Archivbild: Aiwanger und Söder
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"Sorgen um die Stammtischhoheit": Söders Aiwanger-Dilemma

Für CSU-Chef Söder ist Aiwanger Partner und großer Konkurrent zugleich. Dass der Freie-Wähler-Vorsitzende verstärkt auf Populismus setzt, ist für Söder im Wahlkampf eine Herausforderung: Es geht um Stimmen, aber auch um Glaubwürdigkeit. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Pfiffe und Buh-Rufe - Markus Söder musste sich erst Gehör verschaffen auf der Anti-"Heizungsideologie"-Demo in Erding. "Hier vorne stehen einige, die rufen: 'Hau ab!' Ich kann ihnen nur sagen: Haut selber ab! Wer so agiert, ist kein Demokrat." Er sei zu der Kundgebung gekommen, weil Mitorganisatorin Monika Gruber ihn persönlich darum gebeten habe. Manch Beobachter unterstellt Söder allerdings, dass er weniger wegen der Kabarettistin nach Erding gefahren ist als wegen seines Stellvertreters: Er habe Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger das Feld nicht allein überlassen wollen. Denn: Es ist Landtagswahlkampf in Bayern.

CSU und Freie Wähler betonen immer wieder, dass sie weiter koalieren wollen, werben aber auch um eine ähnliche Wählerklientel. So komfortabel die Ausgangslage für die CSU auch ist, die Erdinger Demo zeigt anschaulich das Dilemma, in dem Söder in diesem Wahlkampf steckt. Aiwanger ist für ihn Mehrheitsbeschaffer und scharfer Konkurrent zugleich.

Söder will Aiwanger die Bühne nicht allein überlassen

Söder hatte sich mit seiner Zusage für Erding Zeit gelassen - er wartete zunächst Grubers öffentliche Distanzierung von der AfD ab. Da hatte Aiwanger schon tagelang in den sozialen Netzwerken seinen Auftritt beworben. Am Freitag setzte dann auch Söder einen Tweet ab: "Spreche morgen bei der Kundgebung."

Die kurzfristige Zusage erinnert an Söders Besuch bei Tierhaltern auf einer Alm bei Oberaudorf vor eineinhalb Monaten. Damals hatte Aiwanger zusammen mit Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) einen Pressetermin bei den "von Wolfs- und Bärenrissen betroffenen" Bauern angesetzt. Am Vorabend musste das Wirtschaftsministerium eine "aktualisierte Einladung" verschicken - der Ministerpräsident wollte bei dem fototrächtigen Termin der FW-Kollegen mit von der Partie sein. Dass die Staatsregierung den Abschuss von Wölfen erleichtert hat, schreibt sich Aiwanger auf die Fahnen. Man könnte aber auch sagen: Söder räumte mal wieder ein FW-Thema kurzerhand ab.

Schwarz-oranger Kampagnen-Wettstreit

In ihrem Widerstand gegen das Heizungsgesetz und der Kritik an den Grünen sind sich Söder und Aiwanger schon seit Monaten einig. Beide machten das geplante Bundesgesetz zum bayerischen Wahlkampfthema, bevor der Wahlkampf richtig begonnen hatte. Mittlerweile sammeln CSU wie Freie Wähler unabhängig von einander Unterschriften gegen die Ampel-Pläne. Es ist ein Wettstreit um die Stimmen besorgter oder verunsicherter Wähler, vor dessen Hintergrund auch der Auftritt beider Parteichefs auf der Heizungsdemo zu sehen ist.

Ja, es gab signifikante Unterschiede zwischen beiden Reden. Aiwanger steht für seine Wortwahl ("Demokratie zurückholen") in der Kritik und blieb jene Abgrenzung zur AfD schuldig, die Söder klar formulierte. Es gab aber auch Gemeinsamkeiten, insbesondere bei den Attacken auf die Grünen. Söder beklagte eine Politik "ohne Vernunft", Aiwanger sprach der Ampel indirekt Anstand ab. Söder bekundete, er habe "keine Lust, Seite an Seite mit den Grünen in die Pleite zu gehen". Aiwanger mag "nimmer zuschauen, wie diese grün dominierte Ampel Deutschland an die Wand fährt".

Lässt sich Söder von Aiwanger treiben?

Beide schlugen vom Thema Heizung einmal mehr den Bogen zu angeblich drohenden Verboten - ohne zu benennen, wer diese denn eigentlich plant. Söder wie Aiwanger versprachen, gegen zwanghaftes Gendern und Fleischverbote zu kämpfen.

Und der Freie-Wähler-Chef vergaß auch den potenziellen FW-Wahlkampfschlager nicht: "Erbschaftssteuer weg!" Zwar hatte Finanzminister Albert Füracker (CSU) kürzlich betont, dass die Bayerische Verfassung eine Abschaffung verbietet. Trotzdem erweiterte in Erding auch Söder erstmals die Forderung nach höheren Freibeträgen: Es gelte, die Erbschaftssteuer zu "reduzieren oder abzuschaffen". Schwenkt Söder auch hier auf die FW-Linie um? Ist er ein von Aiwanger Getriebener?

Wie viel Prozent muss Söder holen?

In persönlichen Gesprächen geben sich Vertreter der CSU-Spitze mit Blick auf die Landtagswahl gelassen, verweisen auf Umfragewerte. Söder selbst gab zu Jahresbeginn eine "stabile Mehrheit" als Wahlziel aus und verbat sich "Prozent-Diskussionen" - im Wissen, dass viele in der Partei die vergleichsweise desaströsen 37,2 Prozent von 2018 als klaren Gradmesser sehen.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) stellte postwendend in der "Augsburger Allgemeinen" klar: "40 plus x halte ich durchaus für realistisch." Zwar ist eine Neuauflage von Schwarz-Orange im Herbst Stand heute sehr wahrscheinlich, dennoch braucht Söder auch ein gutes CSU-Ergebnis, damit keine Unruhe in der Partei entsteht.

"Ein bisschen mehr Strauß in Aiwanger als in Söder"

Der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion, Fabian Mehring, wertete die CSU-Kritik an Aiwangers Rede in Erding auch als Kampagne - wegen "Sorgen um die Stammtischhoheit in Bayern", sagte er dem BR. Manch einer, der Franz Josef Strauß verherrliche, habe im Moment das Gefühl: "Vielleicht steckt ein bisschen mehr Strauß in diesem Aiwanger als im Söder oder als in dem einem oder anderen CSUler", mutmaßte Mehring.

Politologin Münch verwies im BR-Interview auf Aiwangers Fähigkeit, Stimmungen aufzugreifen. Dass er das zum Teil besser beherrsche als weite Teile der CSU, werde von dieser "durchaus besorgt zur Kenntnis genommen", sagte die Direktorin der Politischen Akademie in Tutzing.

"Pausenclown einer Kabarettistin"

Mit Blick auf die Buh-Rufe gegen Söder äußerte Münch im Deutschlandfunk Kritik an seinem Auftritt: "Dass hätte er sich denken können." Deutlicher wurde der frühere Staatskanzleichef Eberhard Sinner (CSU) auf Twitter: "Ein bayerischer Ministerpräsident darf sich niemals zum Pausenclown einer Kabarettistin machen." Zudem warnte er die CSU eindringlich davor, Fehler zu wiederholen: "Seit der Landtagswahl 1992 in Baden-Württemberg wissen wir spätestens, dass die Union verliert, wenn sie rechten Positionen nachrennt." Söder habe 2018 diesen Fehler gemacht und die CSU auf 37,2 Prozent gebracht. "Den gleichen Fehler sollte er 2023 nicht wieder machen. Wer sagt’s ihm?"

Das muss weder Sinner noch sonst jemand dem bayerischen Ministerpräsidenten sagen. Söder selbst hatte in den vergangenen Monaten mehrfach versichert, aus Fehlern von 2018 gelernt zu haben, als er die AfD mit einem Rechtsruck klein zu halten versuchte. Damals wurde ihm vorgeworfen, mit der Warnung vor "Asyl-Tourismus" am rechten Rand zu fischen - bis er sich selbst von dem Begriff distanzierte. "Du kannst ein Stinktier nicht überstinken", sagte 2020 der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume. Nach Erding war auffällig: Anders als von vielen anderen Terminen postete Söder auf seinen Social-Media-Kanälen anschließend kein Foto.

Söder steht im Wort

Die Argumente und Social-Media-Kampagnen von CSU und Freien Wählern zu Winnetou, Drag-Queen-Lesungen, Gendersprache, "Klimaklebern", Cannabis-Legalisierung und Atomkraft ähnelten sich in den vergangenen Wochen und Monaten - und brachten beiden Parteien mehrfach den Vorwurf ein, einen Kulturkampf im Stile rechter US-Republikaner zu führen.

Aiwanger formuliert dabei oft noch schärfer als CSU-Politiker. In Erding verstärkte er sein Werben um AfD-Sympathisanten merklich. Söder stellt das vor eine Gratwanderung. Einerseits will er Aiwanger das Feld nicht überlassen, andererseits dürfte er sich der Risiken bewusst sein, die dort lauern. Als Warnung könnten ihm dabei die Bilder aus dem Wahlkampfsommer 2018 dienen, als in München unter dem Motto "Ausgehetzt" Zehntausende gegen die Asylpolitik der CSU und Söders Rhetorik demonstrierten. Heute steht Söder im Wort, ähnliche Töne wie damals nie mehr anzuschlagen. Um Wählerstimmen geht es für Söder erst am 8. Oktober. Bis dahin um Glaubwürdigkeit.

Im Audio: Aiwanger nach Heizungsdemo in der Kritik

Freie-Wähler-Chef Aiwanger in Erding
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Freie-Wähler-Chef Aiwanger in Erding

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