Der Umschlag einer Wahlbenachrichtigung zur Bundestagswahl 2013 liegt in einem Papierkorb (Archivbild)
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Der Umschlag einer Wahlbenachrichtigung liegt in einem Papierkorb (Archivbild)

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Bayerns Nichtwähler - Vergessen, verbittert, abgeschrieben?

2,6 Millionen Menschen gingen bei der vergangenen Landtagswahl in Bayern nicht wählen – mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten. Die meisten davon sind jung. Schaffen sich die Parteien die Nichtwähler von morgen selbst?

Über dieses Thema berichtet: DokThema am .

Der Trend geht zum Nichtwählen - da sind sich die meisten Politikwissenschaftler einig. Überproportional viele 18- bis 25-Jährige bleiben am Wahltag daheim. Entsteht also eine "Generation Nichtwähler"? Dabei kommt Erstwählern eine besondere Bedeutung zu, denn wer einmal seine Stimme abgegeben hat, wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wieder wählen gehen.

Mit anderen Themen beschäftigt

Doch was hält die Jungen davon ab, zur Wahl zu gehen? Die Antworten gleichen sich häufig: Sie haben kein Interesse. Oder zu wenig Ahnung, besitzen keine politische Position. Häufig sind sie auch mit anderen Themen beschäftigt. Die Politikwissenschaftlerin und Soziologin Regina Renner kennt die Gründe: Die jungen Erwachsenen befinden sich im Übergang von der Schule in die Ausbildung, sie sollen einen Beruf und so in die ökonomische Selbständigkeit finden, sich unabhängig vom Elternhaus machen – und dann noch eine eigene politische Position entwickeln. "Es sind einfach in dieser Jugendphase, im jungen Erwachsenenalter auch ganz andere Baustellen für junge Menschen da, sodass beispielsweise Politik in den Hintergrund rücken kann", sagt sie in DokThema.

Flyer reichen nicht mehr

Doch genau diese Stimmen könnten entscheidend sein. Wären sie bei der vergangenen Wahl 2018 mit eingerechnet worden, sähe das Endergebnis anders aus. Dann wäre nicht die CSU die stärkste Kraft im bayerischen Landtag. Es wäre: die fiktive Partei der Nichtwähler.

Doch wie kann die Politik dem entgegentreten? Immer noch ziehen die Kandidaten und Kandidatinnen von Haustür zu Haustür, präsentieren sich in Fußgängerzonen, suchen auf dem Marktplatz das persönliche Gespräch, verteilen Flyer und kleine Geschenke. Mit mäßigem Erfolg: Die Menschen haben keine Zeit und wenig Interesse, vor allem nicht junge Erwachsene. Bleibt die Frage: Wo und wie erreicht man die jüngere Generation?

Im Video: Puls Reportage: "Challenge - Überzeuge Nichtwähler"

Wahlkampf am Smartphone

Eine Antwort darauf haben einige Politikerinnen und Politiker schon gefunden: Sie werden dort aktiv, wo junge Menschen oft sehr viel Zeit verbringen – in den sozialen Medien. Die dürfe man als Partei nicht ausklammern, betont die Politikwissenschaftlerin Julia Schwanholz von der Universität Duisburg-Essen, denn online erreiche man innerhalb kürzester Zeit tausende Menschen, darunter viele Erstwählende.

Eine Plattform hat besonders großes Potenzial – an ihr führt laut Martin Fuchs, Politikberater in Sachen digitaler Kommunikation, kein Weg vorbei: "TikTok ist ein fester Bestandteil des deutschen Wahlkampfes. Wir haben über 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland, die auf der Plattform sind, die sich dort informieren, die sich dort auch Politik anschauen."

"TikTok-Megastar" Wolfgang Heubisch

So richtig gut seien die TikTok-Accounts der bayerischen Politiker allerdings nicht, meint Fuchs. Eine Ausnahme kennt er: "Es gibt natürlich einen – würde ich sagen – "TikTok Megastar" in Bayern." Ausgerechnet ein 77-Jähriger ist einer der erfolgreichsten deutschen Politiker auf der Kurzvideo-Plattform: Wolfgang Heubisch. Der FDP-Landtagsabgeordnete und Vizepräsident des Bayerischen Landtags hat 3,5 Millionen Likes, seine Videos werden tausendfach geklickt – auf einer Plattform, die eigentlich gar nicht für seine Generation gemacht wurde.

Heubischs Erfolgsrezept? Er sei unterhaltsam und nehme sich in seinen Filmen nicht zu ernst, analysiert Fuchs. Doch Heubisch verfolgt dabei eine Mission: "Ich kann doch nicht sagen, ich nehme das Medium nicht und überlasse den Rechtsradikalen diese Plattform, wo sich Millionen von jungen Leuten rumtreiben."

Rechtspopulistische Parteien stark vertreten

"Wir sehen, dass rechtspopulistische Parteien sehr gut darin sind, soziale Medien zu bespielen. Die anderen Parteien sind da eher die Nachzügler", bestätigt Politikwissenschaftlerin Schwanholz. Die Zahlen sprechen für sich: Der offizielle Account des bayerischen AfD-Landesverbands, hat fast 800.000 Likes. Zum Vergleich: Der Account der bayerischen Grünen hat nur 6.500, jener der BayernSPD im Landtag gerade mal 2.650.

Die Strategie der AfD: Die Partei hat ein ganzes Netzwerk aus Accounts - eigene und solche von Unterstützern. "Die Chance auf einen AfD-Inhalt zu stoßen, ist viel, viel höher als bei einer anderen Partei, einfach weil sie breit da sind", sagt Politikberater Fuchs. Diese Präsenz schafft zumindest Bekanntheit – auch bei politisch nicht interessierten TikTok-Nutzern.

Fehlendes politisches Wissen

Doch gibt es noch andere Gründe, warum die jungen Erwachsenen nicht wählen? Schwanholz hat eine Studie zu Nichtwählern durchgeführt – und dafür mit vielen von ihnen ausführliche Gespräche geführt. Ihre wichtigste Erkenntnis: Es gebe über alle Bildungsabschlüsse hinweg ein eklatantes Defizit im politischen Wissen. "Es ist in hohem Maße unbekannt, was auf den verschiedenen politischen Ebenen, sprich kommunal, Land und Bund, geleistet wird, welche Kompetenzen dort vorhanden sind", sagt Schwanholz. Die Folge: Die Menschen gehen nicht wählen. Oder sie wählten populistisch extrem an den politischen Rändern, befürchtet die Politikwissenschaftlerin.

Mehr politische Bildung als Lösung?

Eine Möglichkeit, das zu ändern: politische Bildung an der Schule. Und das so früh wie möglich, fordert Jörg Siegmund, Demokratie-, Parlamentarismus- und Wahlforscher an der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bayern sei da ein schlechtes Beispiel: Im Freistaat setzt die politische Bildung als Fachunterricht erst in der zehnten Jahrgangsstufe an. "Da ist viel Zeit schon verstrichen und viel Potenzial auch schon verloren gegangen", sagt Siegmund. "Da sollte man früher ansetzen."

Renner pflichtet ihm bei: "In Anbetracht der Tatsache, dass junge Menschen so ab zwölf langsam ihre politische Persönlichkeit entwickeln und sich damit auseinandersetzen, wäre es sehr, sehr wichtig, dass man spätestens ab dem zwölften Lebensjahr junge Menschen auch mit politischen Bildungsangeboten in der Schule abholt."

Forderung: Wahlrecht ab 16

Eine andere Möglichkeit, das politische Interesse der Jugend zu steigern, könnte auch ein Wahlrecht ab 16 sein. Laut Siegmund könne das an den Beispielen Brandenburg oder Hamburg, wo 16- und 17-Jährige schon seit längerem wählen dürfen, durchaus belegt werden: Die Wahlbeteiligung der jungen Altersgruppe sei in diesen Bundesländern deutlich höher.

Das liege zum einen daran, dass diese Altersgruppe häufig noch im Elternhaus lebe und sich zudem noch in schulischer Ausbildung befinde, sagt Siegmund. "Damit besteht eben die reelle Chance, dass tatsächlich auch im Rahmen der Schulen Vorbereitungsmaßnahmen getroffen werden auf diesen Wahltag."

Über 50 Organisationen, Parteien und Jugendverbände unterstützen derzeit die Initiative "Vote16", die mit 25.000 Unterschriften ein Volksbegehren anstoßen will, um das Wahlalter in Bayern auf 16 zu senken - für einen der Mitstreiter, Valentin Weigel, der auch bei den Grünen aktiv ist, ein bedeutender Schritt, um auf die "Generation Nichtwähler" zuzugehen: "Man interessiert sich ja nur für die Demokratie, wenn man das Gefühl hat, man kann mitmachen."

Der BR24 Kandidaten-Check:

BR24 Kandidaten-Check: Wofür stehen die Direktkandidatinnen und -kandidaten der Landtagswahl in Bayern? Ihnen allen haben wir dieselben Fragen zu den relevantesten Themen des Wahlkampfs gestellt, mehr als 800 haben teilgenommen. Geben Sie im Tool Ihren Wohnort, Stimmkreis oder Ihre Postleitzahl ein und finden Sie heraus, wie die Bewerber geantwortet haben:

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