Köln: Ein beschädigtes Plakat mit den Schriftzügen "Wohlstandsvernichtung" und "Klimasozialismus" hängt am Straßenrand.
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Köln: Ein beschädigtes Plakat mit den Schriftzügen "Wohlstandsvernichtung" und "Klimasozialismus" hängt am Straßenrand.

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Anti-Grünen-Kampagne: Wahlkampf nach amerikanischem Vorbild?

"Ökoterror" und "Klimasozialismus" - eine Anti-Grünen-Aktion sorgt für heftige Reaktionen. Die Taktik dieses "Negative Campaigning" kennt man bisher hauptsächlich aus den USA. Erleben wir das nun verstärkt auch in Deutschland? Eine Analyse.

Eine ältere Frau sitzt allein in ihrem Wohnzimmer. Im Fernsehen laufen Nachrichten. Ein Sprecher sagt, dass Joe Biden die Finanzmittel für die Polizei drastisch kürzen wolle. Dann sieht die Seniorin, wie ein Einbrecher versucht, durch ihre Vordertür einzudringen. Sie ruft den Notruf, aber keiner geht dran. Dann wird der Satz eingeblendet: "Sie werden in Joe Bidens Amerika nicht sicher sein."

Die Szene stammt aus einem Wahlkampf-Werbespot der Trump-Kampagne von letztem Jahr. Es ist ein Beispiel für eine in den USA schon lange und häufig eingesetzt Methode im Wahlkampf: Negative Campaigning. Man erklärt nicht, warum die Wähler einem die Stimme geben sollten, sondern warum sie es unter keinen Umständen beim politischen Gegner tun sollten. Es geht um Diffamierung des politischen Gegners. Und dabei werfen die Akteure nicht selten mit richtig viel Schmutz um sich.

Plakat-Aktion gegen die Grünen

In Deutschland haben nun zwei Plakat-Aktionen für Wirbel gesorgt. Zum einen gibt es die Anti-Grünen-Kampagne "Grüner Mist". In mehreren deutschen Großstädten hängen Plakate in der Optik der Partei, grüne Farbe mit einer - wenn auch hängenden - Sonnenblume, dazu Schlagworte wie "Ökoterror", "Wohlstandsvernichtung" oder "Klimasozialismus". Gebucht wurden sie über Werbeträger der Ströer Gruppe. Inhaltlich sei man dort aber nicht dafür verantwortlich. Man habe sogar mehrere Motive abgelehnt, teilte das Unternehmen tagesschau.de mit. Diese wären offenbar noch drastischer gewesen.

Hinter der Aktion steckt Conservare Communication GmbH, eine Firma mit Sitz in Hamburg. Deren alleiniger Gesellschafter ist David Bendels, ein ehemaliges CSU-Mitglied und nach eigenen Angaben nun Parteiloser. Bendels ist auch Vorsitzender des "Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten", der in vergangenen Wahlkämpfen mit Plakaten und Broschüren zur Wahl der AfD aufrief. Die AfD erklärte aber, dass sie nichts mit der Aktion zu tun habe, auch wenn sie "inhaltlich sicher begrüßenswert" ist, wie die Partei dem ARD-Hauptstadtstudio mitteilte.

Die Aktion gegen die Grünen ist nicht die einzige dieser Art. Auch die CDU ist zur Zielscheibe geworden. Auf Plakaten, die in einigen Städten zu sehen waren und ebenfalls die Optik der Partei übernommen hatten, waren Slogans wie: "Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es." Zu dieser Aktion hatte sich die Klima-Gruppierung "Extinction Rebellion" bekannt.

Negative Campaigning: Lange Tradition in den USA

In den USA hat Negative Campaigning eine lange Tradition. Als Startpunkt gilt die Wahl 1800 zwischen Amtsinhaber John Adams von Federalist Party und seinem Herausforderer Thomas Jefferson von den Democratic-Republicans. Zivilisierter ging es auch damals nicht zu. Im Gegenteil, Rassismus und Sexismus waren Stilmittel: Adams Lager ließ mitteilen, Jefferson sei ein "bösartiger, beschränkter Kerl, Sohn eines Halblbut-Squaq-Indianers, gezeugt von einem Mulatten-Vater aus Virginia". Adams wiederum wurde von Jeffersons Gefolgschaft diffamiert als "abscheulicher, hermaphroditischer Charakter, der weder die Stärke, Entschlossenheit noch die Güte eines Mannes und stattdessen die Sensibilität einer Frau" habe.

Das Prinzip der heftigen Attacken blieb eine Konstante in den Wahlkämpfen der USA. Im frühen Zeitalter der Massenmedien ist besonders ein TV-Werbespot in Erinnerung geblieben: im ohnehin schon extrem heftigen Wahlkampf 1964 zwischen Lyndon B. Johnson von Demokraten und dem republikanischen Hardliner Barry Goldwater. Der "Daisy Spot" zeigte ein Mädchen, das auf einer Blumenwiese Gänseblümchen zupft und von eins bis neun zählt. Dann setzt eine Männerstimme ein, die wie bei einem Raketenstart von zehn runterzählt. Am Ende explodiert eine Atombombe. Johnson beendet den Spot mit dem Satz: "Darum geht es hier – eine Welt zu schaffen, in der Gottes Kinder leben können oder in die Dunkelheit gehen. Wir müssen uns entweder lieben - oder wir müssen sterben." Der Wahlkampf-Spot wurde nur einmal ausgestrahlt und rief heftige Reaktionen vor.

Weitere Höhepunkte waren der Wahlkampf 1988 zwischen George H. Bush und dem Demokraten Michael Dukakis. Bei Barack Obama vermischte sich Negative Camapigning mit Verschwörungstheorien, dass Obama wahlweise Muslim, Sozialist oder Kommunist sei. Die beiden Trump-Wahlkämpfe 2016 und 2020 erreichten in Sachen Tonalität dann abermals neue Extreme.

Negative Campaigning gibt es auch in Deutschland schon länger

Von diesen Eskalationsstufen ist man in Deutschland weit entfernt. Allerdings ist Negative Campaigning auch hierzulande nicht neu. Schon Konrad Adenauer nutzte die Taktik, unterstellte beispielsweise zwei SPD-Politikern öffentlich, Geld von der SED angenommen zu haben. Willy Brandt wurde mehrfach zur Zielscheibe konservativer Kreise, in denen Vorwürfe bis hin zum Vaterlandsverrat lanciert wurden.

Adenauer nannte ihn öffentlich bei seinem Geburtsnamen Frahm, um auf dessen unehelicher Geburt und seine Zeit im Exil während des Dritten Reichs anzuspielen. Das Duell zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß war ebenfalls von heftigen Attacken auf den Charakter des jeweils anderen Kandidaten geprägt. Auch die Rote-Socken-Kampagne, die die Union gleich mehrfach auspackte, um die Gefahr einer Zusammenarbeit zwischen SPD, Grünen und PDS heraufzubeschwören, war Negative Campaigning.

Eine neue Qualität haben die Plakat-Aktionen in diesem Wahlkampf dahingehend, dass private und vor allem unbekannte Geldgeber mit großen finanziellen Mitteln versuchen, den Wahlkampf zu beeinflussen. Beobachtern zufolge müsste die Aktion mehrere Hunderttausend Euro gekostet haben. Die Anzeigen auf Facebook, die Werbevideos und die Website sind dabei noch nicht mit eingerechnet. Bei der Aktion der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)", die Mitte Juni mit Anzeigen die Grünen ins Visier nahmen, kannte man die Quelle. Auch bei einer Pro-Gerhard-Schröder-Kampagne ("Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein") waren die Autoren bekannt.

In den USA gibt es diese Form der Wahlkampf-Unterstützung schon länger in Form sogenannter PACs (Political Action Committees). Das sind Lobbygruppen, die eine Partei oder häufig auch nur einen Kandidaten unterstützen, aber zumindest offiziell nichts mit ihnen zu tun haben oder auch nur Kontakt haben dürfen. Häufig unterstützen Superreiche diese PACs, von konservativer Seite etwa die Milliardäre Charles und David Koch, von liberaler zum Beispiel George Sorros. Doch nicht selten sind die Geldgeber auch hier unbekannt.

Neue Schärfe im Wahlkampf?

Erleben wir mit der Plakat-Aktion eine neue Eskalationsstufe im Wahlkampf? Die Bild titelte Anfang Juli schon: "Der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten". Die FAZ fragte: "Wird das der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten?" Nicht erst seit diesem Jahr wird von einer Amerikanisierung des Wahlkampfs gesprochen.

Bevor sich die Conservare Communication GmbH als privater Akteur in den Wahlkampf eingeschaltet hat, gab es heftige Attacken der Parteien aufeinander. Teile der Union stürzten sich auf Baerbocks Fehler im Lebenslauf sowie die kopierten Stellen in ihrem Buch. Der Grünen-Vize Oliver Krischer wiederum sorgte mit einem Tweet für heftige Reaktionen, als er CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet indirekt für Klimatote verantwortlich machte. Auch die AfD ist für heftige Attacken im Wahlkampf bekannt.

Die SPD sorgte für Diskussion mit einem Wahlwerbespot gegen Laschet, in dem es unter anderem heißt: "Wer Laschet und die CDU wählt, wählt eine Politik, die Reiche reicher und Arme ärmer macht". Noch kontroverser war allerdings die Attacke auf Nathanael Liminski in dem Clip, Chef der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen und ein Vertrauter Laschets. Er gehöre zu den "erzkatholischen Laschet-Vertrauten, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist." Diesen persönlichen Angriff wertete beispielsweise Günter Krings, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag, gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger als "doppelten Tabubruch, den ich unter Demokraten nicht für möglich gehalten hätte". Die SPD hat inzwischen angekündigt, den Clip nicht mehr zu verwenden.

Unterstützung von der politischen Konkurrenz

Nach der Plakat-Aktion gegen die Grünen zeigte sich aber auch, dass derartige Manöver noch nicht Teil der politischen Kultur hierzulande sind. Sowohl CDU als auch SPD sprangen den Grünen zur Seite. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nannte die Aktion "rechten Müll". Für CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ist die Kampagne "widerwärtig", er bekundete "volle Solidarität" mit dem politischen Gegner. Es ist auch nicht lange her, dass Horst Seehofer die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wegen der Plagiatsvorwürfe öffentlich verteidigte. Dass die Plakat-Aktion derart hohe Wellen schlägt, könnte auch Symptom eines Wahlkampfs sein, in dem es bisher eher ruhig zugeht.

Laut Studien lehnen die meisten Wähler wüste Attacken auf den politischen Gegner ab, auch wenn häufig etwas von den Anschuldigungen hängen bleibt. Doch gerade in jüngerer Vergangenheit schienen Wähler eher verschreckt von zu schrillen Tönen im Wahlkampf zu sein. Oder überspitzt formuliert: Angela Merkel wäre nicht 16 Jahre lang Kanzlerin gewesen, wenn der deutschen Bevölkerung nach Krawall im Wahlkampf wäre.

Zudem können Aktionen wie die Anti-Grünen-Plakate auch einen gegenteiligen Effekt haben. "Dieser externe Angriff kann durchaus auch zur internen Mobilisierung führen", erklärte der Strategieberater Julius van de Laar im Interview mit dem WDR. Die Grünen reagierten auch auf die Aktion und riefen ihre Anhänger in einer Mail zur Unterstützung und zu Spenden auf, um sich dagegen zu wehren.

Vom schärfsten Wahlkampf aller Zeiten ist man auch nach diesen Plakaten ein gutes Stück entfernt. Die Reaktionen zeigen, dass es hierzulande noch keine Attacken-Kultur nach amerikanischem Vorbild gibt. Dass unbekannte Geldgeber sich verstärkt auf eigene Faust mit solchen Aktionen einmischen, ist allerdings eine neue Qualität und könnte auch in zukünftigen Wahlkämpfen eine Rolle spielen. Ob die Aktionen den gewünschten Effekt haben, bleibt aber eine andere Frage.

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