Kein Thema beschäftigt Politik und Gesellschaft derzeit so sehr wie das Thema Migration. Ein wichtiger Aspekt: Flüchtlinge und ihre Rolle auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Dazu hat BR24 mit Prof. Herbert Brücker gesprochen. Seit 2005 leitet er im IAB, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, den Bereich "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" in Nürnberg. Seit 2018 ist er zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin.
- Zum Artikel: Sollten Flüchtlinge früher arbeiten dürfen?
BR24: Herr Prof. Brücker, sollten Flüchtlinge früher bei uns arbeiten dürfen?
Prof. Herbert Brücker: Ja, jeder der arbeitet, hilft. Aber wir sollten die Menschen zunächst in Integrationskurse schicken, idealerweise schon vier Wochen nach der Ankunft. Wenn sie da durch sind, wenn minimale Sprachkenntnisse vorhanden sind, kann die Arbeitsmarktintegration beginnen. Dann hängen die Leute nicht herum und verlieren nicht ihre Motivation. Was wir dabei aber nicht vergessen sollten: Wir stehen im Schnitt besser da als die meisten europäischen Länder. Besser als Frankreich und Italien, aber auch viel besser als die meisten skandinavischen Ländern wie Dänemark. Wir bringen die Geflüchteten im Schnitt schneller in Arbeit und es arbeiten auch anteilig mehr Flüchtlinge bei uns als in vielen anderen europäischen Ländern. Nur bei den ukrainischen Flüchtlingen sind bislang manche Länder schneller.
BR24: Was hindert Flüchtlinge, in Deutschland schnell eine Arbeit aufzunehmen?
Brücker: Vieles. Zunächst haben viele Menschen schreckliche Erfahrungen in ihren Heimatländern oder auf der Flucht gemacht. Das beeinträchtigt vor allem die seelische Gesundheit. Da können wir, außer einer guten Gesundheitsversorgung, wenig dran tun. Aber an den Hürden auf unserer Seite können wir arbeiten. Die entscheidende Stellschraube ist die Dauer der Asyl- und Gerichtsverfahren bis zur Entscheidung über Asylanträge. Da müssen wir schneller werden.
"Unsicherheit ist immer schlecht für Investitionen und Integration"
BR24: Warum ist das so entscheidend?
Brücker: Nehmen wir die Unternehmen: Die stellen ungern jemanden ein, von dem sie nicht wissen, ob dieser Mensch überhaupt bleibt. Aber die rechtliche Unsicherheit wirkt sich auch auf die Geflüchteten aus. Auch die wissen nicht, ob sie in Deutschland bleiben können. Und dann investiert man zum Beispiel weniger in Sprache, weniger in Integration. Und es ist eine psychische Frage: Man ist in einem unsicheren Zustand, und Unsicherheit ist immer schlecht für Investitionen und immer schlecht für Integration.
BR24: Wie gravierend ist dieser Effekt?
Brücker: Man kann sagen, dass die Integration eigentlich erst beginnt, wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist. Dann nehmen die Leute an Sprachkursen teil, dann gehen die Beschäftigungsquoten hoch, dann nimmt die Lebenszufriedenheit zu, und dann beginnen die Menschen, soziale Kontakte zur einheimischen Bevölkerung aufzubauen. Die Dauer des Asylverfahrens hat teils jahrelange Folgen. Wer 18 Monate im Asylverfahren war, hat im Schnitt auch vier oder fünf Jahre später eine niedrigere Beschäftigungsquote als jemand, bei dem das Asylverfahren nur sechs Monate gedauert hat. Je länger also ein Asylverfahren dauert, desto später erfolgt die Integration der Menschen auf den Arbeitsmarkt.
BR24: Und wie kann man die Asylverfahren beschleunigen?
Brücker: Im Wesentlichen müssen die Kapazitäten des BAMF, aber auch die der Gerichte aufgestockt werden. Sinnvoll wäre auch eine bessere juristische Vorbildung der Entscheiderinnen und Entscheider. Und es wäre sinnvoll, wenn die Asylbewerber schon im Verfahren im Regelfall einen Rechtsbeistand hätten. Dann steigt die Rechtssicherheit der Entscheidungen, die Gerichte haben weniger Arbeit und die Fristen bis zur endgültigen Entscheidung verkürzen sich.
"Jeder, der arbeitet, fällt dem Sozialstaat nicht zur Last"
BR24: Und wer kein Asyl bekommt, soll derjenige trotzdem arbeiten dürfen?
Brücker: Warum sollte jemand nicht hier arbeiten bis zur Ausreise? Jeder, der arbeitet, fällt dem Sozialstaat nicht zur Last. Ansonsten zahlt für ihn der Steuerzahler. Und das kann man sich schenken. Zudem: Viele, die später durch Gerichte oder den Verwaltungsweg noch anerkannt werden, könnten dann nicht arbeiten. Wenn wir aber zwei Jahre warten, bis das Gericht entschieden hat, verlieren wir natürlich enorm viel Zeit für die Integration und natürlich auch Geld.
BR24: Aber wäre eine grundsätzliche Arbeitserlaubnis nicht ein Anreiz, nach Deutschland zu kommen?
Brücker: Theoretisch könnte das sein. Nur: Wir haben bislang keine Belege dafür, dass der schnellere Zugang zum Arbeitsmarkt zu mehr Einreisen führt. Den Menschen ist es relativ egal, ob sie in den ersten Monaten nicht arbeiten dürfen, das spielt bei der Gesamtentscheidung eine relativ geringe Rolle. Die Menschen interessiert, wie hoch ihr Einkommen nach fünf oder zehn Jahren ist. Zur Einordnung: In der deutschen Gesamtbevölkerung haben rund 76 Prozent einen Job. Von denen, die in der ersten Flüchtlingswelle 2015 gekommen sind, hatten 54 Prozent nach sechs Jahren einen Job, nach sieben Jahren 62 Prozent. Und in den nächsten Jahren werden die 2015 gekommenen Flüchtlinge Quoten von über 65 Prozent erreichen. Das ist viel besser als bei den jugoslawischen Geflüchteten, die damals während der Bürgerkriege gekommen sind.
BR24: Wie wichtig ist denn die Frage, in welchem Landesteil die Flüchtlinge untergebracht werden?
Brücker: Wir haben die Menschen überwiegend in strukturschwache Region mit hoher Arbeitslosigkeit verteilt. Das war ein großer Fehler! Wenn in einer Region die Arbeitslosenquote nur ein Prozent über dem Bundesschnitt liegt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, einen Job zu finden für einen Flüchtling, signifikant. Und durch die Wohnsitzauflage haben wir das noch verschärft. Diese Auflage besagt, dass auch anerkannte Asylbewerber drei Jahre lang in einem bestimmten Bundesland oder einer bestimmten Stadt leben müssen, wenn sie dort Sozialleistungen beziehen.
"Wir suchen überall händeringend Arbeitskräfte"
BR24: Nehmen Flüchtlinge eigentlich Deutschen Arbeitsplätze weg?
Brücker: Nein. Wir suchen überall händeringend Arbeitskräfte. Und die Flüchtlinge müssen in der ersten Phase auch versorgt werden. Wir haben Gemeinschaftsunterkünfte, die errichtet werden müssen, Sprachprogramme, Bildungsausgaben und vieles mehr. Wir haben in einer Studie festgestellt, dass in der ersten Phase nach dem Zuzug die Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung in den betroffenen Regionen steigt, das könnte rund 80.000 Arbeitsplätze ausmachen. Langfristig, wenn die Flüchtlinge arbeiten, sind die Beschäftigungseffekte neutral.
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