So sah die Ost-West-Friedenskirche in München aus.
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So sah die Ost-West-Friedenskirche in München aus.

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Ude: Väterchen Timofej war Bayerns erfolgreichster Hausbesetzer

Die abgebrannte Ost-West-Friedenskirche von Väterchen Timofej ist ein Teil Stadtgeschichte, sagt Münchens Alt-OB Ude. Sie müsse wieder aufgebaut werden – gerade jetzt. Erinnerungen an einen magischen Ort im roten Trümmerfeld und einen Volksaufstand.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Es ist ein Unglück, das viele Münchner schmerzt: In der Nacht auf Sonntag ist Väterchen Timofejs Ost-West-Friedenskirche im Olympiapark komplett niedergebrannt.

Das Münchner Polizeipräsidium hat die Ermittlungen aufgenommen. Hinweise auf eine vorsätzliche Brandstiftung gibt es nicht. Als Brandursache nimmt die Polizei vielmehr das "Vorliegen eines technischen Defekts in der verbauten Elektronik im Inneren des Kirchenhauses" an. Wie hoch der Schaden sei, könne man nicht sagen, "da der immaterielle Wert deutlich höher als der eigentliche Wert des Gebäudes lag".

Ude im Interview: "Hoffnungssymbol muss unbedingt erhalten werden"

Münchens Alt-Oberbürgermeister Christian Ude zeigte sich gegenüber BR24 entsetzt über den Brand und fordert einen schnellen und detailgetreuten Wiederaufbau.

BR24: Herr Ude, der Zeitpunkt dieses Brandunglücks mitten im Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist wirklich kurios, oder?

Christian Ude: Ich habe auch zunächst die Sorge gehabt, es könne einen aktuellen Zusammenhang geben – dass es zum Beispiel eine Brandstiftung oder ein Anschlag war. Aber dafür gibt es meines Wissens bis heute keinerlei Anhaltspunkte.

BR24: Wie würden Sie den Ort mitten im Tollwood-Gelände beschreiben?

Ude: Ich habe ihn schon in meiner Kindheit als magischen Ort empfunden. Damals war ja das ganze Oberwiesenfeld eine ziegelrote Schutthalde, wo der Bauschutt der ganzen Stadt angehäuft wurde. Und mitten in diesem roten Trümmerfeld entstand der kleine Garten Eden. Das war das Hoffnungssymbol schlechthin! Wir sind da als Schwabinger Kinder mit dem Tretroller hingefahren und haben den Russen gefürchtet, obwohl er nichts anderes sang, als Maria zu ehren. Und so wie mir geht es vielen meiner Alterskohorte, dass sie da Erinnerungen aus verschiedenen Jahrzehnten haben – natürlich vor allem an den Streit, dass die Olympischen Spiele ihn nicht vertreiben durften. Damit ist es ein Teil Stadtgeschichte, und das muss unbedingt erhalten werden.

Video: Wie Timofej die Olympia-Architekten inspirierte

Väterchen Timofejs Architektur inspirierte sogar die Olympia-Architekten.
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Väterchen Timofejs Architektur inspirierte sogar die Olympia-Architekten.

BR24: Dabei gab es dafür nie eine Baugenehmigung. War Väterchen Timofej ein Rebell?

Ude: Er war der erfolgreichste Hausbesetzer, den es in Bayern je gegeben hat. Aber er hat es eben nicht als politischer Rebell gemacht, der die Gesetze missachtet oder die Bauvorschriften ignoriert. Er hat es schlicht und ergreifend gemacht, weil es ihm die Jungfrau Maria im Traum befohlen hat. Dagegen war die bayerische Polizei machtlos. So konnte er sich halten. Und als die Olympia-Planung ihn entfernen wollte, hat er mit so vielen Menschen gesprochen, dass es so viele Unterschriften und Leserbriefe gab, dass es ein kleiner Volksaufstand war. Sowohl Oberbürgermeister Vogel als auch Olympia-Repräsentant Daume haben gesagt: Wir wollen doch nicht die Olympischen Spiele, die heitere Spiele werden sollen, mit dem gewaltsamen Abriss einer Kirche beginnen – da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen! Und so wurden die Reitanlagen in den Münchner Osten verlegt, und Väterchen konnte bleiben.

BR24: Was ist heute mit den Genehmigungen und den Kosten?

Ude: Mit den Genehmigungen gibt es natürlich Probleme. Aber der Wiederaufbau, der baurechtlich gesehen, auch Bestandsschutz hätte, der ist meines Erachtens nach möglich – auch preiswert mit Bauschutt, der auch heute bei jedem Abriss und Neubau anfällt, um das Ganze originalgetreu zu errichten. Es gibt kaum ein Gebäude, das im Lauf der Jahrzehnte öfter fotografiert, gefilmt worden ist. Man hat also exakte Unterlagen und kann es haargenau originalgetreu wieder errichten – wenn man will.

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Münchens Alt-OB Christian Ude fordert den Wiederaufbau der kleinen Kirche von Väterchen Timofej im Olympiapark.

Die Ost-West-Friedenskirche wurde in den 1950er-Jahren von Väterchen Timofej am Oberwiesenfeld, dem heutigen Olympiapark, errichtet. Timofej war ein Eremit aus Russland. Nach seiner ersten Marienvision wanderte er durch die Lande, lernte in Wien seine Frau Natascha kennen und gelangte schließlich nach München. Dort ließ sich das Paar am Oberwiesenfeld nieder und errichtete neben seiner Hütte eine Kapelle, die später zu einer Kirche ausgebaut wurde.

Väterchen Timofejs Nachfolger stammt aus der Ukraine

Als Baumaterial nutzten sie herumliegenden Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg und allerlei Unrat. So war beispielsweise die Decke des Gebäudes mit glitzerndem Schokoladenpapier versilbert. Vor seinem Tod setzte der Russe Timofej einen Nachfolger ein, der sich bis heute mit um die Kirche kümmert. Dieser stammt aus der Ukraine.

Video: Väterchen Timofejs Kirche ist abgebrannt

Die Ost-West-Friedenskirche im Münchener Olympiapark ist niedergebrannt.
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Die Ost-West-Friedenskirche im Münchener Olympiapark ist niedergebrannt.

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