Altenpflegerin Doreen Ohemeng (r) aus Ghana spricht mit Rentnerin Gülen Demirkale aus der Türkei im Victor-Gollancz-Haus, einem kultursensiblen Altenheim. Sie kamen als Gastarbeiter und sind nun pflegebedürftig: Menschen mit Migrationsgeschichte haben im Alter besondere Bedürfnisse. Das Fehlen von ausreichend ausgebildetem Pflegepersonal macht sich hier besonders bemerkbar.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Helmut Fricke

Egal ob Pflege oder Kinderbetreuung: In vielen Branchen fehlen Arbeitskräfte.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Fachkräfte-Einwanderungsgesetz: Lösung oder zahnloser Tiger?

Egal ob Pflege oder Kinderbetreuung: In vielen Branchen fehlen Arbeitskräfte. Nun tritt das überarbeitete Fachkräftegesetz schrittweise in Kraft. Es soll Menschen aus dem Ausland erleichtern, in Deutschland zu arbeiten. Praktiker sind skeptisch.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Dass es die Physiotherapiepraxis von Eberhard Ströder in Konzell in der Oberpfalz überhaupt noch gibt, ist nicht selbstverständlich. "Die hätten wir im August beinahe auch zumachen müssen", sagt Ströder während er gerade einen Schlaganfall-Patienten behandelt. "Wir hatten insgesamt vier Praxen, jetzt haben wir noch drei. Eine haben wir wegen Personalmangel schließen müssen", erzählt Ströder dem BR-Politikmagazin Kontrovers. In der ländlichen Region gibt es ohnehin nicht viele Praxen. Ströders Rettung im Sommer: Eine neue Fachkraft aus dem Ausland, die gerade noch rechtzeitig bei ihm anfangen konnte.

Physiotherapie, Pflege, Kinderbetreuung, aber auch Industrie und produzierendes Gewerbe: In nahezu allen Branchen fehlen Arbeitskräfte. Das überarbeitete Fachkräfte-Einwanderungsgesetz des Bundes soll helfen und vor allem vereinfachen, ab dem 18. November tritt es schrittweise in Kraft. Physiotherapeut Ströder ist jedoch skeptisch: "Ich habe mir das mal angeschaut. Ich weiß nicht, was sich da verändern soll." Alle bisherigen bürokratischen Prozesse blieben weiter bestehen, er könne "keinerlei Erleichterung" sehen, sagt Ströder.

Knackpunkt: sogenannte reglementierte Berufe

Das Problem: Das Gesetz ändert vor allem Bestimmungen für unreglementierte Berufe wie zum Beispiel Bürokaufleute oder handwerkliche Berufe. Physiotherapie ist aber ein sogenannter reglementierter Beruf, also rechtlich geschützt. Es bedarf einer staatlichen Anerkennung, um in diesem Bereich arbeiten zu dürfen. Auch Pflegefachkräfte oder Berufe in der Erziehung sind reglementiert. In allen drei Berufen herrscht laut Bundesagentur für Arbeit enormer Fachkräftemangel. Doch genau bei diesen Berufen verändere das Gesetz kaum etwas, bemängeln Kritiker.

In Bayern und anderen Bundesländern müssen ausländische Erzieher zum Beispiel noch lernen, wie man Jugendliche und Erwachsene bis 27 Jahre betreut, obwohl sie meistens nur mit kleinen Kindern in der Kita arbeiten. Das geht unter anderem mit einem Praktikum im Jugendheim. Uta Rasche vermittelt Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland. Sie erklärt, dass der Kita-Träger die Fachkraft dann zwar bezahlen müsse, diese arbeite aber mehrere Monate ganz woanders, um die fehlenden Inhalte nachzuarbeiten. "Dazu hat kein Kita-Träger Lust", so Rasches Fazit.

Bayerns Arbeitsministerin verteidigt aufwändigen Prozess

Auch wegen dieser Anforderungen hat die Agentur bislang noch keine Erzieherinnen nach Bayern vermittelt. Im Nachbarbundesland Hessen ist das anders, dort können Anpassungsmaßnahmen in der Kita abgearbeitet werden. Die Erzieherinnen sind dann zwar nicht bundesweit anerkannt, aber können in ganz Hessen arbeiten. Bayern will an seiner Praxis festhalten. Arbeitsministerin Ulrike Scharf begründet den Aufwand im Kontrovers-Interview damit, dass die Qualität der Fachkräfte bei Arbeit am Menschen absolut vorgehe.

Aber gefährden Fachkräfte aus dem Ausland diesen Qualitätsanspruch? Physiotherapeut Eberhard Ströder hat da seine Zweifel. Er findet, die Arbeitgeber wüssten selbst oft genau, welche Fachkraft für den Betrieb gut sei. Bei ihm in der Praxis arbeitet seit zwei Jahren Visar. Er kommt aus dem Kosovo. Eingewöhnungsschwierigkeiten im Job habe er kaum gehabt. Nur die bayerische Sprache sei für ihn am Anfang "ein bisschen schwierig" gewesen, sagt Visar. Er hatte schon im Kosovo als Physiotherapeut gearbeitet. Auch der Schlaganfall-Patient ist zufrieden: "Da gibt's nix." Bis Visar allerdings einreisen und in der Oberpfalz arbeiten durfte, hat es fast zwei Jahre gedauert.

"Ihre Ausbildung weist folgende Defizite auf"

Ortswechsel: Uta Rasche ist mit ihrem Kollegen Andreas Kern am Frankfurter Flughafen auf dem Weg zur Ankunftshalle. In einer Stunde sollen zwei neue Erzieherinnen aus Kolumbien ankommen. Rasche und Kern arbeiten für eine Agentur, die Fachkräfte aus dem Ausland vermittelt. Die Erzieherinnen werden für die Stadt Hanau in Hessen arbeiten. Aber der Prozess, Fachkräfte nach Deutschland zu holen, sei vielerorts nicht immer einfach, sagt Kern. Ein Beispiel: Es könne teilweise Wochen länger dauern, wenn man "den falschen Sachbearbeiter" erwischt. In vielen Fällen geht es aber nicht nur um Wochen, sondern um Monate.

Die Agentur bereitet alle nötigen Anträge für Fachkräfte vor, beispielsweise auf Anerkennung der ausländischen Ausbildung. Die Behörden vergleichen dann detailgenau, wie sich der ausländische Berufsabschluss und die deutsche Ausbildung unterscheiden. Am Ende kommt dann der sogenannte Defizitbescheid. Statt eines "Wir freuen uns auf Sie" lautet der erste Satz in den Bescheiden laut Uta Rasche stets: "Ihre Ausbildung weist im Vergleich zu der Ausbildung im Deutschland folgende Defizite auf." Eine "Klatsche", wie Rasche findet. Alle von den Behörden aufgeführten Defizite müssen nachgeholt werden.

Hanau bekommt zwei neue Erzieherinnen

Am Flughafen nehmen Rasche und Kern von der Vermittlungsagentur die beiden Erzieherinnen aus Kolumbien herzlich in Empfang. Bereits am Tag darauf werden sie ihre Verträge unterschreiben, dann geht es gleich los mit der Arbeit in Hanau. Ob es schwierig sei, Deutsch zu lernen, wird Maria Catalina gefragt. "Ja", sagt die junge Frau und lacht. "Zu viel Struktur und zu viele Regeln."

Zu viele Regeln – mancher würde dieses Urteil auch über den Einwanderungsprozess für ausländische Fachkräfte insgesamt fällen. Ob das überarbeitete Fachkräfte-Einwanderungsgesetz daran für viele Berufen etwas ändert, ist mindestens fraglich.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!