Notarzt Christian Ernst ist einer von wenigen Notärzten in der Region.
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Notarztmangel in Bayern: Ländliche Regionen besonders betroffen

Notarztmangel in Bayern: Ländliche Regionen besonders betroffen

Die Notarztversorgung besonders auf dem Land steht kurz vor dem Kollaps. Notärzte berichten: Immer mehr Schichten sind unbesetzt, Patienten müssen länger warten. Die Notärzte brauchen selbst Hilfe. Nur – wer die Rettung übernimmt, ist offen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Notruf für Wolfgang Vogl: Ein Patient hat Herz-Kreislauf-Beschwerden. Der Notarzt nimmt den Funkspruch entgegen, fährt zum Einsatzort. Vogl ist niedergelassener Arzt mit einer eigenen Praxis in Arrach im Landkreis Cham, übernimmt aber auch viele Notarztdienste – und das seit fast 40 Jahren. Aus Leidenschaft, wie er sagt. Aber: Es gibt immer weniger wie ihn. Vogl ist nicht der einzige, der von einem Notarztmangel in Bayern spricht. "Es liegt auch an der Verantwortung, die man übernimmt. Jeder muss sich bemühen, dass er alles richtig macht. Vielleicht ist da bei jüngeren Kollegen die Angst da, etwas falsch zu machen, was ihnen danach juristisch angekreidet wird."

Es fehlt an Nachwuchs im Notarztbereich. Auch Christian Ernst, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Straubing, fordert:

"Wir brauchen insgesamt mehr Notärzte, mehr Interessenten – hätten wir die, wären die Schichten leichter zu verteilen." Christian Ernst, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Straubing

Unbesetzte Schichten: Mehr Notärzte nötig

Unbesetzte Notarztschichten sind nämlich die Folge des Nachwuchsmangels, wie auch der Anästhesist und Notarzt Florian Blankenburg aus Straubing weiß. Er ist Gruppensprecher der Notärzte in Straubing und teilt hier am Notarztstandort die Schichten ein: "Das zweite Halbjahr 2021 war gravierend", so Blankenburg. Am Standort Straubing konnten knapp 100 Notarztschichten von 360 nicht besetzt werden – das entspricht einem guten Viertel. Insgesamt gibt es derzeit 32 zugelassene Notärzte am Standort Straubing – zu wenig, meint Blankenburg.

Ärzte einfach zum Notarztdienst verpflichten, um das Problem zu lösen, geht nicht. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), die für die Ein- und Zuteilung der Notärzte an den 229 Notarzt-Standorten in Bayern zuständig ist, schreibt hierzu: "Der Notarztdienst erfordert eine hohe persönliche Identifikation, weswegen auch eine verpflichtende Teilnahme keine Option darstellen würde."

Unbesetzte Notarztstandorte: "Große Lücken in der Versorgung"

Auch Karl Maurus, Leiter der Integrierten Leitstelle in Straubing (ILS), beobachtet seit einem Dreivierteljahr immer mehr unbesetzte Notarztstandorte. Bei der ILS gehen die Notrufe ein, Disponenten suchen nach dem nächsten, greifbaren Notarzt, kontaktieren ihn und schicken ihn zum Einsatzort. "Es ist vorgekommen, dass keiner der drei Standorte im Landkreis Straubing-Bogen besetzt war: Dadurch entstehen in der Versorgung große Lücken." Bei einer Nichtbesetzung des Notarztstandortes werden Notärzte aus Nachbarstandorten abgezogen – "dann machen wir aber da ein Loch auf", so Maurus. Das Problem werde dadurch also nur verschoben.

Die KVB betont jedoch auf Anfrage: Die Notarztsituation in Bayern sei nicht gefährdet. 2021 konnten 96 Prozent aller Dienste besetzt werden.

Notarztmangel: Unterschied zwischen Stadt und Land?

Notärzte sehen das anders: Bei den insgesamt 96 Prozent seien große, städtische Notarztstandorte wie Augsburg, Nürnberg oder München mit eingerechnet. Auf dem Land sei die Situation eine andere als in der Stadt – hier zeige sich der Notarztmangel nochmals deutlicher.

Das ist auch der KVB bewusst – bereits 2017 veröffentlichte sie hierzu eine Präsentation, in der von einem "übergroßen Teilnahmeinteresse in Großstädten/Ballungsräumen" hinsichtlich des Notarztdienstes die Rede sei, im Vergleich zum "geringen Teilnahmeinteresse in ländlichen Regionen", häufig seien gar keine Notärzte mehr vor Ort ansässig.

Aber auch Städte sehen sich mittlerweile mit dem Problem konfrontiert, so Florian Blankenburg: "Es ist ein bayernweites Problem und es hält auch im städtischen Bereich Einzug. Auch Nürnberg hat mittlerweile Probleme, einzelne Schichten zu besetzen."

Notärzte: Jedem wird geholfen

Was die Notärzte trotz des Notarztmangels betonen: Jedem Bürger in Not werde geholfen. Denn in einem Notfall rückt nicht nur der Notarzt aus, sondern auch der Rettungswagen – mit dem Versprechen, maximal nach zwölf Minuten am Einsatzort zu sein. Für Notärzte – besonders in der ländlichen Region – bedeuten Einsätze aber oft Kraftakte: Wenn Notärzte von anderen Einsatzstandorten abgezogen werden müssen, neue Versorgungslücken aufgerissen werden oder wenn dadurch längere Fahrten entstehen.

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Gründe für einen Notarztmangel

Was aber genau führt überhaupt zum Notarztmangel? Für die Notärzte Vogl, Blankenburg und Ernst gibt es mehrere Gründe:

Freizeit wird wichtiger:

Die Einstellung der Ärzte habe sich generell geändert, Stichwort "Work-Life-Balance". Die Zeit mit der Familie am Wochenende oder am Abend werde bevorzugt, anstatt Notarztschichten zu besetzen. Diesen gesellschaftlichen Wandel hat auch die KVB beobachtet: "Unter dem Strich stagniert die Zahl der am Notarztdienst teilnehmenden Ärzte, während gleichzeitig die Anzahl der vom einzelnen Arzt übernommenen Dienste sinkt, das gesellschaftliche Umdenken bei der Wertschätzung von Freizeit - Stichwort Work-Life-Balance - macht auch vor Ärzten nicht halt."

Wegfall Zivildienst:

Das Nachwuchsproblem bei den Notärzten liegt nach Ernst auch an dem Wegfall des Zivildienstes. Er selbst habe erst durch die ehrenamtliche Tätigkeit Interesse an diesem Beruf gefunden. "Viele andere waren Zivildienstleistende und sind dadurch zum Rettungsdienst und zur Notarzttätigkeit gekommen." Durch den Wegfall wüssten viele angehende Ärzte nicht, dass auch der Job als Notarzt Spaß mache.

Vergütung:

Die Vergütung der Notärzte in Bayern wurde an die anderen Bundesländer angeglichen (Steigerung um 25 Prozent). Demnach erhalten Notärzte in der Stunde 25 Euro (sofern kein Einsatz). Rein aus finanzieller Sicht sind andere Tätigkeiten als Arzt rentabler: beispielsweise im Impfzentrum.

"Wenn man überlegt, wann die Impfzentren Hochkonjunktur hatten, fällt es zusammen mit dem Notarzt-Mangel: Einige Leute haben gesagt, warum für 25 Euro im Notarztauto hocken, wenn ich 130 Euro in der Stunde im Impfzentrum bekomme, wenn ich aufkläre." Florian Blankenburg, Gruppensprecher der Notärzte in Straubing

Trotz der Anhebung der Vergütungssätze konnten nicht mehr Notärzte generiert werden. Das heißt: Der Notarztmangel ist keine Geldfrage. Vielmehr gehe es um die Rahmenbedingungen, so die Notärzte.

Rahmenbedingungen:

Zu den Rahmenbedingungen zählen unter anderem die Zugangsvoraussetzungen, um Notarzt werden zu können – diese sind hoch: Wer Notarzt werden will, muss 24 Monate in einer Klinik arbeiten, einen zertifizierten Kurs von der Landeärztekammer ablegen (Dauer 80 Stunden) und 50 Notarzt-Einsätze begleiten, 25 davon in einem Simulationszentrum. Das Problem: Die Hospitation der Einsatzfahrten müssen die Notärzte in ihrer Freizeit erbringen, weil die Krankenhäuser die angehenden Notärzte dafür nicht freistellen. Hinzu kommt, dass Kurse teils selbst bezahlt werden müssen, die mehrere hundert Euro kosten.

Auch die KVB bestätigt: "Die Rahmenbedingungen für eine Teilnahme am Notarztdienst sind über die Jahre hinweg deutlich schwieriger geworden. Die fachlichen Zugangsvoraussetzungen wurden erhöht, ein Aufenthalt in der Rettungswache oder im Krankenhaus ist in vielen Fällen vorgegeben, kurz dauernde Arbeitsverträge an den (Weiterbildungs-)Kliniken behindern die (Bereitschaft zur) Aufnahme der Zusatzweiterbildung Notfallmedizin, niedergelassene Ärzte müssen sich in Anbetracht über Jahre ansteigender Einsatzzahlen zwischen der Versorgung ihrer Patienten in der Praxis und dem Notarztdienst entscheiden und auch in den Krankenhäusern fand eine stete Aufgabenverdichtung statt."

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Notarztmangel in Bayern: Mögliche Gründe, mögliche Lösungen.

Notärzte machen auf ihre Situation aufmerksam

Auf all diese Hürden und Probleme hat Notarzt Blankenburg aus Straubing aufmerksam gemacht, wie er sagt: "Wir haben einige Versuche gestartet, die Dinge zu verbessern! Wir haben mehrfach versucht, an die Politik 'ranzutreten – wir haben einen runden Tisch mit dem Landtagsabgeordneten gehabt, daraufhin eine Telefonkonferenz mit dem Innenminister." Bis jetzt habe sich nichts geändert, so Blankenburg. Auch Karl Maurus von der ILS erzählt, dass ständig deswegen Gespräche stattfinden würden – "aber aktuell sehen wir keine Verbesserung". Notarzt Christian Ernst hingegen liegt eine Antwort des Straubinger Oberbürgermeisters, Markus Pannermayr (CSU), vor: "Ich habe es schriftlich von ihm, dass er als Städtetagspräsident seinen gesamten Einfluss geltend macht, die Situation zu verbessern."

Für Blankenburg und die anderen Notärzte gibt es Wege, um die Situation zu verbessern: So könnte einerseits die Vergütung angepasst werden. Andererseits müssten die Kliniken angehende Notärzte für Kurse und Einsatzfahrten freistellen. Weiter sollten die Kliniken noch mehr in die Pflicht genommen werden, Notarzt-Schichten zu besetzen. Wie Blankenburg sagt, gebe es hier erste Erfolge: So decke mittlerweile das Klinikum St. Elisabeth werktags tagsüber die Notarztschichten ab – ähnlich wie in Viechtach oder Zwiesel. Die Ärzte würden es befürworten, die Qualifikation zum Notarzt als Pflichtteil in der Facharztweiterbildung zu integrieren, um mehr Nachwuchs zu generieren.

Notarztmangel: Tele-Medizin als Lösung?

Was auch helfen könnte: die Tele-Medizin. "In Bayern gehen wir einen guten Weg, dass wir die nächsten Jahre den Tele-Notarzt einführen, der den Mangel auffängt", so Blankenburg. Auch Notarzt Christian Ernst sieht den Tele-Notarzt als wichtig bei der besseren Versorgung an. Dennoch: Auch nach der Einführung des Tele-Notarztes werde es Einsätze geben, die einen Notarzt vor Ort verlangen, so Ernst. Nachwuchs im Notarztbereich brauche man also auch bei der Einführung einer neuen Technik.

Neuausrichtung des Notarztdienstes: Studie des Innenministeriums

Auch aus Sicht der KVB muss der Notarztdienst in organisatorischer Sicht neu ausgerichtet werden: "Oftmals richtet sich der Fokus alleine auf die Frage, ob ein bestehender Notarztstandort besetzt ist, ohne die Bedarfsfrage für diesen Standort zu betrachten." Für eine Neuausrichtung brauche es aber eine Entscheidungsgrundlage. Wie es von der KVB heißt, hat das Innenministerium eine Studie in Auftrag gegeben, wie die Bedarfsfrage von Notärzten beantwortet werden kann. Wenn die Ergebnisse vorliegen, müsse man sich zusammensetzen, um zu schauen, welche Standorte wirklich notwendig seien, um die Versorgung der Bevölkerung optimal auszurichten.

Notarztdienst: "Das ist erfüllend"

Für die Notärzte, die die Schichten übernehmen und einspringen, gibt es nichts Erfüllenderes. Notarzt Christian Ernst schätzt, dass er im Einsatz sofort Feedback erhält: "Ganz ehrlich: Wenn Sie Menschen reanimiert haben und danach mit dem Patienten sprechen können, das ist erfüllend, das zieht sich durch das ganze Arztleben durch." Ihm mache der Notarztdienst Spaß. Er wünscht sich, "dass sich wieder mehr Kollegen besinnen". Und auch Notarzt Wolfgang Vogl aus Arrach kann sich sein Leben ohne Notarztdienst nicht vorstellen. Notarzt-Schichten besetzen, das könnten viele, "wenn man sich organisiert und engagiert", so Vogl.

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