Rainer Maria Schießler und die Pfarrerin Ulrike Wilhelm diskutierten bei "jetzt red i"
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Rainer Maria Schießler und die Pfarrerin Ulrike Wilhelm diskutierten bei "jetzt red i"

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Pfarrer Schießler: "Noch nie blödere Zeit" für Kirchenaustritt

Missbrauchsskandale und Rekordaustritte – die Kirchen haben viele Sorgen. Was sich verändern muss, damit sie Zukunft haben, diskutierten der Pfarrer Rainer Maria Schießler und die Pfarrerin Ulrike Wilhelm bei "jetzt red i" mit engagierten Bürgern.

Über dieses Thema berichtet: jetzt red i am .

"Was Fakt ist, dass wir für die meisten Menschen uninteressant geworden sind", sagte Stefan Alof am Mittwochabend in der "jetzt red i"-Arena. "So weit haben wir es gebracht", meinte der ehrenamtliche Kirchenpfleger. Damit fasste er die Datenlagen gut zusammen: Denn das Jahr 2022 war für die evangelische und katholische Kirche in Bayern ein Rekordjahr im negativen Sinne. Mehr Menschen als je zuvor traten aus den Kirchen aus. Die Verbliebenen schließen den Austritt für sich häufig nicht mehr aus, wie eine Studie der Evangelischen Kirchen Deutschland (EKD) (externer Link) zeigt.

Bei "jetzt red i" vom Bayerischen Rundfunk diskutierten die Gläubigen zusammen mit dem katholischen Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München und der evangelischen Pfarrerin Ulrike Wilhelm aus Garmisch-Partenkirchen, wie die Kirchen in Zukunft gestaltet sein sollen. Die große Beteiligung und engagierte Diskussion zeigten, wie sehr Kirche und Glaube die Menschen in Bayern beschäftigt.

Wie politisch soll Kirche sein?

Eine Frage, die die Gläubigen umtreibt, ist, wie politisch sich Kirchenvertreterinnen und -vertreter äußern sollten. Positionierungen zur Klimakrise oder Geflüchteten sehen manche kritisch. Dem widersprach Pfarrerin Ulrike Wilhelm: Klimaveränderung und Fluchtbewegungen rührten an existenziellen Fragen. "Ich glaube nicht, dass die Kirche bloß was zum Thema Klima sagt, weil sie politisch sein will. Sondern, da haben wir es wirklich mit einem Zukunftsthema für unsere Welt zu tun."

Sie berichtete von Menschen, die die Schmelze des Gletschers auf der Zugspitze mit Erschütterung beobachtet hätten. "Dann hat man da manchmal tiefe, seelsorgerische Gespräche", erzählte die Pfarrerin aus Garmisch-Partenkirchen und bekräftigte: "Da sind wir schon als Kirchen auch gefragt."

"Wir werden nicht wertgeschätzt"

Auch bei der Aufarbeitung der Missbrauchsskandale sind die Kirchen dringend gefragt. Im Januar 2024 erschien eine Studie zu sexualisierter Gewalt und anderen Machtmissbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland (externer Link). Sie zeigte: Die Zahl der Missbrauchsopfer ist deutlich höher als bislang angenommen.

Auch in der "jetzt red i"-Arena kam dieses Thema zur Sprache. Helmut Bader erzählte davon, dass er als Kind sexualisierte Gewalt durch einen katholischen Geistlichen erlebt hat. "Ich bin durch die Hölle gegangen." Er kritisierte: "Die Kirche gibt uns Betroffenen keine Gerechtigkeit." Er wünschte sich, dass die Kirche den Betroffenen der Missbrauchsskandale mehr Wertschätzung entgegenbringt, auch in Form von Anerkennungsleistungen. Bader sagte: "Wir möchten eigentlich einmal einen Frieden erreichen." Pfarrer Schießler zeigte sich empathisch und betonte: "Wenn wir es mal schaffen, aus diesem Missbrauchsskandal herauszukommen, dann erst, wenn das letzte Opfer der Kirche vergeben hat."

Gleichberechtigung für Frauen in der katholischen Kirche gefordert

Renate Spannig, Unterstützerin der Reformbewegung Maria 2.0, kritisierte dagegen die fehlende Wertschätzung von Frauen in der katholischen Kirche: "Was mich eben so umtreibt: Dass eigentlich eben die Grund- und Menschenrechte in der katholischen Kirche nicht eingehalten werden, dass Frauen eigentlich die gleichen Rechte haben müssten." Zudem nannte sie die Sexualmoral der katholischen Kirche "verkorkst". Das sei nicht das, was Jesus vorgelebt habe, meint sie. Ihr Motto laute: "Ich will mir meinen Glauben nicht kaputt machen lassen." Es sei ihr mittlerweile nicht mehr wichtig, was in Rom passiere. "Es ist wichtig, dass wir handeln."

Pfarrer Schießler stimmte zu und warb für weibliche Priesterinnen: "Ich kann das auch heute keinem mehr verkaufen. Wie kann man denn hergehen und sagen, dass du per Geschlecht nicht in der Lage bist, diese Vollmacht des Amtes zu übernehmen?"

Schießler bekräftigt Notwendigkeit des Synodalen Wegs

Insgesamt stellte sich Schießler, der für seine liberalen Positionen bekannt ist, hinter den Reformprozess des Synodalen Weges, in dem Laien und Bischöfe in Deutschland gemeinsam über Reformen in der katholischen Kirche diskutieren: "Diese Kirche müssen die verändern, die in ihr drin sind."

An Johannes Dietrich gerichtet, einen Unterstützer der konservativen Maria 1.0-Initiative, fragte er: "Meinen Sie, dass Sie die Kirche irgendwie verändern, wenn da 153.000 austreten? Da verändert sich gar nichts." Stattdessen solle man "an die Ränder gehen", und nicht krampfhaft an Strukturen wie dem Pflichtzölibat festhalten, meinte Schießler, der selbst seit 25 Jahren eine Beziehung zu einer Frau führt.

Bleiben oder gehen?

Viel Einigkeit herrschte in der "jetzt red i"-Arena darin, dass sich etwas verändern müsse. Bei der Frage, von wo aus die Anstöße kommen müssten, sind die Bürgerinnen und Bürger aber unterschiedlicher Meinung. Renate Spannig von der Maria 2.0-Initiative bekräftigte das Motto: "Auftreten statt austreten." Dies unterstützte auch Pfarrer Rainer Maria Schießler und sagte: "Ich glaube, es gab noch nie eine blödere Zeit, aus der Kirche auszutreten als heute, weil die Geschwindigkeit, wie wir die Veränderung erleben dürfen, gerade als Katholiken, ist exzellent."

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