Zwei Männer mit Sicherheitsbrillen beugen sich über einen Messschieber und begutachten ein Stahlteil.
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Azubi Serhii Povelii aus der Ukraine und sein Ausbilder Manuel Dodik überprüfen, ob Serhii genau genug gearbeitet hat.

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Geflüchtete als Azubis: Wertvoller Nachwuchs für das Handwerk

Viel Zeit und Geld steckt der Landsberger Gerätehersteller für Profiküchen Rational in die Ausbildung von Geflüchteten. Warum es das dem Unternehmen wert ist und wo die Schwierigkeiten liegen - gerade auch für kleinere Betriebe.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Serhii Poveliis Leben hat sich ziemlich verändert, seitdem er im September die Ausbildung zur Fachkraft für Metalltechnik bei der Firma Rational in Landsberg begonnen hat. Sein Ausbilder Manuel Dodik hat ihm nicht nur bei der deutschen Bürokratie geholfen, sondern auch bei der Wohnungssuche und sogar beim Tragen seines Schlafsofas. So konnte Povelii, der von der russisch besetzten Krim in der Ukraine geflüchtet ist, nach mehreren Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft - mit einem Zimmer für teilweise bis zu fünf Personen - endlich in eine eigene Wohnung ziehen.

  • Zum Artikel: Personalmangel: Woran der Zuzug von Fachkräften häufig scheitert

Ausbilder als "Elternersatz" für Azubis mit Fluchthintergrund

Der 27-jährige Povelii erzählt, für ihn sei es überraschend gewesen, wie viele Menschen ihm geholfen hätten, obwohl sie ihn gar nicht kannten - einfach, weil er jetzt Azubi bei Rational sei. Sein Ausbilder Manuel Dodik ist ausschließlich für ihn und die anderen Azubis mit Fluchthintergrund oder sonstigem Förderbedarf da.

Für die aktuell sieben jungen Leute schlüpft Dodik mehr oder weniger in die Rolle des Elternteils, wie er selbst sagt, und unterstützt sie auch bei Problemen außerhalb der Ausbildung. Doch damit nicht genug: Seine Azubis gehen in Peiting auf eine Berufsschule, die auf besonderen Förderbedarf ausgelegt ist. Außerdem erhalten sie Deutschunterricht und fachlichen Nachhilfeunterricht von einem ehrenamtlichen Ingenieur im Ruhestand des Senior Expert Service (SES).

Integrationspreis für Ausbildungsprogramm erhalten

Die Firma Rational bildet seit 2015 Geflüchtete aus und hat dafür vergangenes Jahr den Integrationspreis der Regierung von Oberbayern erhalten. Alle 15 ausgelernten Fachkräfte arbeiten nach wie vor dort, teils sogar als angehende Meister. Das Unternehmen produziert Geräte für Groß- und Gewerbeküchen und ist einer der größten Arbeitgeber in der Region um Landsberg.

Als großer Ausbildungsbetrieb mit rund 70 Azubis und fünf technischen Ausbildern kann und will Rational es sich leisten, Azubis mit Fluchthintergrund aufzunehmen. Einen sechsstelligen Betrag kostet die zweijährige Ausbildung pro Person, schätzt Ausbildungsleiter Daniel Goller: "Aber das ist es uns wert." Er sieht das als Investition in die Zukunft und will damit nicht nur einen Beitrag zur Integration leisten, sondern auch für passgenauen Fachkräftenachwuchs sorgen. Doch das allein werde den Fachkräftemangel nicht beseitigen:

Parallel dazu müssen noch viele andere Maßnahmen laufen, um sich weiterhin als attraktiver Arbeitgeber oder Ausbildungsbetrieb präsentieren zu können. Aber es ist ein Puzzleteil von vielen." Daniel Goller, Ausbildungsleiter bei Rational, Landsberg am Lech

IHK: Mehr Betreuungsaufwand bei Geflüchteten

Auch Mareike Steveling, die bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern das Team der Integrations- und Bildungsberatung leitet, sieht darin "nur" einen Teil der Lösung: Geflüchtete auszubilden, sei ein vielversprechender Ansatz gegen den Fachkräftemangel, aber auch mit einem gewissen Engagement der Ausbildungsbetriebe verbunden. Die Azubis bräuchten etwa Unterstützung bei der Wohnungssuche, bei rechtlichen Themen oder der Sprachförderung. Kleinere Betriebe können deshalb wegen geringerer Ressourcen laut Steveling nicht in dem Umfang Geflüchtete ausbilden, wie es etwa für Rational möglich ist. Aber auch bei kleineren Firmen gebe es kreative Ideen zur Unterstützung, beispielsweise Teilzeitausbildungen.

Sprache, Recht und Wohnen sind strukturelle Hürden

Generell stellen sich sprachliche Hürden, die Wohnsituation und die rechtliche Situation oft als Probleme heraus und sollten vorab bedacht werden, so Steveling von der IHK. Die größten strukturellen Hürden sieht sie beim Angebot von Sprachkursen, von denen es in manchen oberbayerischen Regionen noch mehr geben könnte, und bei der rechtlichen Debatte: Wer darf arbeiten, wer nicht? In den vergangenen Jahren hätten sich die Berater der IHK diesbezüglich eine gute Übersicht verschafft und könnten den Betrieben helfen, so Steveling weiter. Das gelte auch für die staatlichen Fördermöglichkeiten, durch die sich Betriebe derartige Maßnahmen leisten könnten.

Oberbayern: 2.310 Azubis aus "fluchtwahrscheinlichen" Ländern

Zum Jahreswechsel gab es im Bereich der oberbayerischen IHK 2.310 Azubis aus "fluchtwahrscheinlichen Ländern", wie Afghanistan, Irak oder Syrien. Seit dem Höchststand 2019 mit rund 2.900 Auszubildenden ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Dieses Ausbildungsjahr haben rund 1.000 Azubis mit Fluchthintergrund neu begonnen, 57 von ihnen aus der Ukraine.

Aber laut Steveling kommt es nicht nur auf die Geflüchteten an, sondern auch generell auf die Zuwanderung aus Drittstaaten. Die Zahl der oberbayerischen IHK-Azubis aus Ländern mit Ausbildungsvisium ist in den letzten beiden Jahren gestiegen: Aus Vietnam kommen derzeit fast 200 Azubis, 2020 waren es noch knapp die Hälfte. Aus Marokko haben aktuell 145 Personen Ausbildungsverträge, vor zwei Jahren waren es nur 39.

Syrischer Azubi: "Schlimmeres erlebt" als Zwischenprüfung

Für die Azubis von Rational im zweiten Lehrjahr stehen bald Zwischenprüfungen an: Abd Alnahas und Yasseen Alsheikh aus Syrien bereiten sich aktuell darauf vor. Während Alsheikh aufgeregt ist, vor allem wegen der Sprache, wirkt Alnahas ganz entspannt: "Wir haben echt schon viel Schlimmeres erlebt: Krieg, dann hierher kommen, Fluchtweg, Schlauchboot. Also für uns ist die Ausbildung nicht schwer – geht schon!", sagt der 25-Jährige.

Und auch für das neue Ausbildungsjahr ab September haben Ausbilder Dodik und Ausbildungsleiter Goller schon vielversprechende Kandidaten und eine Kandidatin kennengelernt, die dann vielleicht auch die sogenannte Einstiegsqualifizierung antreten: ein Langzeitpraktikum zum Testen, ob der jeweilige Ausbildungsberuf etwas für sie ist - gefördert durch die Bundesagentur für Arbeit.

  • Zum Artikel: Können Menschen mit Duldung den Fachkräftemangel lindern?
Ausbilder Dodik und Azubi Yasseen stehen an der Drehmaschine und fertigen ein Bauteil als Vorbereitung auf die Zwischenprüfung der Ausbildung zur Fachkraft Metalltechnik.
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Die geflüchteten Azubis im zweiten Lehrjahr stehen bei Rational kurz vor der Zwischenprüfung.

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