Christiana Bukalo, Staatenlose und Gründerin der Initiative "Statefree"
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Christiana Bukalo, Staatenlose und Gründerin der Initiative "Statefree"

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Staatenlos: Das komplizierte Leben ohne Pass

Rund 126.000 Menschen in Deutschland gelten als staatenlos. Viele sind sogar hier geboren. Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts haben sie große Hoffnungen verbunden - und sind jetzt enttäuscht. Ergänzt durch "Dein Argument".

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Christiana Bukalo wurde in München geboren, ist hier zur Schule gegangen. Und sie ist staatenlos. Das macht den Alltag oft kompliziert. Konto eröffnen, Behördengänge, Reisen, selbst ein Paket bei der Post abzuholen – all das kann zur Herausforderung werden. "Man fühlt sich eigentlich, als ob man ein Teil von hier wäre, aber das Umfeld sieht es nicht so", sagt die 29-Jährige.

Staatenlosigkeit geerbt

Christiana Bukalo hat die Staatenlosigkeit von ihren Eltern "geerbt", könnte man sagen. Denn sie kamen ohne Dokumente aus einem westafrikanischen Land nach Deutschland - besaßen aber keine Geburtsurkunde, Ausweis oder sonstige Dokumente, die ihre Identität nachweisen hätten können. Deshalb wurden sie als staatenlos eingestuft. "Ich wurde hier geboren und dann als Kind mit einer ungeklärten Staatsangehörigkeit kategorisiert", erzählt sie.

In Deutschland entscheidet in erster Linie das Abstammungsprinzip über die Staatsangehörigkeit. Kinder übernehmen also die Staatsangehörigkeit der Eltern, oder eben die Staatenlosigkeit – wie im Fall von Christiana Bukalo.

Vielfältige Ursachen für Staatenlosigkeit

Staatenlosigkeit kann aber nicht nur von den Eltern übertragen werden. Es gibt auch Fälle, in denen Menschen ihre Staatsangehörigkeit verlieren, weil Staaten zerfallen, wie zum Beispiel nach dem Jugoslawienkrieg. Damals fielen Menschen durch das Raster, weil kein Nachfolgestaat sie als Staatsbürger anerkannte. Oder Staaten entziehen ethnischen oder religiösen Minderheiten die Staatsbürgerschaft, um ihnen damit grundlegende Rechte zu nehmen. So geschehen in Myanmar mit der muslimischen Minderheit der Rohingya.

Staatenlosigkeit bedeutet immer auch Unsicherheit. "Als staatenlose Person stehe ich als Individuum gegenüber einem Staat, der mich nicht als Staatsangehörige anerkennt und deswegen mir nicht denselben Schutz gewährt wie allen anderen Freundinnen von mir, die auch in Deutschland geboren sind", erklärt Christiana Bukalo.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund von Kommentaren von Nutzerinnen und Nutzern wie "AntonausmRottal" und "Amelia" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" um weitere Informationen zum Thema Staatenlosigkeit ergänzt.

"Staatenlos" und "ungeklärt staatenlos" - ein Unterschied

Von den rund 126.000 Menschen, die in Deutschland oft umgangssprachlich als staatenlos bezeichnet werden, haben drei Viertel eine "ungeklärte Staatsangehörigkeit". Diese Personengruppe kann sich nur eingeschränkt auf internationale Schutzrechte berufen, eine Einbürgerung ist ausgeschlossen. Es handelt sich um Personen, die ihre Identität nicht nachweisen können, weil sie keine Dokumente besitzen, diese verloren gegangen sind, vernichtet wurden oder Herkunftsländer nicht kooperieren. Oft betrifft dies Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Beantragen sie in Deutschland Asyl, wird umfassend versucht, ihre Herkunft zu klären.

Wer dagegen als "staatenlos" offiziell anerkannt ist – das sind in Deutschland etwa 30.000 Personen – kann sich auch um eine Einbürgerung bemühen. In der Regel muss man sich dafür mindestens sechs Jahre lang dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Offiziell anerkannte Staatenlose können auch einen speziellen Reiseausweis beantragen.

Mehr Aufmerksamkeit für das Thema Staatenlosigkeit

Auch auf Christiana Bukalos Aufenthaltskarte war bis vor einigen Jahren zu lesen, dass ihre Staatenlosigkeit ungeklärt ist. In den vergangenen Jahren ist die Zahl von Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit in Deutschland stark angestiegen. Eine Ursache dafür sind die vielen Migrationsbewegungen. Christiana Bukalo möchte das Problem sichtbarer machen. Deshalb hat sie in München die Organisation "Statefree" gegründet. Sie will Informationen für Staatenlose bereitstellen, sich aber auch für eine bessere rechtliche Situation von Staatenlosen einsetzen.

Kritik: Kein Standard-Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit

Christiana Bukalo ist mittlerweile als staatenlos anerkannt, was ihre rechtliche Situation deutlich verbessert. Die 29-Jährige kritisiert jedoch, dass es keine standardisierten Verfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit gibt. Das Vorgehen der Behörden scheint für Betroffene zum Teil undurchschaubar, manchmal sogar willkürlich. Das führt immer wieder zu bizarren Situationen, in denen beispielsweise Geschwister einen unterschiedlichen Status besitzen, obwohl beide die gleiche Herkunftsgeschichte haben.

Vorbild Großbritannien: Eigenes Verfahren

Andere Länder in Europa seien da deutlich weiter, sagt Judith Beyer, Expertin für Staatenlosigkeit an der Uni Konstanz. Sie hätten standardisierte Verfahren, um Staatenlosigkeit festzustellen. Beyer selbst wirkt als unabhängige Gutachterin in solchen standardisierten Verfahren in Großbritannien mit. Sie überprüft dabei auch die Plausibilität der Lebensgeschichte von vermeintlich Staatenlosen. Judith Beyer ist unter anderem Expertin für Südasien. Wenn - wie so oft - eindeutige Dokumente fehlen, dienen ihre Gutachten mitunter als Basis für Gerichte, um die Staatenlosigkeit einer Person abschließend festzustellen. 💬

Hoffnung auf Reform des Staatsbürgerschaftsrechts

Viele Betroffene hatten die Hoffnung, dass sich ihre Lage mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts – einem wichtigen Projekt der Ampelkoalition – verbessert. Aber als der Gesetzentwurf öffentlich wird, stellt sich heraus: Staatenlosigkeit wird darin nicht angesprochen. Für Betroffene ist das eine Enttäuschung. Das Bundesinnenministerium sieht jedoch keinen Handlungsbedarf. Die Belange Staatenloser würden im Staatsangehörigkeitsrecht bereits ausreichend berücksichtigt, heißt es.

Das möchte Sawsan Chebli so nicht stehen lassen. Die SPD-Politikerin wurde in Berlin als Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie geboren und war die ersten 15 Jahre ihres Lebens selbst staatenlos: "Fakt ist: Staatenlosigkeit ist eine Verletzung der Menschenrechte. In Artikel 15 der Menschenrechtscharta heißt es, dass jeder Mensch das Recht hat auf eine Staatsangehörigkeit, und dieses Recht verletzt Deutschland seit Jahrzehnten."

Kommen verbesserte Verfahren in Behörden?

Immerhin scheinen sich Verbesserungen bei der Überprüfung von Staatenlosigkeit abzuzeichnen. Bislang sind diese Verfahren in Deutschland ja eben nicht vereinheitlicht – im Gegensatz zu mehreren europäischen Ländern. Könnte sich das in Zukunft ändern? Das bayerische Innenministerium erklärt, dass eine Prüfung laufe, ob ein festgelegtes Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit nicht doch sinnvoll sein könnte.

Christiana Bukalo freut sich über diese Entwicklung und hofft, dass sich doch noch etwas bewegt: "Man kann ja auch Schritt für Schritt Veränderungen und Lösungen bewirken."

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