Scheinfeld Notunterkunft
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Die Notunterkunft für Geflüchtete in Scheinfeld platzt aus allen Nähten

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Streit um Flüchtlingsunterkunft in 900-Einwohner-Dorf eskaliert

Die Notunterkunft im mittelfränkischen Scheinfeld platzt aus allen Nähten. Zu viele Menschen, zu wenig Privatsphäre. Zur Entlastung soll in Dietersheim eine Unterkunft entstehen. Doch dort gibt es erheblichen Widerstand, Politiker werden angefeindet.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

"Unsere Situation hier ist so schlecht. Das hier ist nichts für Menschen, das ist für Tiere", klagt Ahmad Alatassi über die Notunterkunft für Flüchtlinge im mittelfränkischen Scheinfeld. Der 36-Jährige ist vor einigen Monaten von Syrien nach Deutschland geflohen. In gebrochenem Englisch kommt er auf das BR24-Team vor Ort zu und es sprudelt nur so aus ihm heraus, als die Journalistinnen die Flüchtlingsnotunterkunft in Scheinfeld filmen.

Der Lehrer lebt dort seit einigen Wochen mit 280 anderen Männern. Viel zu viele Menschen seien das für die Fläche eines ehemaligen Discounters, so Alatassi. Die einzelnen Bereiche seien nur durch Bauzäune mit Planen getrennt. Daher gebe es keine Privatsphäre und schlechte Waschmöglichkeiten. Wenn einer krank werde, stecke er alle anderen an.

"Explosiver Kessel"

Mit Kopfzerbrechen blickt Helmut Weiß (CSU), Landrat des Landkreises Neustadt Aisch-Bad Windsheim, auf die Unterkunft in Scheinfeld. Täglich denke er an diesen "explosiven Kessel" und hofft, dass nichts passiert. Immerhin würden hier zu viele Männer aus verschiedenen Nationen auf einem Haufen sitzen. Deswegen bemüht sich der Landkreis seit Sommer um einen Standort für ein Containerdorf, der die Notunterkunft entlasten soll.

Standortfrage schwierig

Geplant wurde ursprünglich auf einem Grundstück in Neustadt an der Aisch. Doch der Widerstand bei einer Bürgerinformationsveranstaltung im Juni war groß. Letztendlich sprang der Grundstückeigentümer ab und die Standortfrage musste neu gestellt werden. Denn ein erneuter Anlauf, dezentrale Unterkünfte zu finden, scheiterte wegen fehlender Objekte. So kam Dietersheim ins Spiel – ein 900-Einwohner-Ort, zehn Fahrminuten von Neustadt entfernt.

Kritische Diskussion bei Bürgerinformationsveranstaltung

100 Geflüchtete für einen Ort mit 900 Einwohnerinnen und Einwohnern – auch dort war der Widerstand in der Gemeinde vorprogrammiert. Bei der Bürgerinformationsveranstaltung zum geplanten Containerdorf des Landkreises meldeten sich viele Bürgerinnen und Bürger zu Wort. Zwar bekundeten auch einige Solidarität, die Mehrheit äußerte sich allerdings kritisch. Der Ort sei zu klein für diese Menge Asylsuchender, man habe Angst vor der unbekannten Situation und manche verbreiteten Falschbehauptungen zu Flüchtlingen. So erklärte ein Beamter der Polizei Mittelfranken, dass es bei der Notunterkunft in Scheinfeld keine Übergriffe auf die Bevölkerung gab oder gar Sexualdelikte. Applaus gab es dennoch für einen Bürger, der das behauptete.

Dietersheims Bürgermeister Jürgen Meyer (parteilos) sitzt zwischen den Stühlen. Er muss die Ängste seiner Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen, auch wenn er meint, dass die Befürchtungen mit Blick auf die Notunterkunft in Scheinfeld eigentlich unbegründet sind. Die Integrationsfrage beschäftigt ihn jedoch sehr – immerhin könnten keine 100 jungen Männer einfach in die örtlichen Vereine eintreten.

Containerdorf wird kommen

Also versucht Bürgermeister Meyer für das Gemeindewohl gegen die Containerdorf-Pläne zu arbeiten, aber die Erfolgschancen sind nicht sehr hoch. Im Landratsamt wartet man auf das grüne Licht des Verwaltungsgerichts. Dann könnten im Dezember erste Geflüchtete einziehen. Das wäre für den Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim trotzdem noch nicht die Lösung der Probleme. Denn es kommen weitere Geflüchtete, die ebenfalls eine Unterbringung benötigen. Dafür werden vorläufig Sporthallen herhalten müssen, erklärt Landrat Helmut Weiß niedergeschlagen. Das werde erneut zu großen Diskussionen führen.

Anonyme Drohbriefe und Hetzereien

Sowohl der Landrat, als auch der Dietersheimer Bürgermeister Jürgen Meyer befinden sich in einer schwierigen Situation – und sind eigentlich sogar auf der gleichen Seite. Beide müssen das umsetzen, was der Bund in Sachen Flüchtlingsverteilung vorgibt. Und beide werden deswegen scharf angefeindet. Öffentlich sind es einfach Beleidigungen, in anonymen Briefen wird der Ton teilweise deutlich rauer. Wenn das im privaten Bereich passiere, ist für Landrat Weiß eine Linie überschritten: "Wenn meine Frau oder die Kinder die Post aus dem Briefkasten nehmen und solche Schreiben lesen".

Dinkelsbühl: Kehrtwende in Flüchtlingspolitik

Die Probleme im Landkreis Neustadt Aisch-Bad Windsheim sind nicht ganz einmalig in der Region – wenn es auch nicht überall so eskaliert. Im Nachbarlandkreis Ansbach hat sich die Stadt Dinkelsbühl nun für den Bau einer Unterkunft für Geflüchtete entschieden. Und das, obwohl Oberbürgermeister Christoph Hammer (CSU) noch vor einem Jahr andere Töne anstimmte. Man fühlte sich ohnmächtig ob der Flüchtlingswelle, wollte beziehungsweise konnte niemanden mehr aufnehmen und sah den Bund in der Verpflichtung, etwas zu unternehmen. Heute sagt das Stadtoberhaupt: Das Sankt-Florians-Prinzip geht hier nicht, es gehe um Menschen. Als zweitgrößte Stadt im Landkreis müsse man mit gutem Beispiel vorangehen, bevor Unruhen entstehen.

Die Unterkunft soll 100 Menschen ab kommendem Frühjahr beherbergen. Örtliche kirchliche Verbände, der Stadtrat und der Helferkreis für Geflüchtete wurden bei diesen Plänen rechtzeitig mit ins Boot geholt, sodass der große Widerstand ausblieb.

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