Symbolbild: Flüchtling in Handwerksbetrieb
Bildrechte: BR/Philipp Kimmelzwinger

Symbolbild: Flüchtling in Handwerksbetrieb

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Sollten Flüchtlinge früher arbeiten dürfen?

Weniger Flüchtlinge sollen nach Deutschland kommen, sagen die Parteien. Strittig ist dagegen, inwieweit Flüchtlinge früher arbeiten sollten. Was Kommunalpolitiker, Forscher und Flüchtlingshelfer dazu sagen – und warum der Wohnort wichtig ist.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Es dauert nicht lange, da klingelt das Handy von Tanja Bless. Entweder melden sich Flüchtlinge, die einen Job suchen. Oder es melden sich Unternehmen, die Flüchtlinge für einfache Arbeiten suchen. Wenn man so will, ist die gelernte Projektmanagerin eine Art Jobcenter auf zwei Beinen.

Seit der ersten großen Flüchtlingswelle 2015 engagiert sie sich im südlichen Landkreis Augsburg als Helferin. Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, ist eines ihrer Anliegen: "Die Motivation zu arbeiten ist bei vielen Flüchtlingen von Anfang an da. Es gibt zwar Leute, die nicht arbeiten wollen. Aber das sind ganz wenige. Sehr viele wollen wissen, was sie tun können, ob sie arbeiten können."

Helferin: "Meistens sage ich den Firmen ab"

Und die Flüchtlinge seien gefragt, vor allem, wenn es um einfache Tätigkeiten gehe. Regelmäßig würden sich Zeitarbeitsfirmen, Logistikbetriebe oder Discounter bei Bless melden. "Meistens sage ich den Firmen aber ab. Es ist zu kompliziert."

Doch warum? Immerhin können Flüchtlinge in der Regel nach sechs Monaten arbeiten, zumindest wenn es die Behörden genehmigen. Doch hier beginnt das Problem, sagt Bless: "Die Jobs gehen innerhalb einer Woche weg. Wenn ich da erst einen Antrag stellen muss, der vielleicht noch von der einen Stelle zur anderen geschickt werden muss, da möchten die Firmen nicht drauf warten."

Warum rechtliche Unsicherheit ein Problem ist

Ein weiteres Problem ist die Ungewissheit: "Die Firmen stellen ungern jemanden ein, von dem sie nicht wissen, ob dieser Mensch überhaupt bleibt", sagt Prof. Herbert Brücker, der sich wie kaum ein Forscher mit Flüchtlingen und ihrer Rolle auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt hat. Ähnlich sei es bei den Geflüchteten selbst: "Dann investiert man zum Beispiel weniger in Sprache, weniger in Integration."

Brücker und Bless fordern deshalb, Flüchtlingen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. "Jeder der arbeitet, fällt dem Sozialstaat nicht zur Last. Ansonsten zahlt für ihn der Steuerzahler. Und das kann man sich schenken", sagt Forscher Brücker. "Gerade für die Männer, für deren Status, ist es wichtig zu arbeiten und für ihre Familie zu sorgen", sagt Bless.

Was der Forscher der Politik empfiehlt

Die vom Bund gestarteten Reformen seien dahingehend "kein großer Wurf", so Brücker. Entscheidend sei, dass die Asyl- und Gerichtsverfahren schneller entschieden werden - und damit die Frage, ob ein Flüchtling wirklich bleiben darf: "Dann nehmen die Leute an Sprachkursen teil, dann gehen die Beschäftigungsquoten hoch, dann nimmt die Lebenszufriedenheit zu, und dann beginnen die Menschen, soziale Kontakte zur einheimischen Bevölkerung aufzubauen."

Umgekehrt gelte: Je länger ein Asylverfahren dauert, desto später erfolgt die Integration der Menschen auf den Arbeitsmarkt. Um die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen, ist laut Brücker vor allem eines nötig: mehr Personal. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Und bei den Gerichten.

Auch die Wirtschaft fordert weniger Verbote und Bürokratie für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt. Skeptisch ist dagegen die Union. Das Asylrecht könnte sonst der "einfachste Weg" in den deutschen Arbeitsmarkt werden. Experte Brücker entgegnet, dass es keine Belege dafür gebe, dass ein schnellerer Zugang zum Arbeitsmarkt ein Anreiz sei, nach Deutschland zu kommen. Entscheidend sei die langfristige Bleibeperspektive.

Augsburger Sozialreferent: Potenzial könnte ungenutzt bleiben

Nachfrage bei Augsburgs Sozialreferent Martin Schenkelberg, einem Mann der Praxis. Da er aus dem Rheinland stammt, ist er sowohl CDU- als auch CSU-Mitglied. Eine echte Unions-Meinung von der Basis also. Und die klingt so: "Wenn Menschen arbeiten können und wollen, dann wäre es gut, wenn sie das so früh wie möglich können."

Schenkelberg sieht eher das Problem, dass durch den freien Zugang zum Arbeitsmarkt Potenzial verschenkt wird: "Wir sollten vorher schon checken, welche Fähigkeiten jemand hat und dann gegebenenfalls lieber Qualifizierungsmaßnahmen anbieten, damit dieser Mensch am Ende einer höherwertigen Arbeit nachgehen kann um dann nachhaltiger Geld zu verdienen und seine Familie zu ernähren. Daran sollten wir auch als Gesellschaft interessiert sein."

Gleichzeitig müsse Deutschland von "seinem hohen Ross" herunterkommen und für gewisse Berufe die Standards senken. Das würde helfen, um von dem ausländischen Arbeitskräftepotential wirklich zu profitieren und die "massive" Anzahl offener Stellen wieder besetzen zu können.

Bildrechte: BR/ Andreas Herz
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Der Augsburger Sozialreferent Martin Schenkelberg (CSU)

Schneller Arbeit auch für abgelehnte Asylbewerber?

Doch was ist etwa mit abgelehnten Asylbewerbern? "Nur wenn die Menschen dauerhaft bleiben können, sollten sie auch arbeiten", sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Auch die SPD vertritt diese Linie. Ansonsten würden Menschen ohne Bleiberecht integriert, deren spätere Ausreise wiederum schwierig werde.

Forscher Brücker widerspricht: "Warum sollte jemand nicht hier arbeiten bis zur Ausreise? Zudem: Viele, die später durch Gerichte oder den Verwaltungsweg noch anerkannt werden, könnten dann nicht arbeiten. Wenn wir aber zwei Jahre warten, bis das Gericht entschieden hat, verlieren wir enorm viel Zeit für die Integration und natürlich auch Geld."

Prof. Panu Poutvaara vom Münchner ifo-Institut will wie Brücker Arbeits-Hemmnisse beseitigen: "Arbeitsverbote haben langfristige negative Effekte, auch nachdem das Verbot aufgehoben wurde." Er plädiert aber dafür, zunächst nur Geflüchtete mit "guter Bleibeperspektive so früh wie möglich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Restriktionen für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern sollten beibehalten werden." Wer aber bereits arbeite, "sollte nicht die Gefahr haben, dass die Arbeitserlaubnis wieder entzogen wird", so Poutvaara weiter.

Warum der Wohnort so wichtig ist

Gänzlich einig sind sich die Forscher in einem weiteren Punkt: Der Verteilung der Flüchtlinge. "Wir haben die Menschen überwiegend in strukturschwache Region mit hoher Arbeitslosigkeit verteilt. Das war ein großer Fehler", so Brücker. Wo die Arbeitslosigkeit höher ist, finden Flüchtlinge nur schwer einen Job, zeigen Poutvaaras eigene Untersuchungen. Der ifo-Forscher plädiert dafür, bei der Verteilung der Menschen mehr auf verfügbare Jobs zu achten.

Wie gut die Flüchtlinge, die bleiben dürfen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, hat Prof. Brücker mit seinem Team untersucht. Von denen, die während der ersten Flüchtlingswelle 2015 gekommen sind, hätten inzwischen mehr als 60 Prozent einen Job. "Das ist viel besser als bei den jugoslawischen Geflüchteten, die damals während der Bürgerkriege gekommen sind", sagt Brücker. Zur Einordnung: In der deutschen Gesamtbevölkerung haben rund 76 Prozent eine Arbeit.

Interessant in diesem Zusammenhang ist der Anteil der Menschen, die zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen noch Bürgergeld beziehen. In der deutschen Gesamtbevölkerung sind es 1,5 Prozent. Bei den Menschen aus den Haupt-Flüchtlingsländern wie Afghanistan oder Syrien sind es 7,5 Prozent, so die Bundesagentur für Arbeit auf BR-Anfrage. In Bayern sind es 0,7 Prozent insgesamt und 5 Prozent bei den Geflüchteten. Andere Sozialleistungen wie zum Beispiel Wohngeld würden statistisch nicht erfasst.

Die Flüchtlingshelferin Tanja Bless hofft derweil, dass die Debatte Früchte trägt. Es könnte ihre Jobvermittlung leichter machen. Und ihre Handykosten senken.

💡 Arbeitserlaubnis: Welche Regeln gelten für Flüchtlinge?

Für Geflüchtete gilt erstmal ein Arbeitsverbot. Sechs Monate nach Ankunft könnten Asylbewerber mit Kindern grundsätzlich eine Arbeit aufnehmen – Asylbewerber ohne Kinder nach neun Monaten und Flüchtlinge, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung leben müssen, bereits nach drei Monaten. Allerdings muss die Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis ausstellen.

Für Ausländer aus sicheren Herkunftsstaaten wie unter anderem Bosnien, Ghana und dem Kosovo bleibt das Arbeitsverbot auch nach neun Monaten bestehen. Ebenso für Geduldete, die ihre Abschiebung behindern oder Mitwirkungspflichten verletzen, in dem sie zum Beispiel selbstverschuldet keine Ausweisdokumente vorlegen.

Anerkannte Flüchtlinge, deren Verfahren positiv beschieden wurde und die damit eine Aufenthaltserlaubnis haben, können ohne Einschränkungen eine Arbeit aufnehmen.

Im Video vom 27.09.: Schwierige Integration von Geflüchteten

Schwierige Integration von Geflüchteten
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Schwierige Integration von Geflüchteten

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!