Dieter Seegmüller liegt in einem Behandlungsraum. Eine Dialysemaschine reinigt sein Blut.
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Ein Patient bei der Dialysebehandlung

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Dialyse-Zentren bundesweit unter wirtschaftlichem Druck

Nierenversagen kann jeden treffen. Blutwäsche ist dann lebenswichtig und dreimal pro Woche nötig. Doch die Dialyse-Zentren, die diese Blutwäschen anbieten, geraten bundesweit unter wirtschaftlichen Druck. Erfahrungen aus Unterfranken.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Dieter Seegmüller liegt in einem Bett in einem Nierenzentrum in Schweinfurt. Aus seinem linken Arm fließt das Blut über einen Schlauch in eine Dialyse-Maschine. Ein Filter übernimmt die Arbeit der Niere und reinigt sein Blut von Giftstoffen. Anschließend wird es wieder in seinen Arm zurückgeführt. Die Dialyse dauert bei ihm rund vier Stunden. Sie ist lebensnotwendig für den 83-Jährigen, da seine Nieren das Blut nicht mehr ausreichend reinigen. Dreimal in der Woche muss er zur Blutwäsche, genau wie andere Patientinnen und Patienten.

Wohnortnahe Behandlung für Rentner nicht mehr möglich

Dieter Seegmüller muss dafür nach Schweinfurt fahren, weil sein wohnortnahes Nierenzentrum in Haßfurt keine Dialyse-Behandlungen mehr anbietet. Bei beiden Einrichtungen handelt es sich um KfH-Nierenzentren – KfH bedeutet "Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V.".

"Als ich erfahren habe, dass es in meinem Nierenzentrum in Haßfurt keine Dialyse-Behandlungen mehr gibt, war das ein großer Schock", sagt Dieter Seegmüller. Er braucht nun etwa 50 Minuten mehr Fahrzeit für den Hin- und Rückweg. Da jede Dialyse-Behandlung rund vier Stunden dauert, ist das eine große Belastung für den 83-Jährigen.

Dialyse-Zentren unter Druck: Kostenpauschale zu niedrig

Es gibt einen gravierenden Grund dafür, dass Dieter Seegmüller nicht mehr wohnortnah zur Blutwäsche kann: Immer mehr Dialyse-Zentren wie das in Haßfurt geraten unter wirtschaftlichen Druck und müssen schließen. Das beobachtet Susanne Schwedler mit großer Sorge. Sie ist Ärztin an einem anderen Nierenzentrum, dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Dialyse-Zentrum und internistische Praxis Schweinfurt. Zugleich vertritt sie die ambulante Nierenheilkunde für die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie in Bayern.

Das Problem: Die Dialyse-Kostenpauschale ist in den vergangenen 20 Jahren nicht angehoben worden. Die Krankenkasse des jeweiligen Patienten oder der jeweiligen Patientin zahlt diese Pauschale für drei Behandlungen pro Woche. Sie liegt gestaffelt bei maximal 495,52 Euro. Sie müsste aber auf circa 600 Euro angehoben werden, damit Einrichtungen zukunftssicher weiterarbeiten können. Nur so könnten die Menschen optimal versorgt werden, erklärt die Ärztin Susanne Schwedler.

Pauschale durch Staffelung zusätzlich verringert

Doch oft ist die Pauschale durch eine Staffelung sogar noch niedriger. Je mehr Patientinnen und Patienten eine Dialyse-Einrichtung versorgt, desto geringer ist die jeweilige Kostenpauschale. Pro 50 Menschen mehr sinkt sie weiter ab. Das bedeutet im ungünstigsten Fall, dass sie nur noch 405,96 Euro beträgt.

Wenn immer mehr Dialyse-Zentren schließen müssen, kommt es zu einer sich selbst verstärkenden Entwicklung. Die betroffenen Patientinnen und Patienten kommen in anderen Einrichtungen unter. Dort steigt also die Zahl der Menschen und die Pauschale sinkt auch dort durch die Staffelung. Die Behandlungskosten fallen aber nicht geringer aus, wenn mehr Patientinnen und Patienten ihre Blutwäsche erhalten. Sie bleiben gleich.

Behandlungskosten enorm gestiegen

"Zudem sind die Kosten für Energie, Material und vor allem für Personal enorm gestiegen", ergänzt Ärztin Susanne Schwedler. Außerdem sollten von den Kosten auch Investitionen abgedeckt werden. Etwa alle zehn Jahre müssen beispielsweise die teurer werdenden Dialyse-Maschinen ausgewechselt werden.

Weitere Schließungen drohen

Auch Lothar Schramm vom Dialyse-Zentrum in Würzburg sieht das Problem. Anfang des Jahres gab es eine Erhöhung der Pauschale von zwei Prozent. "Doch das reicht bei Weitem nicht aus", sagt der Nephrologe. Einrichtungen könnten nicht mehr vernünftig wirtschaften. Laut Lothar Schramm wird es voraussichtlich weitere Schließungen geben.

Unterversorgung im ländlichen Raum denkbar

Dies führt bei Betroffenen zu erheblichen Problemen: Die Patientinnen und Patienten sind häufig über 75 Jahre alt. Sie haben zahlreiche, zum Teil schwere Begleiterkrankungen und sind auf Hilfe angewiesen. Das heißt, sie brauchen einen Krankentransport bei jeder Dialyse-Behandlung. "Und gerade diese Transporte werden zunehmend knapp", erklärt Lothar Schramm. Es könne zu einer Unterversorgung kommen, vor allem im ländlichen Raum.

Schließung von Standorten vor allem regional mit Auswirkungen

Laut Dagmar Altena, der Geschäftsführerin des Verbands Deutsche Nierenzentren (DN) e.V., gibt es derzeit in Deutschland etwa 950 Dialyse-Standorte. Seit 2017 wurden 42 Standorte geschlossen. Davon sind neun in Bayern. Bezogen auf die Gesamtzahl der Dialyse-Standorte scheint die Zahl der Schließungen nicht gravierend zu sein, so Altena. Betrachtet man jedoch einzelne Regionen, kann eine Standort-Schließung erhebliche Auswirkungen haben.

Zu diesen zählen die bereits erwähnten deutlich längeren Fahrtzeiten zu anderen Dialyse-Einrichtungen. Zudem sei für die oft vielfach chronisch kranken (multimorbiden) Dialyse-Patientinnen und Patienten das zum Teil langjährige vertrauensvolle Verhältnis zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin von besonderer Bedeutung. In Deutschland gebe es rund 90.000 Dialyse-Patientinnen und Patienten, ergänzt Altena.

Brandbrief an Bundesverbände der Krankenkassen

Nicht nur in unterfränkischen Dialyse-Zentren sehen die Verantwortlichen die wirtschaftliche Lage und Versorgung der Patientinnen und Patienten angespannt, sondern auch bayern- und bundesweit. Dies bestätigt der Verband Deutscher Nierenzentren mit Sitz in Düsseldorf. Dessen Vorstandsvorsitzender Michael Daschner spricht von einer "verzweifelten Lage". Deshalb hat er einen Brandbrief an die Bundesverbände der Krankenkassen geschrieben. Darin fordert er eine Erhöhung der Pauschalen und deren regelmäßige Anpassung an die allgemeine Kostenentwicklung.

Weiteres Problem: Fachkräftemangel

Darüber hinaus warnt er vor Fachkräftemangel. Dieser wirke sich bei Einrichtungen, die Dialyse-Behandlungen anbieten, besonders gravierend aus. Denn durch die zu geringe Dialyse-Kostenpauschale könne man bei den steigenden Gehältern nicht mehr mithalten. Personal wechsle zu Krankenhäusern, von denen es zum Teil mit hohen Prämien abgeworben werde, so Daschner.

Verhandlungen zu Erhöhung der Pauschale laufen

Zuständig für eine Erhöhung der Pauschalen sei der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, so Christian Pfeiffer, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, zu BR24. Immer wieder habe er den Verantwortlichen die Probleme geschildert.

Verhandlungen über Dialyse-Vergütungen laufen derzeit noch. Sie finden auf Bundesebene statt. Geführt werden sie von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Christian Pfeiffer sagt: "Durch die angespannte finanzielle Situation der Krankenkassen ist es nicht einfach, eine Erhöhung durchzubekommen." Eine Abschaffung der Staffelung und eine Erhöhung der Pauschale zeichne sich derzeit nicht ab.

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