist es aber immer noch die Entscheidung des Einzelnen, ob er oder sie an einer Umfrage teilnimmt.

Der Bayerische Rundfunk arbeitet - wie die gesamte ARD - bei Umfragen zum Wahlverhalten oder anderen politischen Umfragen exklusiv mit Infratest dimap zusammen. Das ZDF nutzt die Forschungsgruppe Wahlen. RTL beauftragt Forsa mit politischen Umfragen.

Umfragen zu Wahlen sind besonders sensibel. Sie können Einfluss auf das Wahlergebnis haben, das zeigte beispielsweise die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

Andreas Bachmann, Experte für politische Umfragen beim Bayerischen Rundfunk, nennt ein wichtiges Kriterium, warum der BR mit Infratest dimap vertraut und mit diesem Unternehmen zusammenarbeitet: “Infratest weiß, mit wem sie reden - auch in ihren Online-Panels. Das ist der zentrale Unterschied zu einigen anderen Umfrageinstituten die vor allem auf Online-Befragungen setzen.”

Zu Online-Umfragen von Infratest dimap oder auch der Forschungsgruppe Wahlen werden Umfrageteilnehmer nämlich gezielt eingeladen, zum Beispiel per SMS.

Infratest arbeitet bei Online-Umfragen mit dem Payback Online Panel zusammen. Laut Angaben von Infratest verfügt dieses Panel über 115.000 aktiv rekrutierte Mitglieder. Rekrutierungsgrundlage bilde die Mitgliedschaft beim Bonussystem Payback, das treffe auf 25 Millionen Verbraucher und etwa die Hälfte der Haushalte in Deutschland zu. Hier können sich die Umfrageteilnehmer also nicht selbst rekrutieren, und die Meinungsforschungsinstitute wissen, wer an der Umfrage teilnimmt.

Nach der Befragung werden die Umfrageergebnisse dann gewichtet. Das bedeutet: Meinungsforscher schauen sich an, wie sich etwa demografische Merkmale auf die Bevölkerung verteilen und berücksichtigen das entsprechend in der Auswertung der Antworten. So soll verhindert werden, das eine bestimmte Bevölkerungsgruppe überrepräsentiert ist und das Ergebnis verzerrt.

Manipulation lässt sich bei manchen Online-Umfragen nicht ausschließen

Anders als bei den eben beschriebenen Online-Umfragen von Infratest dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen lassen reine Online-Meinungsforschungsinstitute eine Selbstrekrutierung zu. Laut verschiedener Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, lässt sich bei diesen wegen der fehlenden Zufallsstichprobe eine Manipulation nicht ausschließen.

Ein wichtiger Unterschied: Online-Umfragen versus Online-Abstimmungen

Für die Einschätzung, wie anfällig für Manipulationen Online-Umfragen sind, ist es allerdings zuerst wichtig, zwischen den Begriffen “Online-Umfrage” und “Online-Abstimmung” zu unterschieden.

Große Anbieter von Online-Umfragen in Deutschland sind Civey und YouGov. Wer bei ihren Umfragen mitmachen möchte, muss sich zuerst beim Anbieter direkt registrieren und Angaben zu sich selbst machen. Werden die Umfragen ausgewertet, zählt außerdem nicht immer jede Stimme gleich. Etwa dann, wenn aus einer bestimmten demografischen Gruppe zu viele Menschen abgestimmt haben und so das Ergebnis verzerrt würde. Auch hier werden die Ergebnisse also gewichtet.

Online-Abstimmungen findet man etwa in sozialen Netzwerken, oder bei Anbietern wie Opinary und Pinpoll. Ihr Prinzip: Jede und jeder kann an der Umfrage teilnehmen und jede Stimme zählt gleich. Dass jeder teilnehmen kann, macht laut der Sozialwissenschaftlerin Lydia Repke die Abstimmungen beeinflussbar.

Der Blog “Volksverpetzer” beschrieb 2020 in diesem Artikel, wie eine Online-Abstimmung der österreichischen Zeitung heute.at mit einem Umfragen-Bot manipuliert werden konnte.

Auch das Onlinemagazin “Übermedien” zeigte im Jahr 2018, wie Umfragen von Opinary beeinflusst werden konnten.

Im folgenden geht es zunächst um Online-Abstimmungen, im Anschluss thematisieren wir die Manipulationsgefahr von Online-Umfragen.

Meist lässt sich nur technische Manipulation erkennen

Anbieter von Online-Abstimmungen sind bemüht, Manipulationsversuche aus dem Abstimmungsergebnis herauszufiltern. So nutzt Opinary nach eigenen Angaben ein System, das anschlägt, wenn etwa Bot-Angriffe registriert werden. Bots sind Computerprogramme, die zum Beispiel sehr oft hintereinander an derselben Umfrage teilnehmen. Besteht der Verdacht, dass Bots Stimmen abgeben, dann werden diese Stimmen technisch zurückgehalten, sagt die Opinary-Vorsitzende Frey. Pinpoll, ein weiterer Anbieter, nutzt Captcha-Abfragen oder bittet um SMS-Verifizierung. Außerdem lässt Pinpoll nur Stimmen zu, die in Deutschland, Österreich oder der Schweiz abgegeben wurden. Pro IP-Adresse ist nur eine bestimmte Anzahl an Stimmen erlaubt. Bei heiklen Votings, sagt Pinpoll-Geschäftsführer Tobias Oberascher, empfehle man den Redaktionen, das aktuelle Ergebnis nicht anzuzeigen, sondern zunächst alle Stimmen zu sammeln, auszuwerten und schließlich Bot-Stimmen zu bereinigen.

Handelt es sich aber um die koordinierte Aktion von Einzelpersonen - nicht von Bots - sei das schwieriger, sagt Frey: Die Technologie von Opinary könne das erst einmal nicht blockieren. Wenn sich das Stimmungsbild innerhalb kurzer Zeit aber zuspitze oder unverhältnismäßig stark ändere, werde Opinary gewarnt und prüfe den Datensatz manuell. “Wenn Anlass zur Annahme vorliegt, dass es sich bei den Ergebnissen um eine koordinierte Aktion handelt, bieten wir der betroffenen Redaktion an, die auffallenden Stimmen aus dem betreffenden Zeitraum zu löschen”, sagt Frey. Das komme im Kontext von Impf-Umfragen häufiger vor.

Opinary arbeitet also daran, Einflussnahme zu erkennen - das Unternehmen kann sie aber nicht ausschließen. Pinpoll, ein anderer Anbieter solcher Abstimmungstools, sieht keine Möglichkeit, gegen nicht-bot-basierte Beeinflussungsversuche vorzugehen. “Wir wissen ja nicht, wer das ist, das ist ein anonymes Voting”, sagt Pinpoll-Geschäftsführer Oberascher dem #Faktenfuchs. Er nennt ein Dilemma: Je sicherer eine Abstimmung sein solle, umso mehr Daten benötige man vom Teilnehmer, was wiederum die Privatsphäre aufweiche.

Bei diesen Abstimmungen handelt es sich zwar nicht um repräsentative Umfragen und die Anbieter bewerben sie auch nicht als solche. In Telegram-Gruppen werden aber gerade diese - möglicherweise manipulierten - Abstimmungsergebnisse als Erfolg gefeiert, wenn sie dann der eigenen Meinung entsprechen.

Funktionieren die Manipulationsaufrufe bei Online-Umfragen?

Wie sieht das bei Online-Umfragen von Civey oder auch anderen Anbietern wie YouGov aus? Ein Großteil der auf Telegram, Facebook und Twitter geteilten Links zu Umfragen des Online-Meinungsforschungsinstituts Civey. Redaktionen, die zum Beispiel Umfragen von Civey nutzen, bewerben sie häufig als repräsentativ. Doch sind auch sie ähnlich anfällig für Manipulationen?

Sowohl bei Civey als auch bei YouGov muss man sich vor der Abstimmung registrieren und Angaben über sich selbst machen, bevor man an Umfragen teilnehmen kann. Gerrit Richter, der Geschäftsführer von Civey spricht im Gespräch mit dem #Faktenfuchs von einem “ “Verifikationsprozess”, der sich teils sogar über ein Jahr ziehen könne, geht aber nicht ins Detail, welche Faktoren dabei einfließen.

Man wolle verhindern, dass Teilnehmer eine “Lücke im System” finden und so Ergebnisse verfälschen könnten. Nur so viel verrät Civey-Chef Richter im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: Man beobachte, ob Teilnehmer “logisch konsistent” antworteten und sich zum Beispiel ein Computer “zweifelsfrei identifizieren lasse”. Es gebe nicht “die eine Maßnahme”, sagt Richter.

Bei YouGov funktioniert der Verifikationsprozess ähnlich, auch hier achtet man laut eigenen Angaben auf logisch konsistente Antworten - etwa zu Alter, Wohnort, politischer Einstellung. Frieder Schmid, Head of Research für YouGov in Deutschland geht im Gespräch mit dem #Faktenfuchs stärker ins Detail, spricht von verschiedenen Phasen, in denen das Unternehmen teils automatisiert, teils manuell überprüft, ob die registrierte Person authentisch ist.

Auch durch den Einsatz von Captcha-Abfragen, also dem Anklicken von kleinen Bildern als Antwort auf die Frage “Sind Sie ein Roboter?”, wolle man Mehrfachanmeldungen und Bot-Angriffe vermeiden. “Erst, wenn jemand sich in diesem Prozess qualifiziert, dann erst aktivieren wir ihn auch für die Einladung zur Online-Befragung”, sagt Schmid.

Auch nach dieser Aktivierung fänden regelmäßig Qualitätschecks statt. So werde beispielsweise für ausgewählte, regelmäßig wiederkehrende Fragen die Konsistenz der Antworten geprüft. Trotzdem analysiert YouGov nicht jede Antwort auf Konsistenz. Dies sei weder sinnvoll noch möglich, so Schmid.

Umfrage-Teilnehmer wissen laut Civey nicht, wann sie verifiziert seien. YouGov dagegen informiert angehende Panellisten, wenn sie nicht als aktive Umfrageteilnehmer aufgenommen werden und lädt ausschließlich verifizierte User zu Umfragen für Kunden ein. Civey zählt ebenfalls nur die Antworten verifizierter Umfrageteilnehmer.

Experten kritisieren Selbstrekrutierung bei Online-Umfragen

Doch auch hier sehen Experten Manipulationsmöglichkeiten. Rainer Schnell, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen, kritisiert: Online-Meinungsforscher hätten keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Daten echt seien, mit denen sich Teilnehmer beim Online-Panel anmelden.

Schnell bemängelt auch deren Methode: Dass von einer sehr speziellen Gruppe - also jener, die sich für Umfragen-Teilnahmen interessiere und aktiv dafür anmelde - auf die Allgemeinheit geschlossen werde. “Wenn ein inhaltlicher Grund wie eine bestimmte politische Meinung dazu führt, dass die Personen sich selber rekrutieren, dann ist es absurd, daraus darauf zu schließen, was die Allgemeinbevölkerung denkt.” Das sei “pure simple Mathematik”, sagt der Methodiker im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Wenn Personen sich selbst auswählten, führe das immer zu Verzerrungen im Ergebnis.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die fehlende Zufallsauswahl

Die Zufallsauswahl fehle, kritisiert auch die Sozialwissenschaftlerin Lydia Repke. “Civey sagt, wir haben hier eine repräsentative Auswahl von deutschen Bundesbürgern. Und das ist kritisch zu betrachten, weil da keine Zufallsstichprobe gezogen wurde.” Ganz allgemein sei eine Zufallsauswahl bei Online-Umfragen schwierig, weil die Grundgesamtheit der Userinnen und User nicht klar ist. Anders als bei der Telefonumfrage gibt es - entsprechend dem Telefonbuch - kein Register, in dem alle Internetnutzer in Deutschland aufgelistet sind.

Allerdings: Laut Civey dienten diese Umfragen mit direkten Links lediglich als Lockangebot. Dadurch sollten Umfragen-Teilnehmer geworben werden. Ihr Stimmen würden in der Umfragenauswertung nicht gezählt.

Bei YouGov sind einzelne Umfragen laut Frieder Schmid nicht direkt anwählbar. User hätten keine Möglichkeit zu bestimmen, an welchen Umfragen sie teilnehmen. Die Auswahl von Teilnehmern aus dem YouGov Panel für konkrete Umfragen passiere zufällig.

Die Sozialwissenschaftlerin Lydia Repke nennt einen weiteren Kritikpunkt: Live-Umfragen wie die von Civey, bei denen das Ergebnis unmittelbar nach der Abstimmung angezeigt wird, würden Wissenschaftlichkeit suggerieren, wo keine sei.

Traunsteiner Tagblatt macht Manipulationsversuch öffentlich

Wie gehen Medien damit um, wenn es Usern tatsächlich gelungen ist, Umfragen und Abstimmungen zu beeinflussen? Ein Beispiel liefert das Traunsteiner Tagblatt, das sich im November 2021 dieser Frage stellen musste.

Damals fragte die Redaktion ihre Leser auf der Internetseite der Zeitung: “Halten Sie eine allgemeine Impfpflicht für den richtigen Weg, um dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken?” Nachdem eine Telegram-Nutzerin zur Teilnahme an der Umfrage aufgerufen hatte, stimmten im Laufe eines Wochenendes mehr als 70 Prozent der Abstimmenden für “Nein.”

Vor dem Wochenende waren noch 70 Prozent der Abstimmenden für eine Impfpflicht. Dass sich das Ergebnis der Abstimmung in so kurzer Zeit komplett drehe, sei bis zu diesem Tag “eigentlich nie der Fall” gewesen, schreibt die Zeitung dem #Faktenfuchs.

Die Redaktion des Traunsteiner Tagblatts entschied sich dazu, die Manipulation dieser Online-Umfrage zu thematisieren - auch, weil sie es für wichtig erachtete, “den Leserinnen und Lesern vor Augen zu führen, dass diese Umfragen nicht immer repräsentativ sind.”

Fazit

Dass Gleichgesinnte in Chatgruppen und auf Facebook oder Twitter dazu gebracht werden sollen, bei Umfragen mitzumachen, war in den letzten Monaten vor allem bei Fragen zur Corona-Politik zu beobachten.

Experten gehen davon aus, dass die Aufrufe vor allem einen Mobilisierungseffekt haben: Sie geben der Gruppe die Möglichkeit, sich für etwas einzusetzen. Der Gruppe werde so suggeriert, dass man “Macht” habe und diese anwenden könne.

Grundsätzlich ist das Phänomen, Gleichgesinnte zur Teilnahme an Online-Umfragen zu bewegen, aber nicht auf die Gruppe der Corona-Skeptiker beschränkt - und existierte auch schon lange vor der Pandemie.

Wichtig für die Frage nach der Beeinflussung ist die Unterscheidung zwischen Online-Abstimmungen und Online-Umfragen. Während bei Online-Abstimmungen jede Stimme ungefiltert darstellen, gewichten Online-Meinungsforscher bei ihren Umfragen und versuchen die Teilnehmer ihrer Umfragen zu verifizieren. Experten kritisieren jedoch deren Vorgehen und die Tatsache, dass Online-Meinungsforscher keine Möglichkeit hätten, zu überprüfen, ob die gemachten Angaben der Teilnehmer stimmten.

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12.04.2022, 11:15: Wir haben im Abschnitt zu den Präventionsmaßnahmen bei Online-Voting-Anbietern weitere Details zu den Maßnahmen des Anbieters Pinpoll eingefügt.