Ein am Boden liegender wehrloser Junge wird von zwei anderen brutal festgehalten und getreten (gestellte Szene).
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Wie verhindern, dass Jugendliche gewalttätig werden?

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Jugend-Gewalt: Stadt München will Präventionsarbeit verstärken

Immer wieder begehen Jugendliche brutale Gewalttaten. Die Täter machen zwar nur einen Bruchteil aller Minderjährigen aus. Aber es werden mehr, die Taten brutaler. Grund für die Stadt München und die Polizei, die Präventionsarbeit zu verstärken.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Tritte und Schläge, Messerstechereien bis hin zu Mord: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat sich besorgt über die Zunahme und die steigende Brutalität von Gewalttaten durch Kinder und Jugendliche gezeigt. "Bedenklich ist, dass die Täterinnen und Täter immer jünger werden, dass die Zahl der Raubdelikte dramatisch zunimmt, dass sich die Jugendlichen falsche Vorbilder suchen", sagte Reiter bei einer Pressekonferenz von Stadt und Polizei im Rathaus.

Trotz einer Vielzahl von Präventionsprojekten hätten sich die Verhältnisse gerade auch durch die Corona-Pandemie zuletzt verschärft, sagte Reiter mit Blick auf teils erschreckende Gewaltausbrüche von Minderjährigen. Die Landeshauptstadt und das Polizeipräsidium München wollen deshalb künftig bei der Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen noch stärker zusammenarbeiten.

Neue zielgerichtete Maßnahmen zur Gewaltprävention

Konkret soll ein Gremium eingerichtet werden, dem Verantwortliche verschiedener städtischer Referate (Soziales, Bildung und Sport, Kreisverwaltung), des staatlichen Schulamts und des Polizeipräsidiums München angehören sollen. Dieses neue Gremium werde "künftig dafür sorgen, dass bestehende Maßnahmen auf Anpassung geprüft, neue zielgerichtet aufgesetzt und stetig angepasst werden", heißt es in einer Erklärung "Gemeinsam gegen Gewalt". Geplant ist, dass langfristig weitere Akteure aufgenommen werden, wie Vertreter des Freistaats, von freien Trägern und von Jugendhilfeeinrichtungen. Im ersten Quartal soll das neue Gremium dem Stadtrat präsentiert werden.

Oberbürgermeister Reiter beklagte in dem Zusammenhang, dass es den Jugendlichen heute an positiven Vorbildern wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller wie zu seiner Jugendzeit fehle. Stattdessen wären heute Clanchefs die Idole.

Polizei: Zahlen innerhalb eines Jahres deutlich gestiegen

Die gute Nachricht sei, dass die Gewaltkriminalität unter Kindern und Jugendlichen 2022 auf dem Niveau von vor zehn Jahren lag, erklärte Polizeipräsident Thomas Hampel. Die schlechte Nachricht sei jedoch: Von 2021 auf 2022 seien die Zahlen um knapp ein Drittel gestiegen. "Wir hoffen, dass das keine Trendwende ist, aber es sind zumindest Warnsignale, die uns mit Sorge umtreiben", sagte Hampel. Zumal das Alter der zum Großteil männlichen Täter immer niedriger werde: Waren im Vor-Corona-Jahr 2019 noch knapp 14 Prozent aller Gewalttäter minderjährig, waren es 2022 bereits etwa 20 Prozent. Natürlich wäre die primäre Aufgabe der Polizei die Strafverfolgung, so der Polizeipräsident, aber gerade bei den unter 18-Jährigen setze die Polizei auf Prävention. Die enge Zusammenarbeit mit der Stadt sei dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor.

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OB Reiter (2.v.l.) und Polizeipräsident Hampel (Mitte) bei der PK im Rathaus

Mitläufer vor der schiefen Bahn bewahren

Polizei und Stadt legen schon lange den Fokus auf meist niedrigschwellige Präventionsprojekte, mehrere Millionen Euro lässt sich die Stadt das im Jahr kosten. Und dennoch: "Wir müssen da noch mehr tun als bisher", betonte Reiter. Am Geld werde es dabei nicht scheitern. Auch Hampel zeigte sich von der Notwendigkeit früher und intensiver Präventionsarbeit überzeugt: "Die Hardcorestraftäter, die zu allem entschlossen sind, die werden wir mit reiner Prävention nicht erreichen." Doch die Mitläufer, die gewalttätiges Verhalten cool fänden und "auch Gangster werden" wollten, die könne man durch Prävention, aber auch Präsenz der Polizeikräfte durchaus noch davon abhalten, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Alte Hemmschwellen fallen

Bei der Prävention müsse Medienkompetenz künftig im Vordergrund stehen, betonten Hampel und Reiter. Denn ein recht neues Phänomen sei, dass nicht nur auf Sozialen Medien etwa durch Cybermobbing Gewalt ausgeübt werde, sondern dass selbst schwerste Verbrechen vor allem deshalb begangen würden, um sich damit im Netz zu brüsten. "Die gerieren sich als Gangster und machen auf dicke Hose", schilderte Hampel. Dabei fielen vermehrt alte Hemmschwellen. "Auch früher hat es immer Schulhofschlägereien gegeben. Aber bei der roten Linie, wenn einer am Boden liegt, war in den meisten Fällen Schluss."

Bei den Kindern und Jugendlichen spiegele sich dabei nur ein Phänomen der Erwachsenenwelt wider, betonte Reiter. "Wir erleben eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit zunehmender Brutalität in der Sprache, zunehmender Brutalität in den Kommentaren bei Social Media. Und aus Sprache, aus Ankündigungen werden immer öfter auch Taten."

Entsetzen über schwerste Straftaten Minderjähriger

Bundesweit, aber auch in Bayern und der Landeshauptstadt selbst hatten in der jüngeren Vergangenheit wiederholt schwerste Straftaten Minderjähriger für Entsetzen gesorgt. So wurde in München gerade ein Jugendlicher zu sieben Jahren Haft verurteilt, der als 16-Jähriger einen 18-Jährigen erstochen hatte. Im fränkischen Lohr am Main soll ein 14-Jähriger im September einen Gleichaltrigen erschossen haben, und in einem Kinderheim im oberfränkischen Wunsiedel tötete im Frühjahr wohl ein Elfjähriger eine Zehnjährige.

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Das bayerische Justizministerium hat inzwischen auch Stellung genommen. Im Grundsatz gelte: "Ein großer Teil der schweren und wiederholten Taten wird durch eine kleine Gruppe von Intensivtätern und aus Gruppen heraus verübt", erläuterte Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Besonders jugendliche Intensivtäter müssten deshalb frühzeitig gestoppt werden.

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