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"Black Steel": Das Geldwäsche-Kartell und die Mafia-Spur

Über mehr als drei Jahre hinweg hoben dubiose Unternehmer bei Banken im Raum München fast 70 Millionen Euro in bar ab. Dahinter steckt mutmaßlich ein millionenschweres Geldwäsche-Netzwerk - mit München als Haupttatort in Deutschland.

Über dieses Thema berichtet: report MÜNCHEN am .

Es sind unglaubliche Summen: Allein an einem Tag sollen bei einer Bank im Raum München rund 900.000 Euro abgehoben worden sein. Im Zentrum dieses Falls steht Maurizio Rullo. Über einen Zeitraum von rund dreieinhalb Jahren ließen sich der italienische Geschäftsmann und seine Komplizen rund 70 Millionen Euro von zwei Banken in München auszahlen.

Drei Staatsanwaltschaften, 14 Verhaftungen

Ermittler der Staatsanwaltschaft Mailand gehen davon aus, dass das Geld zum Großteil aus illegalen Aktivitäten stammte. Mitte Februar ließen sie Rullo und 13 mutmaßliche Komplizen im Rahmen des Verfahrens "Black Steel" in Italien und in Deutschland verhaften. An den Ermittlungen waren auch die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria und die Staatsanwaltschaft München I beteiligt, gemeinsam mit den italienischen Carabinieri und dem Bundeskriminalamt (BKA).

Der Hauptvorwurf: Rullo soll offenbar der Chef einer kriminellen Gruppierung gewesen sein, die mit Eisenschrott handelte. Die Einnahmen soll er über ein komplexes Firmenkonstrukt in Deutschland und Ungarn gewaschen haben. Inzwischen kooperiert Rullo mit der Justiz und hat die Vorwürfe teilweise bestätigt. Ein Team von report München, MDR, des ARD-Studios Rom und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) hat Rullos Fall rekonstruiert. Er zeigt exemplarisch, wie sich Kriminelle die fehlende Bargeldobergrenze in Deutschland zu Nutze machen.

Rullo (55) stammt aus der kalabrischen Kleinstadt Locri und ist ein umtriebiger Geschäftsmann. Über die Jahre baute er seine Karriere in zwei Bereichen auf: Immobilien und Handel mit Schrott. Bei Zweiterem spielten sich offenbar seine mutmaßlich kriminellen Aktivitäten ab. Und so soll das System von Rullo funktioniert haben: Der Geschäftsmann hat offenbar über Jahre viele Tonnen an Eisenschrott schwarz gekauft, unter anderem von Schrottplätzen. Über eine Firma in Mailand verkaufte er den Schrott weiter an Gießereien. Mittels gefälschter Papiere gab er offenbar vor, dass es sich um angeblich ordentlich recyceltes Altmetall handelte. So soll Rullo Eisenschrott billig gekauft und diesen dann teuer als verwertetes Material weiterverkauft haben.

Scheinfirma in München

Weil Rullo den Schrott offiziell durch seine Firma weiterverkaufte, musste er dessen illegale Herkunft verschleiern. Dafür soll er angeblich ein komplexes Firmenkonstrukt in Deutschland, Ungarn, Kroatien und Bulgarien aufgebaut haben. Ein Schlüsselunternehmen hatte seinen Sitz in München, direkt im Zentrum der Stadt. Ermittler stufen sie als reine Scheinfirma ein. Rullos Anwalt erklärte auf Anfrage, dass sein Mandant das Firmennetzwerk nicht allein aufgebaut habe.

Um den Eisenschrott auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, brauchte Rullo große Mengen an Bargeld. Doch in seinem Heimatland Italien gilt eine Bargeldobergrenze, von 5.000 Euro. So kann man zwar so viel Bargeld abheben, wie man möchte. Da man aber nirgendwo mehr als 5.000 Euro in bar legal bezahlen darf, wirken große Abhebungen schnell verdächtig. Hebt jemand mehr als 10.000 Euro bar ab, ist eine Bank dazu verpflichtet, eine Verdachtsmeldung an die Kontrollbehörden abzugeben.

Um an das viele Bargeld zu kommen, nutzte Rullo daher wieder seine Münchner Firma. Und das lief so: Die Firma stellte Scheinrechnungen für den nie stattgefundenen Verkauf des Schrotts aus. Zwischen 2017 und 2021 soll Rullos Mailänder Firma über 80 Millionen Euro auf drei Konten seiner Münchner Firma überwiesen haben. Rullo und seine mutmaßlichen Komplizen sollen von zwei dieser Konten bei verschiedenen Banken in München zwischen 2016 und 2019 rund 70 Millionen Euro Bargeld abgehoben haben.

Spur des Geldes verliert sich in Sterzing

Einer der Beschuldigten erzählte nach Aussagen eines am Verfahren beteiligten Ermittlers, dass die mutmaßliche Gruppierung Deutschland aufgrund der fehlenden Bargeldobergrenze ausgesucht habe. Tatsächlich ließen die Banken nach Informationen von report München, MDR, des ARD-Studios Rom und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) die Bargeldabhebungen eine ganze Weile laufen, ehe sie eine Geldwäscheverdachtsanzeige abgaben.

Was mit dem Bargeld dann geschah, ist unklar. Ermittler konnten offenbar beobachten, wie es etliche Male nach Sterzing in Südtirol gebracht wurde. Dort verliert sich die Spur des Geldes. Rullo soll laut seinem Anwalt Ermittlern gegenüber gesagt haben, dass das Bargeld dem weiteren Kauf von Eisenschrott vom Schwarzmarkt diente.

Ermittlungen zu Mafia-Verbindungen

Die Ermittlungen gegen Rullo in Italien wurden von der Abteilung für Umweltkriminalität der Carabinieri unter dem Decknamen "Black Steel" geführt. Als diese auf Rullos Firma in München aufmerksam wurden, wandten sie sich an die dortige Staatsanwaltschaft - und erfuhren, dass diese mit dem BKA bereits ein eigenes Verfahren gegen Rullo führte.

Hier waren die Ermittlungen im Rahmen der Datenauswertung aus dem Steuerleak der "Paradise Papers" in Gang gekommen. Ermittler waren auf zwei verdächtige Firmen auf Malta gestoßen. Einer der Eigentümer hatte auch Firmen in München und stand in Italien unter Verdacht, Verbindungen zur kalabrischen Mafia ’Ndrangheta zu haben. Als Ermittler die Konten eines der bayerischen Unternehmen auswerteten, entdeckten sie eine Spur zu Rullo. So landete auch er im Visier der deutschen Ermittler.

Aktuell gehen italienische Ermittler dem Verdacht nach, dass über den Eigentümer der Firmen auf Malta auch Mafia-Gelder an Rullo gegangen sein könnten. Rullos Anwalt sagte auf Anfrage, sein Mandant habe explizit gesagt, dass das gesamte Geld, das auf die Konten floss, rückverfolgbar sei. Er schließe aus, dass jemand über ihn Gelder unklarer Herkunft gewaschen haben könnte. Dies ist allerdings nicht die einzige Spur im Verfahren "Black Steel", die zur kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta führt.

Um an sein Bargeld zu kommen, soll Rullo auch in Ungarn ein weiteres Firmengeflecht aufgebaut haben. Die Firmen sind bei der Kanzlei einer Anwältin registriert, gegen die die kalabrische Staatsanwaltschaft Catanzaro Anfang Januar einen Haftbefehl im Rahmen eines Anti-Mafia-Verfahrens erlassen hat.

Bundesregierung bei Bargeldobergrenze uneinig

Der Fall Rullo könnte neuen Schwung in die Debatte über die Bargeldobergrenze in Deutschland bringen. Im Herbst hatte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Grenze von 10.000 Euro bei Bargeldtransaktionen ausgesprochen. Der Koalitionspartner FDP wehrt sich dagegen. Florian Toncar, Staatssekretär beim Finanzministerium, sagte, dass er keinen Grund für eine Obergrenze bei Bargeldbesitz sehe. Nach seiner Ansicht würde das heutige System ausreichen, das Banken in der Pflicht sieht, verdächtige Transaktionen zu melden.

Kritik kommt dagegen von Experten wie Florian Köbler, dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG). Er glaubt, dass Deutschland im europäischen Vergleich als Geldwäscheparadies gilt und fordert eine Obergrenze für Bargeldzahlungen von 1.000 Euro, denn: "Man sieht es jetzt auch in dem Fall, dass Deutschland immer wieder zumindest Banken-technisch und Bargeld-mäßig der Hauptspielplatz von organisierter Kriminalität ist."

Eine Recherche von Nadja Armbrust, Margherita Bettoni, Maximilian Burkhart, Claudia Groh, Axel Hemmerling, Ludwig Kendzia, Rüdiger Kronthaler und Benedikt Nabben

Mehr zum Thema "Das Geldwäsche-Kartell und die Mafia-Spur" in der Sendung report München am 16.05.2023 um 21:45 Uhr im Ersten oder in der ARD Mediathek.

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