Demonstranten halten ein Transparent und eine mit einem Davidstern bedruckte Zeitungsseite hoch. Im Hintergrund in Unschärfe mehrere Menschen mit Palästina-Flaggen. (Symbolbild)
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Der Nahostkonflikt sorgt für viele Diskussionen, auch in der bayerischen Bevölkerung. Wo ist die Grenze zwischen Antisemitismus und Israelkritik?

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Antisemitismus, Antizionismus, Israelkritik: Was ist gemeint?

Der Krieg in Israel und im Gazastreifen heizt die politische Diskussion an. Dabei geht es auch um Begriffe wie Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? Ein Überblick.

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Die Diskussion um Israel und Gaza dominiert politische Debatten, soziale Medien und auch die Kommentarspalten von BR24. Schnell werden daraus auch Vorwürfe: Die einen seien antisemitisch und nicht nur Israel-kritisch, die anderen würden einen Genozid verharmlosen. Aber wie sind Äußerungen wie "from the river to the sea, Palestine will be free" oder Holocaust-Vergleiche mit den Palästinensern einzuordnen? Wo ist die Grenze zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik?

Antisemitismus kann man als Feindschaft gegen Juden, weil sie Juden sind, bezeichnen. Laut dem Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber ist der Begriff eine "Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden geltenden Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund dieser Zugehörigkeit [...] negative Eigenschaften unterstellen, um damit eine Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung oder Vernichtung ideologisch zu rechtfertigen." Antisemitismus folgte in der Vergangenheit religiösen, ökonomischen oder rassistischen Motiven.

Religiöser Antisemitismus reicht bis in die römische Antike zurück. Christen gaben Juden die Schuld am Tod Jesu. Die mittelalterlichen Kreuzzüge mit dem Ziel der Eroberung Jerusalems lösten in Europa eine neue Verfolgungswelle aus – Pogrome gegen die jüdische Minderheit. Legenden, die Juden begingen Ritualmorde, Brunnenvergiftungen oder Hostienfrevel, hielten sich lange.

Ökonomischer und rassistischer Antisemitismus

Da es Juden im Mittelalter verwehrt war, ein Handwerk auszuüben, verlegten sich viele auf den Handel und den Geldverleih. "Zinsjude" wurde im Laufe der Jahrhunderte vom Schimpfwort der Schuldner zum Kern einer Verschwörungstheorie. Den – angeblich finanzstarken – Juden wurde unterstellt, versteckt an der Eroberung der Weltherrschaft zu arbeiten. Nicht nur die Nationalsozialisten verbreiteten diese Verschwörungstheorie. Wegen ihrer antikapitalistischen Stoßrichtung sind auch Teile der politischen Linken dafür empfänglich.

Pseudowissenschaftliche Rassetheorien des 19. Jahrhunderts stellten Juden als minderwertige und "Germanen", "Nordische" oder "Arier" als vollkommene Rasse dar. Diese Abwertung verknüpften völkische Rechtsextremisten mit der Vorstellung jüdischer Weltherrschaftspläne. Die Juden wurden in medizinischer Sprache zum Zersetzer des "gesunden Volkskörpers" verzerrt, zu einem Fremdkörper, der ausgegrenzt, ausgestoßen, am Ende vernichtet werden musste. Der Holocaust war schreckliche Konsequenz dieser Ideologie.

Antisemitismus als Antizionismus

Antizionismus bezeichnete ursprünglich die Gegenbewegung zum Zionismus – also der jüdischen Besiedlung des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina. Heute versammeln sich unter dem Begriff Haltungen, die sich gegen die Expansion Israels in Form des Siedlungsbaus im Westjordanland wenden, aber auch solche, die die Legitimation des Staates Israels insgesamt bestreiten.

Das kann bis zu Forderungen reichen, die Existenz Israels auszulöschen. Die Losung "From the river to the sea, Palestine will be free" gilt als Aufruf, Israel von der Landkarte zu tilgen und einen Palästinenserstaat vom Fluss Jordan bis ans Mittelmeer zu errichten. Ein solcher Antizionismus ist antisemitisch, denn er "läuft auf die Aufhebung einer gesicherten Zufluchtsstätte für die Juden und eine damit verbundene Verfolgung hinaus."

Antisemitismus der Hamas und des Iran

Die islamistische Terrororganisation Hamas macht im "Judaismus" eine rassistische und fremdenfeindliche Religion aus. Zionismus erscheint hier als Realisierung typisch "jüdischer" Ideen. Der Iran – Unterstützer der Hamas und der islamistischen Hisbollah im Libanon – kombiniert Antizionismus mit einem aus dem Westen importierten antisemitischen Motiv: der Leugnung des Holocaust. Antisemitismusforscher Stephan Grigat zählt außerdem die Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel zu den Elementen des iranischen Antisemitismus.

Antisemitismus und Israel-Kritik

Kritik an Regierungen ist das Lebenselixier der Demokratie. Zehntausende Israelis demonstrierten das Woche für Woche, indem sie gegen die Justizreform von Ministerpräsident Netanjahu auf die Straße gingen. Antisemitisch ist Israel-Kritik laut der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags unter anderem, wenn sie mit antijüdischen Vorurteilen (Profitgier, Streben nach Weltherrschaft) verbunden ist oder wenn (wie bei der Hamas) Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt wird.

Eine verbreitete Form des Antisemitismus ist die Gleichsetzung Israels mit dem NS-Regime. Die Behauptung, was der Staat Israel mit den Palästinensern macht, sei im Prinzip dasselbe, was die Nationalsozialisten mit den Juden gemacht hatten, ist weit verbreitet. Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge stimmten 37 Prozent der im Jahr 2019 in Deutschland Befragten dieser Aussage zu. Die Antisemitismus-Experten Klaus Holz und Thomas Haury sehen darin eine Strategie, eigene antisemitische Positionen als "demokratisch" zu tarnen: "Eben dies ist ein wesentlicher Grund, warum das zentrale Problem des postnazistischen Antisemitismus als Antisemitismus gegen Israel gelöst wird."

Grenzen des Antisemitismus

Antisemitismus kommt heute teilweise wieder als offen zur Schau gestellter Judenhass daher. Am Tag des Überfalls der Hamas-Terroristen auf Israel zogen zum Beispiel Sprayer-Gruppen durch Berlin und schrieben neben Sprüche wie "Free Palestine" und "Hamas" auch "Sieg Heil" und "Lang lebe der Führer" auf Fassaden.

Doch natürlich sind Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern nicht dasselbe wie Äußerungen pro Hamas. Mitgefühl für Betroffene in Gaza oder das Verurteilen von Raketenangriffen, die auch die Zivilbevölkerung treffen, sind nicht allgemein antisemitisch. Ebenso ist die Formulierung "Free Palestine" laut Experten nicht per se antisemitisch, wenn sie nicht zum Beispiel gleichzeitig Israel sein Existenzrecht abspricht (wie es zum Beispiel in Kombination mit "from the river to the sea" der Fall ist") oder als Rechtfertigung für Terror-Attacken gegen Israel oder gegen Juden in aller Welt gebraucht wird.

Verbreitet tritt Antisemitismus aber in codierter Form auf und versteckt sich hinter Globalisierungskritik, Antiamerikanismus und Antiliberalismus. Nicht jede Kritik an den USA, an der Globalisierung und am Kapitalismus ist antisemitisch. Für den Politikwissenschaftler Samuel Salzborn bietet jedoch "der moderne Antisemitismus als kognitives und emotionales Weltbild ein allumfassendes System von Ressentiments und (Verschwörungs-)Mythen".

Dabei wird meist folgendes Standard-Narrativ ins Feld geführt: Ein finanzstarkes (jüdisches) Machtkartell dominiere die US-Politik mit dem Ziel, eine "Neue Weltordnung" zu schaffen. Rechtsextremisten benutzen dabei Code-Wörter wie "USrael" oder "Zionist Occupied Government" (ZOG – Zionistische besetzte Regierung). Der "Reichsführer SS" Heinrich Himmler, einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, bezeichnete 1944 den "Amerikanismus" als "Weltgefahr". Der nationalsozialistische Verschwörungsmythos jüdischer Weltherrschaftspläne fügt sich passgenau in das antiamerikanische Narrativ ein, ohne dass das antisemitische Motiv in den Vordergrund rücken muss.

Video: Bayerns Innenminister Herrmann im Interview zum Thema Antisemitismus

Joachim Herrmann (CSU)
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Joachim Herrmann (CSU)

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