Rheinland-Pfalz, Bad Neuenahr: Bautrupps versuchen, die Bundesstraße 266 bei Bad Neuenahr wieder befahrbar zu machen.
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Rheinland-Pfalz, Bad Neuenahr: Bautrupps versuchen, die Bundesstraße 266 bei Bad Neuenahr wieder befahrbar zu machen.

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So funktioniert der EU-Solidarfonds bei Naturkatastrophen

Nach dem Hochwasser beginnt der Wiederaufbau. Die Bundesregierung will mit Millionen an Soforthilfen helfen. Doch auch von der EU kann es Unterstützung geben. In der Vergangenheit kamen bei Naturkatastrophen Hilfen in Milliardenhöhe aus Brüssel.

Die Bilder der dramatischen Hochwasser in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern sind noch frisch. Für viele Betroffene bleibt aber kaum Zeit, den Schock zu verdauen. Sie befreien ihre Häuser von Schlamm und Dreck, nehmen Kontakt zu Versicherungen auf, helfen sich gegenseitig.

Die Bundesregierung hat bereits Unterstützung in Millionenhöhe angekündigt. Schon am Mittwoch will das Bundeskabinett laut Finanzminister Olaf Scholz (SPD) Hilfen auf den Weg bringen. Auch der Freistaat Bayern stellt Gelder bereit: Ministerpräsident Söder hat im BR bereits eine Summe von 50 Millionen Euro angekündigt.

Gibt es auch Gelder von der EU?

In den Kommentarspalten bei BR24 wünschen sich viele aber nicht nur Unterstützung von Bund und Land. Viele schauen auch Richtung Brüssel und fragen sich, ob es in solchen Fällen auch Gelder von der EU gibt. Exemplarisch ein Kommentar unter einem BR24-Artikel: "Gibts denn vom Ausland & Der EU auch Hilfsgelder in Millionenhöhe ?! Weil wenn wo anders auf dieser Welt was passiert sind wir Deutschen ja auch immer an vorderster Front beim Geld verteilen ‼ Bin mal gespannt ob "UNS" auch mal jemand unterstützt ? Ich glaub das bleibt ein frommer Wunsch ....."

EU-Solidarfonds: Über fünf Milliarden Euro ausbezahlt

2002 wurde von Brüssel der "EU Solidarity Fund" eingerichtet. Er war eine Reaktion auf die extremen Hochwasser im Sommer 2002, die besonders Deutschland, Österreich und Tschechien betroffen haben.

Die Europäische Union hat einen Überblick auf die ausgezahlten Hilfen von 2002 bis 2019 herausgegeben: Demnach hat der Solidarfonds 24 Ländern bei insgesamt 80 Naturkatastrophen finanziell geholfen und dabei über fünf Milliarden Euro an Geldern verteilt.

Deutschland bekam am zweitmeisten aus dem Solidarfonds

Allein rund eine Milliarde davon ging an Deutschland. Bei vier Naturkatastrophen bekam die Bundesrepublik Unterstützung aus Brüssel: die Flut 2002, bei Sturm Kyrill 2007 und bei den Hochwassern in den Jahren 2013 und 2016. Den größten Anteil aus diesem Topf hat bisher Italien bekommen. Aufgrund von Hochwasser, Erdbeben und Vulkanausbrüchen bekam Rom rund 2,8 Milliarden Euro aus dem Solidarfonds.

An Platz zwei liegt Deutschland mit knapp über einer Milliarde Euro gefolgt von Frankreich (253 Millionen) und Großbritannien (223 Millionen). Viele Länder bewegen sich im zweistelligen Millionen-Bereich. Lediglich drei EU-Länder – Dänemark, Belgien und Luxemburg – haben bisher noch keine Gelder aus dem Solidarfonds erhalten.

Wer kann die Hilfe beantragen?

Jedes Land aus der EU sowie Länder, die sich in Verhandlung um eine Aufnahme in die EU befinden, können bei Naturkatastrophen Hilfen aus dem Topf beantragen. Die Unterlagen müssen in Brüssel spätestens zwölf Wochen nach den ersten Schäden eingehen.

Der Schaden muss zudem eine bestimmte Grenze übersteigen, damit Gelder aus dem Solidarfonds ausbezahlt werden. Zusätzlich unterscheidet Brüssel nach "major disasters" und "regional disasters", also je nachdem, ob die Naturkatastrophe mehrere Regionen im Land oder nur eine einzige betroffen hat.

Hilfen aus dem EU-Solidarfonds: Das sind die Grenzwerte

Die Grenze liegt bei größeren Naturkatastrophen bei 0,6 Prozent des Bruttonationaleinkommens oder bei 3,59 Milliarden Euro (als Basis gilt der in 2011 festgelegte Wert von drei Milliarden Euro, zu heutigen inflationsbereinigten Preisen), je nachdem, welcher Wert niedriger liegt.

Für Deutschland gilt damit der letztere Wert, also die 3,59 Milliarden Euro. Ab dieser Schadenssumme ist die Bundesrepublik berechtigt, einen Antrag für Hilfen aus dem EU-Solidarfonds nach einer Naturkatastrophe zu stellen.

Für regionale Naturkatastrophen gibt die EU einen anderen Referenzwert und einen anderen Anteil vor: Hier liegt die Grenze bei 1,5 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandseinkommens der Region - für Oberbayern damit zum Beispiel bei einem Schaden von über 4,1 Millionen Euro, für Oberfranken bei 0,6 Millionen.

Wie viel Hilfe wird ausbezahlt?

Die konkrete Summe, die ausbezahlt wird, orientiert sich nun wieder an diesen Grenzwerten: Bis zur Grenze werden 2,5 Prozent der Schadenssumme übernommen. Von dem Teil, der über dem Grenzwert liegt, werden 6 Prozent durch den EU-Solidarfonds bei Naturkatastrophen übernommen.

Ein Zahlenbeispiel: Würde eine Naturkatastrophe in Deutschland einen Schaden von fünf Milliarden Euro verursachen, würde die EU 2,5 Prozent bis zur Grenze von 3,59 Milliarden Euro (89,6 Millionen) zahlen sowie sechs Prozent der Summe, die darüber geht (84,9 Millionen). Die Gesamtsumme in diesem Beispiel würde also 174,5 Millionen Euro betragen.

Hochwasser 2021: Noch keine Hilfen beantragt

Die EU-Kommission prüft die Anträge und schlägt dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat dann eine Summe vor, die von beiden Gremien genehmigt werden muss. Anschließend werden die Gelder ausbezahlt. Die Länder sind selbst für die Umsetzung der Hilfen zuständig.

Noch hat Deutschland für das diesjährige Hochwasser keine Hilfen bei der EU beantragt. Es ist aber davon auszugehen, dass dies noch passieren wird. Mit diesen Anträgen ist ein bürokratischer Aufwand verbunden. Belgien hat seinen Antrag auf Hilfen allerdings schon eingereicht.

Der Vorwurf, die EU würde Deutschland bei Naturkatastrophen nicht unterstützen, trifft in jedem Fall nicht zu.

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