Ein Obdachloser unter einer Plane auf der Straße.
Bildrechte: BR/Johanna Schlüter

Gewalttaten gegen Obdachlose werden oft von anderen Obdachlosen begangen. Aber immer wieder gibt es auch rechte Täter.

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Rechte Gewalt gegen Obdachlose: Was dagegen wirken könnte

Pro Jahr sterben in Deutschland etwa 20 Obdachlose an Gewalttaten. Hinter solchen Angriffen kann eine rechte Ideologie stecken. Ein Politologe der Akademie des Caritas-Pirckheimer-Hauses Nürnberg forscht seit Jahren über rechte Gewalt gegen Arme.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Obdachlose Menschen werden immer wieder beschimpft und bespuckt, geschlagen und angezündet. Wie viele Gewalttaten gegen Obdachlose es jedes Jahr sind, ist unbekannt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe registrierte für das Jahr 2022 13 Todesfälle, im Jahr davor 18. Die Zahl der Gewalttaten ohne Todesfolge ist um einiges höher. Für seine Statistik kann der Verein lediglich Presseberichte auswerten.

Wohl hohe Dunkelziffer bei Übergriffen auf Obdachlose

Die Anzahl der Anzeigen in Mittelfranken liegt nach Angaben der Polizei im mittleren dreistelligen Bereich. Laut Polizeisprecher Robert Sandmann waren das überwiegend Körperverletzungen, und die meisten Täter seien ebenfalls dem Obdachlosenmilieu zuzuordnen gewesen. Eine genaue Zahl aller gewalttätigen Übergriffe auf Menschen, die auf der Straße leben, sei allerdings nicht bekannt und mit Sicherheit um ein Vielfaches höher.

Politologe: Keine Anzeige aus Angst vor Rache

Die meisten Gewalttaten gegen Obdachlose werden erst gar nicht zur Anzeige gebracht. Menschen, die auf der Straße leben, trauen sich das oft nicht, weil sie Angst vor der Rache der Täter haben oder aber kein Vertrauen in die Polizei, weiß der Politologe Martin Stammler. Sein Vortrag "Rechte Gewalt gegen Arme" im Rahmen der Straßenkreuzer-Uni, einem Bildungsangebot der Nürnberger Obdachlosenzeitung, stößt auf großes Interesse. Wer nicht selbst für sich sorgen könne, erfahre Ausgrenzung und Abwertung in unserer kapitalistischen Gesellschaft, sagt Stammler. Und das befeuere besonders die menschenverachtende Ideologie in der rechten Szene. Es käme also auch darauf an, wie unsere Gesellschaft mit Obdachlosigkeit umgehe.

Da viele Angriffe auf Obdachlose für die Täter sowieso folgenlos blieben, handelten diese aus dem Wissen heraus, dass es wahrscheinlich keine Konsequenzen geben werde, wenn sie Gewalt ausübten – weil es vielleicht auch gar nicht zur Anzeige kommt. "Dann sinkt natürlich auch die Hemmschwelle, um Gewalt auszuüben. Und Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind, haben keine Lobby – oder Menschen, die sich für sie einsetzen", so Stammler weiter.

Rechte Gewalt als eigenmächtiges "Law and Order"

Seit Jahren forscht der Bildungsreferent der Akademie des Caritas-Pirckheimer-Hauses in Nürnberg über rechten Hass gegen arme und wohnungslose Menschen. Befeuert werde der zusätzlich vom Umgang von Politik und Gesellschaft mit den Menschen auf der Straße, davon ist Martin Stammler überzeugt.

"Immer wenn unsere Gesellschaft Themen problematisiert, dann fühlen sich rechte Gewalttäter aufgerufen, das in die Tat umzusetzen. Die machen dann "Law-and-Order". Die Politik kriegt es nicht hin – also machen wir das selbst. Sie laufen Patrouille, und wenn sie jemanden sehen, der nicht in ihre "Volksgemeinschaft" passt, dann prügeln sie halt auf die Person ein." Martin Stammler, Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg

Schweigende Mehrheit schaut weg

Und die schweigende Mehrheit schaue lieber weg. Das bestärke die rechten Gewalttäter in ihrem Hass und in ihrer menschenverachtenden Ideologie. Deshalb sei ein Umdenken in der Gesellschaft dringend notwendig, appelliert Martin Stammler an seine Zuhörerinnen und Zuhörer. Jeder Einzelne solle seine Haltung gegenüber Obdachlosen kritisch hinterfragen und auf jeden Fall nicht wegsehen, wenn er oder sie Gewalt an Obdachlosen beobachte. Und die Übergriffe sollten unbedingt immer der Polizei gemeldet werden.

Macht-Fantasien, Ordnungsgedanken, Gruppendynamik, Alkohol, antreibende Neo-Nazi-Musik, Rassismus und Gewaltaffinität – das seien in jüngster Vergangenheit die aufstachelnden Gründe gewesen, die zu rechter Gewalt gegenüber Obdachlosen geführt haben.

Wohnen ist Menschenrecht

Schnelle und einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Laut Martin Stammler geht es darum, die Ursachen zu bekämpfen. Die Schere zwischen Arm und Reich müsse von politischer Seite aus geschlossen werden. Zugleich gelte es, die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten und damit zu zeigen: Auch Obdachlose sind Menschen mit einem eigenen Leben und eigenen Geschichten.

Wohnen ist ein Menschenrecht. Deshalb habe die Politik einen klaren Auftrag, dieses Recht zu schützen und durchzusetzen. Den obdachlosen Menschen fehlten dazu die Mittel, die Energie und die Lobby. Für sie geht es ums Überleben – und das betrifft sehr viele: Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V sind derzeit mindestens 607.000 Menschen in Deutschland wohnungslos (Stand 11/2023).

Mann sitzt vor Computer-Bildschirm.
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