Kommentar von BR-Chefredakteur Christian Nitsche
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Kommentar: Aiwangers Erinnerungslücken kaum glaubhaft

Hubert Aiwanger verstrickt sich in Widersprüche. Und wahre Reue lässt er vermissen. Sein Verbleib im Amt kann zum Freifahrtschein für Populismus werden. Söders Absolution ist riskant. Ein Kommentar von BR-Chefredakteur Christian Nitsche.

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Das sind schon reichlich viele Erinnerungslücken, die Hubert Aiwanger der Öffentlichkeit präsentiert. Wer als Schüler zum Direktor zitiert wird, wem da mit der Polizei gedroht wird, wer ein mieses, antisemitisches Flugblatt im Schulranzen hatte, der vergisst das alles normalerweise nicht. Oder nur dann, wenn es für jemanden eben nichts Besonderes war. Aber es soll ja ein "einschneidendes Erlebnis" für ihn gewesen sein, wie Aiwanger sagt. Und damit verwickelt er sich in Widersprüche. Erinnert er sich nur an das, was ihm nutzt?

An einer offenen Aufarbeitung seiner Jugend, die mehrere Mitschüler als rechtsextrem beschreiben, hat er offenbar kein Interesse. Wie kann man dann zu wahrer Reue und Demut fähig sein?

CSU im Klammergriff der Freien Wähler

Aiwanger setzt auf die Strategie: Ich bin das Opfer. Dabei war er es, der versäumt hat, reinen Tisch zu machen, schon vor Jahren, als er in die Politik eintrat. Die Freien Wähler driften unter Aiwanger nach rechts und werden für Ministerpräsident Markus Söder ein immer größeres Problem. Denn die Wenigsten in der CSU würden eine Koalition mit SPD oder Grünen begrüßen. Und die FDP ist in Bayern für eine Koalition bisher zu schwach. Deshalb hatte Söder Aiwanger in die Arme geschlossen und kann sich aus seinem Klammergriff nicht befreien.

Deutschlands Erinnerungskultur in Gefahr

Seine Absolution für Aiwanger kann nun zum Freifahrtschein für Populismus werden. Und man fragt sich schon, wie weit es in Deutschland gekommen ist, wenn ein Politiker wie Aiwanger mit Erinnerungslücken durchkommt, Mitschüler Angst haben, auszusagen, wenn eine Schmutzkampagne konstruiert wird. Die deutsche Geschichte und der Holocaust gebieten einen anderen Umgang mit schweren Vorwürfen. Wer sich an eigene Verfehlungen nur schemenhaft erinnern mag, beschädigt die deutsche Erinnerungskultur insgesamt.

Im Video: Söder hält an Aiwanger fest

03.09.2023, Bayern, München: Markus Söder (CSU) , Ministerpräsident von Bayern, gibt eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz. Söder hält an seinem Stellvertreter Aiwanger (Freie Wähler) fest. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder am Sonntag bei einer Pressekonferenz in München. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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