Eine Recruiterin und eine Bewerberin geben sich die Hand (Symbolbild)
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Eine Recruiterin und eine Bewerberin geben sich die Hand (Symbolbild)

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Kampf gegen Fachkräftemangel: So werben Recruiter im Ausland

Fachkräfte im IT-Sektor, in der Pflege und im Handwerk sind knapp in Deutschland. Recruiter werben Mitarbeitende aus dem Ausland an und vermitteln sie an deutsche Firmen. Für das Geschäft bekommen sie teils viel Geld. Ergänzt durch "Dein Argument".

Über dieses Thema berichtet: Lohnt sich das? am .

Sein Job: Ausländische Fachkräfte rekrutieren. Eike Klinger wirbt Menschen aus Osteuropa für den deutschen Arbeitsmarkt an. Der 29-Jährige arbeitet als Abteilungsleiter bei dem Personaldienstleister Humanus in Nördlingen – und verdient monatlich rund 10.600 Euro brutto. Ein hohes Gehalt für einen Service, der für viele deutsche Betriebe immer wichtiger wird.

Warum werden Fachkräfte im Ausland angeworben?

In Deutschland könnten bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen, weil die Babyboomer-Generation in Rente geht. Davon geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus. Wenn Frauen und ältere Menschen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert werden, könnte das dem Fachkräftemangel bis zu einem gewissen Grad entgegenwirken. Auch die Senkung der Arbeitslosenzahl wäre eine Maßnahme, doch von den qualifizierten Erwerbslosen haben laut Bundesagentur für Arbeit viele keinen Engpass-Beruf. Ein Mismatch.

Daher bleibt die Zuwanderung ein wichtiger Bestandteil der Lösung, auf den besonders die Bundesregierung setzt. Um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt langfristig zu schließen, müssten laut Experten jedes Jahr rund 400.000 Menschen nach Deutschland kommen und bleiben. Hier kommen die Recruiter ins Spiel.

Was machen Recruiter?

Recruiter Eike Klinger vermittelt ausländische Fachkräfte an Industrie- und Handwerksbetriebe. Als Fachkraft zählen Personen, die eine akademische Ausbildung oder eine mindestens zweijährige Berufsausbildung absolviert haben. Gerade sucht der Recruiter viele qualifizierte Schlosser, Schweißer und Trockenbauer, weil das Berufe seien, die laut Klinger in Deutschland nur selten erlernt werden. Gemeinsam mit seinen Kollegen will er im Jahr etwa 750 Fachkräfte rekrutieren, die dauerhaft in Deutschland bleiben. Menschen aus strukturschwachen Herkunftsländern wie Rumänien, Polen oder Tschechien.

Wo fehlen die meisten Fachkräfte?

Die Bundesagentur für Arbeit hat ermittelt, dass 200 von insgesamt 1.200 untersuchten Berufen sogenannte Engpass-Berufe sind. Das heißt, in jedem sechsten Beruf werden künftig Fachkräfte knapp. Ein Höchststand. Besonders viele Menschen fehlen in Pflegeberufen und auf dem Bau. Auch Fleischer, medizinische Fachangestellte und Kraftfahrer werden auf dem Arbeitsmarkt stärker nachgefragt als angeboten.

Wie läuft die Rekrutierung ab?

Die Firma, in der Eike Klinger arbeitet, hat zum Beispiel in Osteuropa ein Netz gespannt, um qualifiziertes Personal anzuwerben. Wenn beispielsweise ein Industrieunternehmen einen Elektriker mit Deutschkenntnissen und Vorerfahrung sucht, leitet sie die Anfrage an seine 85 Partner in Krakau, Danzig oder Timişoara weiter. Sie suchen vor Ort passende Kandidatinnen und Kandidaten und nehmen deren Daten auf. Die Recruiter in Deutschland prüfen anschließend die sprachlichen und fachlichen Fähigkeiten der Bewerber und vermitteln sie an deutsche Firmen. Dann folgt das Prinzip der Arbeitnehmer-Überlassung. Was heißt das?

Geschäftsmodell und Arbeitsbedingungen

Humanus arbeitet nach dem Geschäftsmodell der Arbeitnehmer-Überlassung, auch genannt Zeitarbeit oder Leiharbeit. Das bedeutet, dass der Personalservice den Mitarbeiter einstellt und dem Kunden, also beispielsweise Industrie- oder Handwerksbetrieben, für eine Zeit überlässt – gegen Bezahlung. Als "Entleiher" schließt Humanus einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit den Fachkräften aus der EU und organisiert eine Wohnung für sie.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt. Hintergrund sind Kommentare unter anderem von User "Fensterreiniger", zu der Frage, welche Rolle die Wohnungsknappheit bei der Suche nach ausländischen Arbeitskräften hat.

Tatsächlich gestalte sich die Wohnungssuche derzeit aber gerade in Ballungszentren schwer, heißt es auf Nachfrage von BR24 bei Hunanus in Nördlingen. Zwar beschäftige das Unternehmen eine eigene Abteilung mit vier Mitarbeiterinnen, die tagein, tagaus nur damit beschäftigt seien, Wohnraum für potenzielle Zeitarbeiter zu finden. "In Städten wie Berlin oder München nehmen wir aber schon gar keine Kunden mehr an, weil es unmöglich ist, dort Wohnungen zu finden", so ein Mitarbeiter von Humanus. 💬

Der Personalservice kümmert sich nach eigenen Angaben auch um Sprachkurse für Zuwanderer und stellt eine faire Bezahlung sicher. Teilweise würden die ausländischen Fachkräfte 2.500 bis 3.000 Euro netto verdienen, sagt Recruiter Eike Klinger, viel mehr als in der Heimat. Nach 18 Monaten sollen die Fachkräfte bestenfalls im Wunschbetrieb übernommen werden. Dann wäre das Anstellungsverhältnis bei dem Personalservice vorbei.

Warum werden die Leiharbeiter nicht direkt angestellt?

Ein anderes Geschäftsmodell wäre die Personalvermittlung, bei der die Fachkraft nach der Rekrutierung direkt beim Kunden eingestellt wird. Das wollen aber viele Arbeitgeber gar nicht. Und tatsächlich auch viele ausländische Leiharbeiter. Denn die Arbeitnehmer-Überlassung hat Vorteile für beide Seiten. Die Betriebe können zum einen bei schlechter Auftragslage die ausgeliehenen Fachkräfte direkt wieder an die Leiharbeitsfirma zurückgeben und minimieren so ihr Risiko. Wenn die Auftragslage wieder besser ist, können sie die Fachkräfte schnell zurückholen.

Die Zeitarbeiter haben den Vorteil, dass sie durch steuerliche Vorteile mehr Geld verdienen. Nach den 18 Monaten gehen viele wieder zurück in ihr Heimatland und warten drei Monate ab. Dann können sie erneut 18 Monate bei einer Zeitarbeitsfirma arbeiten. Wenn sie sich hingegen nach 18 Monaten anstellen lassen, verdienen sie teilweise deutlich schlechter.

Kritik an der Leiharbeit

Unter den Leiharbeitsfirmen gebe es auch immer wieder "schwarze Schafe", weiß auch Eike Klinger. Gegner von Leiharbeit kritisieren, dass das Risiko höher ist, bei einer Leiharbeitsfirma arbeitslos zu werden – trotz unbefristeter Anstellung. Auch Tarifverträge verhindern nicht immer, dass Leiharbeiter weniger als die Stammbelegschaft verdienen. Die festen Mitarbeiter wiederum fürchten, durch Leiharbeiter ausgetauscht zu werden, was für beide Seiten das Arbeitsklima vergiften kann.

Seriöse Zeitarbeitsfirmen erkennt man unter anderem an der Lizenz, die sie von der Bundesagentur für Arbeit haben, die ihnen die Erlaubnis zur Arbeitnehmer-Überlassung erteilt oder auch an ihrer Organisation in Verbänden, wie zum Beispiel dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ). Bezahlung nach Tarif, eine gute persönliche Betreuung und eine große Auswahl an Kunden sind ebenfalls Qualitätsmerkmale.

Welche Hürden gibt es für Zuwanderer?

Fachkräfte aus der ‎Europäischen Union, aus Island, Liechtenstein, Norwegen oder der ‎Schweiz haben in der Regel ungehinderten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Sie sind inländischen Arbeitnehmern gleichgestellt und müssen wegen der Arbeitnehmerfreizügigkeit keine Arbeitsgenehmigung beantragen. Nachziehende Familienmitglieder mit den oben genannten Staatsangehörigkeiten können ohne Einschränkungen in Deutschland leben und arbeiten.

Fachkräfte aus anderen Staaten, den sogenannten Drittstaaten, brauchen ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis. Der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ist ab November 2023 im neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz geregelt.

Neben den rechtlichen Bestimmungen treten bei der Arbeitnehmer-Überlassung aber oftmals auch zwischenmenschliche Hürden auf. Ausländische Arbeitskräfte erfahren immer wieder Diskriminierung am Arbeitsplatz. Kompliziert wird es für die Recruiter auch dann, wenn Fachkräfte oder Firmen kurzfristig absagen. "Trouble Shooting", also Probleme lösen, müsse er jeden Tag, sagt Eike Klinger.

Wie können Firmen Fachkräfte rekrutieren – auch ohne Personalservice?

Mit einem privaten Personalservice wie Humanus haben Unternehmen zwar weniger Aufwand bei der Suche nach Fachkräften, doch sie müssen für die Dienstleistung bezahlen. Wer das nicht leisten kann oder will, kann sich beim Rekrutierungsprozess auch von öffentlichen Stellen helfen lassen.

Das EURES-Portal zur beruflichen Mobilität beispielsweise unterstützt Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei der Suche nach Fachkräften im europäischen Ausland. Sie können dort Stellenangebote einstellen oder Bewerberprofile suchen. Auch die Deutsche Auslandshandelskammer kann Kontakte vermitteln. Sie vertritt Firmen in anderen Ländern und fördert Unternehmensbeziehungen.

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