Künstliche Bewässerung auf einem abgeernteten Maisfeld in der Ukraine
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Künstliche Bewässerung auf einem abgeernteten Maisfeld in der Ukraine

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Kachowka-Staudamm zerstört: Die Folgen für die Landwirtschaft

Knapp eine Woche ist seit dem Dammbruch am Kachowka-Stausee vergangen. Nun warnt der ukrainische Agrarminister Mykola Solskyi: Mangelnde Bewässerung werde das größte Problem für die Landwirtschaft in der Südukraine.

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Mehr als 10.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche wurden als Folge des Dammbruchs am Kachowka-Stausee überflutet. Nach ukrainischen Angaben wurden 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnipro gespült. Ob die überfluteten Flächen mittelfristig wieder für Ackerbau genutzt werden können, ist offen.

Alex Lissitsa, der Vorsitzende des ukrainischen Verbands der Agrarunternehmer, sagte BR24 auf Anfrage, es werde befürchtet, dass sich auch Tierseuchen ausbreiten könnten, da kleinere Ställe mitsamt den Tieren weggeschwemmt wurden.

Bewässerung rund einer halben Million Hektar Fläche in Gefahr

Aber nicht nur überflutete Flächen bieten aus landwirtschaftlicher Sicht Grund zur Sorge. Am Kachowka-Stausee hängen 31 Bewässerungssysteme für gut 580.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche. Dadurch könnten, so schätzt der ukrainische Agrarexperte Lissitsa, vier Millionen Tonnen Getreide verdörren.

Laut Lissitsa war auch vor dem Dammbruch mit 20 Prozent weniger Getreide aus der Ukraine zu rechnen, da weniger ausgesät wurde. Der Experte vermag die Auswirkung auf den Weltmarkt nicht abzuschätzen, da andere Regionen beim Getreideanbau mit großer Trockenheit zu kämpfen haben und Ausfälle befürchten. Möglicherweise könnten südosteuropäische Länder wie Rumänien oder Serbien die Folgen der Ernteausfälle in der Ukraine abfedern oder ausgleichen.

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Große Flächen stehen unter Wasser

Stark betroffen: Obst- und Gemüseanbau

Betroffen ist aber auch der Anbau von Gemüse wie Tomaten und die daran hängende Lebensmittelindustrie, die aus den Tomaten Ketchup und andere Produkte herstellt, sowie der Melonenanbau. Schon vergangene Woche warnte das ukrainische Agrarministerium, ohne Bewässerung könnte die gute halbe Million Hektar Fläche in "Wüste" verwandelt werden.

Nun wird der Minister konkreter: Indirekt könnten insgesamt 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche betroffen sein, da es sich für Landwirte nicht lohne, Felder ohne Bewässerung zu bewirtschaften, wenn ihnen das Einkommen aus den Feldern fehle, die bis vor kurzem bewässert wurden.

Der ukrainische Agrarminister Solskyi vermutet, dass es drei bis sieben Jahre dauern werde, bis die Bewässerungssysteme wieder repariert seien. Er warnt vor einem sozialen Problem durch die Ernteausfälle. Laut dem Minister werden die Bewässerungssysteme nicht mit Wasser versorgt werden, bis der Staudamm wiederaufgebaut ist.

Fischerei und Logistik

Hinzu kommt, dass der Fluss Dnipro, der ins Schwarze Meer mündet, auch in der Logistik eine große Rolle spielt: als Transportweg für landwirtschaftliche Produkte, die in den Export gehen. Auch davor warnte das ukrainische Agrarministerium. In Gefahr seien außerdem 95.000 Tonnen Fisch, die durch sinkende Pegelstände möglicherweise nicht überleben.

Auswirkungen auf Deutschland und Bayern

Das Agrarunternehmen BayWa fürchtet keine "signifikanten" Auswirkungen des Staudammbruchs auf Bayern. Im Vergleich zu 2022 habe sich die Versorgung mit Agrarerzeugnissen aus der Ukraine seit Ende vergangenen Jahres entspannt, teilte BayWa-Sprecherin Antja Krieger auf BR24-Anfrage mit: "Neben den Exporten über das Schwarze Meer durch das mehrfach verlängerte Getreideabkommen hat sich mittlerweile auch eine Route über den Landweg etabliert, über die monatlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine exportiert werden. Dies gilt für Weizen ebenso wie für Sonnenblumen und Mais." Bei Weizen seien Bayern und Deutschland nicht auf Importe aus dem Ausland angewiesen, da die heimische Produktion den Bedarf decke. Das sei bei Mais und Sonnenblumen anders.

Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums sagte auf BR24-Anfrage, die Preise für Getreide seien nach dem Staudammbruch weltweit gestiegen, "die Auswirkungen auf den deutschen Agrarmarkt sind aber bislang insgesamt moderat."

Entwicklung der Getreidepreise seit Kriegsbeginn

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2023 stiegen die Getreidepreise rapide an und erreichten im April 2022 den bisherigen Höchststand während des Kriegsverlaufs, teilt der BBV auf BR24-Anfrage mit. "Seit der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres erleben wir einen stetigen Abwärtstrend der Getreidepreise, der sich nach Auffassung des BBV kurzfristig auch so fortsetzen wird", sagte Andreas Löbhard, Marktexperte beim Bauernverband.

Zwei Gründe findet der Experte für die sinkenden Preise: zum einen ein umfangreiches Angebot von Getreide aus der Schwarzmeerregion, für das die Ukraine über das Getreideabkommen und vor allem Russland verantwortlich seien. "Russland hat in der vergangenen Saison eine Rekordernte eingefahren und weist eine hohe Exportquote auf", stellt BBV-Mann Löbhard fest. Der zweite Grund für die massiven Preisverfälle bei Getreide sieht er in den guten Prognosen für die kommende Ernte. Kombiniert mit gut gefüllten Lagern wirken sich die positiven Aussichten preisdrückend aus.

Der Experte aus Bayern sieht die Lage also deutlich optimistischer als Alex Lissitsa, der Agrarexperte aus der Ukraine, der auf weniger Ernte in der Ukraine und in anderen möglicherweise von Trockenheit betroffenen Anbaugebieten verweist.

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