Ein Mann über einer Wahlschablone für Blinde
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In einem Pilotprojekt kommen in Mittelfranken zum ersten Mal Wahlschablonen zum Einsatz.

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Pilotprojekt in Mittelfranken: Erstmals Wahlschablone für Blinde

Selbstständig wählen – das war für blinde Personen bei einer bayerischen Landtagswahl bisher nicht möglich. Bis jetzt: In einem Pilotprojekt kommen in Mittelfranken zum ersten Mal Wahlschablonen zum Einsatz. Doch die gilt es erst einmal zu testen.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Daki Selmanovic faltet den Stimmzettel, der vor ihm auf dem Tisch liegt, Schritt für Schritt auseinander. Er ertastet die Kante, verdoppelt die Größe des Zettels, immer und immer wieder. Zwölf Partei-Spalten breit und 23 Kandidaten-Spalten hoch ist der Musterstimmzettel. Ganz schön unhandlich, vor allem für Daki Selmanovic, denn: Er ist blind. Wählen ist für ihn immer mit einer Hürde verbunden: "Es ging tatsächlich leider nur so, dass ich einer Person meines Vertrauens gesagt habe: Bitte kreuz das und das für mich an." In diesem Jahr soll sich das ändern.

Wahlrecht auch für Menschen mit Behinderung geltend machen

Mittelfranken wird zum Pilotprojekt und Blinde sowie Menschen mit Sehbehinderung dürfen zum ersten Mal mit einer Wahlschablone bei der Landtagswahl abstimmen. Für Ina Fischer, selbst blind, eine Selbstverständlichkeit: "Es ist ein Gesetz, ein Recht von Menschen mit Behinderungen, selbstständig wählen zu dürfen und deswegen bin ich auch massiv dahinter, dass solche Dinge dann auch durchgesetzt werden und wir in Deutschland gleichberechtigt mit allen anderen Menschen wählen können."

Ina Fischer wählte bereits bei der Bundestagswahl und der Europawahl mit einer Wahlschablone – und auch in anderen Bundesländern sei das bereits möglich. Nur in Bayern tüftelt man seit Jahren an Lösungen.

Das bayerische Problem: "Das sind Riesenwahlzettel"

Robert Müller, Teamleiter des Beratungs-, Informations- und Textservice-Zentrums (BIT) des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes (BBSB) hat die Wahlschablone zusammen mit seinem Team entwickelt. "Man konnte es technisch noch nicht umsetzen oder es fehlten die Ansätze", räumt er ein. Das Problem: Die Stimmzettel bei der bayerischen Landtagswahl sind schlichtweg zu groß. In anderen Bundesländern stünden lediglich die Parteien zur Wahl.

In Bayern variieren die Stimmzettel je nach Regierungsbezirk: "Jede Partei hat je nach Bezirk teilweise über 60 Kandidaten. Das sind Riesenwahlzettel, mit denen es eh schwierig ist, zurechtzukommen und das dann auch noch sicher in einer Schablone umzusetzen, das war bisher nicht möglich", sagt Robert Müller.

Dabei wurde hierzulande die Wahl mit Stimmzettelschablonen bereits bei den Bundestagswahlen 2002 erstmals ermöglicht, also vor mehr als 20 Jahren. Wegen der erwähnten Gründe sind Blinde und Menschen in Bayern bei der Landtagswahl jedoch noch immer darauf angewiesen, dass ihnen Assistenzperson bei der Wahl hilft.

Pilotprojekt nur in Mittelfranken

Ein Problem, das auch in diesem Jahr weiterbesteht – nur eben nicht in Mittelfranken. Dort ist die Kandidatenzahl überschaubar, die Nachfrage von Seiten der Blinden zugleich hoch: Rund 3.000 Blinde, die die Schablone nutzen könnten, gibt es in Mittelfranken laut BBSB.

In Nürnberg hat Robert Müller drei Wochen vor der Landtagswahl zum Üben eingeladen. Die ersten Anweisungen kommen per CD. Es geht los: "Legen Sie die Schablone bitte mit der bedruckten Seite auf den Tisch, sodass sich die abgeschnittene Ecke rechts oben befindet." Ina Fischer und Daki Selmanovic falten, wenden, drehen. Mit dem Zeigefinger fahren sie an der Kante entlang, bis feststeht: Stimmzettel und Schablone liegen richtig.

Auf der Vorderseite der Pappschablone befinden sich runde Ausstanzungen über den Ankreuzfeldern. Daki und Ina ertasten sich die ersten Probewahlgänge: "Wählen Sie jetzt bitte Wahlkreis 14, Kandidat Nummer 10", sagt Robert Müller an. Danach kontrolliert er die Kreuzchen. Ergebnis: Alles korrekt, die Wahlschablone erfüllt ihren Zweck. "Ich glaube, dass das eine gute Lösung werden kann", resümiert auch Ina Fischer.

Wahlschablonen für alle Bezirke ab 2028

Die Wahlschablone können Blinde sowohl zu Hause bei der Briefwahl anwenden als auch mit ins Wahllokal nehmen – die Audioanleitung gibt es dazu. Über den Platz des Kandidaten ihrer Wahl müssen sie sich vorher informieren und dann nur noch auszählen. Robert Müller ist zufrieden: "Unser Ziel ist natürlich darauf aufbauend, bei der nächsten Wahl dann auch die anderen Bezirke abzudecken."

Die Wahlschablone kommt zunächst nur in Mittelfranken zum Einsatz. In den anderen sechs Regierungsbezirken werden Blinde und Sehbehinderte weiterhin die Unterstützung anderer brauchen, um abstimmen zu können. Bis blinde Personen in ganz Bayern bei einer Landtagswahl mittels Schablone eigenständig wählen können, wird es noch mindestens bis 2028 dauern.

Eine Frau und ein Mann testen die Wahlschablone für Blinde
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Eine neuartige Wahlschablone soll blinden Menschen ermöglichen, eigenständig zu wählen.

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