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Was werden wir künftig tanken ?

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Kraftstoffe der Zukunft: Was kommt in den Tank?

Die Messe IAA Mobility wird in München mit Autotechnik und Modelloffensiven glänzen. Allerdings droht ein wichtiger Aspekt unterzugehen: keine Verkehrswende ohne Kraftstoffwende. Dabei tut sich gerade viel unter dem Tankdeckel – auch in Bayern.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Diesel, Benzin als E10, Super oder Super Plus, Autogas, eine E-Ladestation: überwiegend fossil, ergänzt durch Strom und ganz selten Wasserstoff – so präsentiert sich die Kraftstoffwelt ab Dienstag nicht nur auf der Münchner Messe IAA Mobility, sondern auch den Verbrauchern an deutschen Tankstellen. Doch das könnte sich für die Kundinnen und Kunden bald ändern: wenn die Treibstoffpalette durch eine dritte Säule ergänzt wird.

Ziel: CO2-neutrale Mobilität für alle Verbrenner

Unter dem Sammelbegriff "Re-Fuels" verbergen sich regenerative Kraftstoffe. Sie sollen zusammen mit synthetischen Kraftstoffen (auch: E-Fuels) eine CO2-neutrale Mobilität anstreben, geeignet für jedes Auto mit Verbrennungsmotor. ReFuels lassen sich aus kohlenstoffhaltigen Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft und aus Industrie- und Siedlungsabfällen herstellen, aber auch durch die direkte Umwandlung von CO2 und nachhaltig erzeugtem Wasserstoff. Dabei haben sie eine vergleichbare Energiedichte wie fossile Kraftstoffe.

Das Produktversprechen "Neuer Sprit für alte Autos" ist ein weltweit gleichermaßen interessierendes Thema für Millionen von Autofahrern, Hersteller und Mineralölwirtschaft. Seit Jahren wird geforscht und entwickelt, sehr viel sogar. Daher ist es nicht mehr leicht zu überblicken, wo Universitäten, Industrie und Start-ups gerade stehen und wann was beim Endverbraucher zu bezahlbaren Preisen ankommen könnte. (Einen Überblick bietet das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) der Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft auf seiner Homepage "Re-Fuels - Krafstoffe neu denken".)

Grafik: "Alternative Kraftstoffquellen"

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"Alternative Kraftstoffquellen": Der Sammelbegriff umfasst mittlerweile eine große Vielfalt für Antriebe zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Testfall "HVO"

Mittlerweile bieten mehr als 14.000 Tankstellen in Europa CO2-reduzierten Kraftstoff an, unter anderem sogenannte HVO-Dieselbeimischungen ("Hydrotreated Vegetable Oil"). Deutschland hat hier noch riesigen Nachholbedarf, wie eine aktuelle digitale Landkarte zeigt.

HVO wird zu 100 Prozent aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt und reduziert nach Herstellerangaben Treibhausgasemissionen über den Lebenszyklus des Kraftstoffs um bis zu 90 Prozent im Vergleich zu fossilem Diesel. Damit unterscheidet sich HVO auch entscheidend von herkömmlichem Bio-Diesel aus Raps, wie ihn früher Tankstellen anboten. HVO wandelt kein Pflanzenöl oder Getreide (Stichwort: "Tank-oder-Teller-Debatte") für den Kraftstoff um, sondern nutzt ressourcenschonend organische Rest-und Abfallstoffe, sogar Altplastik und Klärschlamm.

Einige Unternehmen wie beispielsweise Neste in Finnland oder Eni in Italien stellen den Öko-Sprit bereits in großen Mengen her, auch in Bayern produziert zum Beispiel blueFLUX Energy AG aus Peißenberg bereits patentiert. Nach der IAA will der Mineralölhändler Wirtz bei Nürnberg eine Tankstelle für Endverbraucher eröffnen.

"HVO" wohl bald auch für Endkunden in Deutschland

Bislang ist der Verkauf und Einsatz erneuerbarer Dieselkraftstoffe hierzulande lediglich in Kraftstoffgemischen möglich. Noch darf HVO-Diesel in Deutschland aber nicht als Reinkraftstoff mit 100 Prozent erneuerbarem Diesel ("HVO100") an öffentlichen Tankstellen angeboten werden, obwohl die EU dazu ermutigt, denn die Richtlinie 2014/94/EU hat EU-weite Vorgaben zum Aufbau von Infrastrukturen zur Versorgung mit alternativen Kraftstoffen geschaffen. So dürfen bislang nur geschlossene Flotten (etwa Firmenfahrzeuge, ÖPNV und kommunale Flotten) das HVO tanken.

Mittlerweile liegt eine entsprechende Erlaubnisregelung mit der Gesetzesnovelle der 10. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) im Bundesrat zur Beratung vor. Experten rechnen jedoch damit, dass sich das Verfahren bis ins kommende Jahr verzögert – die Länderparlamente, die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen sich allesamt damit befassen. Der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen UNITI hat deshalb allen wahlkämpfenden Parteien in Bayern und Hessen eine Art Wahlprüfstein-Frage gestellt. Nämlich, ob sie der "Änderung zustimmen und falls nicht, warum?"

Neben dem Transportgewerbe würden sich auch Tausende von Oldtimer-Fahrern über erleichterten Zugang zu HVO100-Treibstoffen freuen. Laut Kraftfahrtbundesamt liegt der Bestand in Deutschland bei knapp 800.000 Fahrzeugen, teils mit erheblichen Marktwerten. Den Eigentümern ist natürlich daran gelegen, ihre Fahrzeuge auch künftig noch unter verschärften Emissionsbedingungen und ohne Umbau bewegen zu können – mit Diesel oder Benzin aus regenerativen Quellen.

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Legales Betanken mit CO2-neutralem 98-Oktan-Benzin: In der Oldtimer-Garage von Madmotors im schweizerischen Kemptthal schon erlaubt

Kritiker bemängeln Schwachpunkte, Befürworter halten dagegen

Damit synthetische Kraftstoffe eine Zukunft haben, müssen natürlich eine Reihe von Kritikpunkten überzeugend entkräftet werden, die immer wieder vorgebracht werden. Am ehesten gelingt das unter autotechnischen Gesichtspunkten. So haben standardisierte Tests des österreichischen Automobilclubs ÖAMTC die Unbedenklichkeit der Kraftstoffe bei Verwendung in verschiedenen Pkw-Modellen nachgewiesen: "Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die synthetischen Kraftstoffe problemlos funktionieren, sofern die Modelle für den jeweiligen Sprit freigeben sind", so das Fazit des ÖAMTC-Tests von Ende 2022. Auch die meisten PKW-Hersteller haben mittlerweile mindestens einen Teil ihrer Modellflotten für synthetische Kraftstoffe technisch freigegeben, BMW sogar seine gesamte Dieselflotte.

Der Öko-Verband Transport & Environment (kurz T&E), Dachorganisation verschiedener nichtstaatlicher Organisationen aus ganz Europa, bündelt in Stellungnahmen und Auftragsstudien die Argumente gegen synthetische Kraftstoffe. Hier heißt es, deren Nachteile bei Effizienz, Verfügbarkeit und Kosten würden weit überwiegen. Befürworter kontern mit Gegenstudien. Der ADAC-Test von Ende 2022 bilanzierte einen leicht höheren Verbrauch bei HVO aufgrund der niedrigeren Energiedichte. Die CO2-Emissionen blieben bei den Testfahrzeugen aber unter dem Strich gleich.

Und die Kosten? Bei den Ziegelmaier-Tankstellen im bayerischen Schrobenhausen und Ingolstadt kostet der Liter Diesel-HVO 100 im Jahresschnitt 2023 nach eigenen Berechnungen zehn bis zwölf Cent mehr als herkömmlicher Diesel.

Damit solche klimaneutralen Kraftstoffe bezahlbar und konkurrenzfähig zu Strom bepreist werden, müssen sie mit großen Anlagen in die Massenproduktion. Damit die Industrie dafür erheblich investieren kann, fordert sie die gleichen Steuervorteile wie bei erneuerbarem Strom, Diesel, Autogas oder Erdgas.

Fazit: Miteinander von E-Mobilität und ReFuels wahrscheinlich

Wohin die Entwicklung gehen könnte, zeigt sich am Bodensee.

Zusammen mit den anderen Anrainerstaaten hat auch Bayern ein Interesse daran, den diesellastigen privaten und gewerblichen Schiffsverkehr auf dem großen See zu dekarbonisieren. Denn bezogen auf die CO2-Intensität pro Personen-Kilometer sind Motorboote und Ausflugsdampfer viel treibhausintensiver als Pkw, Busse oder Bahnen. Fachleute wie Christoph Witte, Geschäftsführer der Bodensee-Schiffsbetriebe, sehen vollelektrische Antriebe zwar als Baustein. Für die Bestandsflotte und denkmalgeschützte Oldtimer-Schiffe werde man jedoch auf synthetische Kraftstoffe zurückgreifen müssen. Im bayerischen Lindau wird gerade mit den Motorschiffen "München" und "Lindau" experimentiert, auf welche künftigen Energieträger die Schifffahrt setzen sollte.

Diese Ergebnisoffenheit ist übertragbar auf den Pkw-Bestand, Schwerlastverkehre und Landmaschinen. Hier bieten ReFuels für die Kraftstoffwende mindestens eine Ergänzung - zumindest für eine längere Übergangszeit. "Je länger die E-Mobilität zur Marktdurchdringung benötigt, umso länger werden wir im Sinne des Klimaschutzes auf alternative Kraftstoffsorten angewiesen sein" – so lautet zumindest die Prognose des Verbandes der Biokraftstoffindustrie auf BR24-Anfrage.

Im Video: "Klimafreundliche Kraftstoffe: Wie die Politik bremst"

Grüne Kraftstoffe tanken
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Grüne Kraftstoffe tanken

Dieser Artikel ist erstmals am 3. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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