Flüchtlingskrise in Bayern: Zwischen Integration und Herausforderung
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Flüchtlingskrise in Bayern: Zwischen Integration und Herausforderung

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Geflüchtete in Bayern: Zwischen Integration und Herausforderung

In Bayern steigen die Flüchtlingszahlen an und bringen Kommunen an ihre Grenzen. Welche Lösungen kann es geben? Kontrovers - Die Story hat zwei Gemeinden begleitet.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Jahr für Jahr steigen seit 2020 die Flüchtlingszahlen in Bayern wieder an. Das stellt die Kommunen vor große Herausforderungen. 2023 haben im Freistaat rund 50.000 Menschen einen Asyl-Erstantrag gestellt, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Kontrovers - Die Story wollte wissen: Was bedeutet das konkret für die Gemeinden?

Unterkünfte sind notdürftig

Die kleine Gemeinde Hebertshausen bei Dachau nimmt fünfmal so viele Geflüchtete auf wie vorgesehen. Rund 6.000 Menschen leben hier - und knapp 250 Geflüchtete. Für den Bürgermeister Richard Reischl ist das bisher kein Grund zur Panik. "Weil mir diese Menschen keine Angst machen", sagt er. "Weil wir Lösungen dafür finden."

In der Erstunterkunft von Hebertshausen kommt alle zwei Wochen ein Bus mit 50 Geflüchteten an. Einige bleiben Tage, andere monatelang. Die Unterkunft ist notdürftig eingerichtet. Es gibt keinen Privatraum, die Menschen sind provisorisch abgetrennt durch bunte Vorhänge und graue Metallschränke. "Es ist wichtig, das mal nach außen zu spiegeln: Diese Unterbringungen erfolgen nicht in einem hohen Standard", sagt Bürgermeister Reischl in der Reportage von Kontrovers - Die Story.

Mit Ängsten offen und transparent umgehen

Seinen Hebertshausenern will Reischl zeigen, dass hier niemandem etwas weggenommen wird. Ängsten begegnet der Bürgermeister mit Offenheit und Transparenz, zum Beispiel was die Kriminalität im Ort angeht. Jedes Jahr präsentiert er bei den Bürgerversammlungen die Kriminalitätsstatistik der Gemeinde. "Obwohl wir fünfmal so viele Asylbewerber aufnehmen, wie wir müssten, geht unsere Kriminalitätsstatistik jedes Jahr nach unten", berichtet Bürgermeister Reischl. "Wir haben jedes Jahr weniger Straftaten, jetzt sieben Jahre hintereinander."

Reischl meint: Wenn Bürgermeister sich zurzeit beschweren, dann liege das nicht an den Geflüchteten. Er hat das Gefühl, dass Bürgermeister mit ihren Anliegen kein Gehör mehr finden. "Wir wollen nicht länger Sündenböcke für die schlechte Politik vom Freistaat und der Bundesregierung sein", so Reischl.

Im Video: Flüchtlingskrise: Wie schaffen wir das?

Eichenau: Ein menschenunwürdiger Vorschlag

Vor welchen Herausforderungen stehen andere Gemeinden? Eichenau bei Fürstenfeldbruck soll womöglich demnächst doppelt so viele Geflüchtete in der örtlichen Sammelunterkunft aufnehmen – anstatt rund 50 Geflüchteten sollen es 100 sein, darum habe der Landrat den Eichenauer Bürgermeister Peter Münster gebeten. Die Ausstattung in Küche oder Sanitärbereich würde dabei gleich bleiben.

"Wir waren in der ersten Sekunde erstmal richtig überrascht und auch verärgert, als wir den Vorschlag gehört haben", erinnert sich Bürgermeister Münster. "Menschen dann fast auf vier Quadratmetern unterzubringen, wäre nicht menschenwürdig", findet er.

Konflikte und psychische Belastung für Geflüchtete

Konkret würde der Vorschlag zum Beispiel bedeuten: In der Küche müssten sich statt wie bisher 50 Menschen dann 100 Menschen die drei Herde teilen. Auch im Badezimmer gäbe es keine Aufstockung der drei Waschbecken und zwei Duschen. "Da sehe ich großes Konfliktpotential", so Münster. Der bislang einzige Gemeinschaftsraum würde mit den Plänen vom Landrat komplett wegfallen. "Ich denke, dass die Schwierigkeiten, die wir in der psychischen Belastung haben, zunehmen würden", so Bürgermeister Münster. Er will den Landrat überzeugen, dass es nicht zur Verdopplung kommt.

Unterbringung als große Herausforderung

Tatsächlich ist die Unterbringung der Geflüchteten mit das größte Problem. Eine Studie vom vergangenen Sommer zeigt: Manche Kommunen kommen damit besser zurecht als andere. Dafür gibt es vor allem drei Faktoren: Die Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, zweitens die Frage, wie proaktiv Kommunen an das Thema herangehen, und drittens, wie sie personell und organisatorisch in den Verwaltungen aufgestellt sind.

Eigene Wohnung für eigenständiges Leben

Gelungene Integration heißt auch: nicht mehr abhängig zu sein, sondern auf eigenen Beinen zu stehen. Etwa durch eine eigene Wohnung. Der Afghane Hamud Ahmadi lebt seit sieben Jahren in der Sammelunterkunft in Heberetshausen. 2015 ist er vor den Taliban geflohen, kam zu Fuß und per Anhalter über die Balkanroute. Heute arbeitet er im Schichtdienst für eine Fast-Food-Kette. Seine Chancen auf eine eigene Wohnung stehen gut. "Ich brauche die Wohnung, damit ich einen unbefristeten Aufenthaltstitel stellen kann", erklärt Hamud Ahmadi.

Unterstützung vom örtlichen Helferkreis

Unterstützung bekommt er von Peter Barth aus dem Helferkreis in Hebertshausen. Der Rentner begleitet Hamud Ahmadi seit Jahren. Gemeinsam mit dem Bürgermeister Richard Reischl hat er Ahmadi als Mieter für eine Wohnung vorgeschlagen. Und weil die Stimmung in Hebertshausen grundsätzlich gut ist, hat die Vermieterin zugestimmt.

"Hebertshausen ist eine Gemeinde wie überall", erzählt Peter Barth. "Aber wenn Menschen sehen, dass die Flüchtlinge eine Ausbildung machen und in die Arbeit gehen, dann ist das die beste Werbung für Flüchtlinge." Deshalb sei es so wichtig, dass Geflüchtete einen Alltag haben wie alle anderen Menschen auch.

Gelder für hauptamtliche Flüchtlingshilfe gestrichen

Das Beispiel von Hamud Ahmadi zeigt, wie wichtig Flüchtlingshilfe für die Integration ist. In Eichenau, berichtet Bürgermeister Münster, seien Gelder für hauptamtliche Flüchtlingshilfe gestrichen worden. Die Caritas, die viele Jahre diese Arbeit übernahm, zog deshalb nach Fürstenfeldbruck. Und auch im ehrenamtlichen Helferkreis aus Eichenau lassen die Kräfte nach. Die Geflüchteten werden mehr, die Helfer weniger. "Wir schaffen es nicht mehr, regelmäßig in die Unterkünfte zu gehen, um die Leute kennenzulernen und sie zu unterstützen", so El-Maghary. Geflüchtete würden so auf der Strecke bleiben.

Ibrahim El-Maghary engagiert sich seit 2015 im Helferkreis, das Ehrenamt ist neben seinem Beruf als Informatiker wie ein zweiter Full-Time-Job. Sein Antrieb sind die Erfolge von gelungener Integration, die er beobachtet: "Die Menschen haben schöne Erfolge erzielt, mit unserer Unterstützung in Richtung Arbeit, Schule und Ausbildung", so El-Maghary. Sein Highlight: Eine junge Frau, die in Eichenau zunächst den Mittelschulabschluss gemacht hat und jetzt an der LMU in München studiert.

Bürgermeister fordern langfristige Konzepte

Umso wichtiger wäre eine hauptamtliche Helferstruktur vor Ort, so der Eichenauer Bürgermeister Peter Münster. Vom Landratsamt heißt es inzwischen, dass es möglicherweise wieder eine hauptamtliche Stelle in Eichenau geben könnte, finanziert über neue Mittel vom Bund über den Freistaat, berichtet der Bürgermeister von einem Telefonat mit dem Landrat. Auch die drohende Verdoppelung der Aufnahmezahl in der Erstaufnahmeeinrichtung sei zumindest für die nächsten sechs Monate abgewendet.

Für die Zukunft wünscht sich Münster mehr Konzepte und weniger kurzfristige Lösungen. "Das ist eine Aufgabe für die Bundesrepublik, aber auch für den Freistaat, einen Plan zu entwickeln, wie langfristig solche Aufnahmen funktionieren können." Er fügt hinzu: "Ich halte es für eine Illusion, dass das Thema verschwinden wird."

Kritik an Politik

Sein Bürgermeisterkollege Richard Reischl in Hebertshausen meint: Um Integration zu schaffen, brauche es mehr Optimismus. Er sieht den Fehler auch bei der eigenen Partei CSU. "Ich verurteile es sehr scharf, wenn Menschen, die in hoher Verantwortung sind und auf die stark geachtet wird, wie unser Ministerpräsident, wenn die rhetorisch immer wieder versuchen zu zündeln und Ängste zu entwickeln."

Stattdessen sei die Aufgabe von Politik, vorauszuschauen und zu planen. "Damit das Thema Asyl kein Problemthema mehr ist, sondern ein Alltagsthema wird, wie viele andere auch", hofft Reischl.

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