Das tschechische AKW Temelín
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Bayern und Tschechien: Ziemlich beste Atom-Freunde?

Lange war der Ausbau der Atomkraft ein Streitpunkt zwischen München und Prag. Beim Treffen mit Premier Fiala schlägt Ministerpräsident Söder andere Töne an: Man werde noch froh sein über Tschechiens Atomstrom. Bei der Kernfusion wird kooperiert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

So viel Einigkeit war lange nicht zwischen Bayern und Tschechien beim Thema Atomkraft. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und dem Prager Premier Petr Fiala kommt von beiden Politikern ein klares Bekenntnis zur Kernenergie, wenngleich natürlich unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen: Söder kritisiert, dass Deutschland seine letzten Atomkraftwerke abgeschaltet hat. Fiala bekräftigt den geplanten Bau neuer großer und kleiner Reaktoren.

Von früheren Meinungsverschiedenheiten zwischen Prag und München in Sachen Atomkraft ist nach der bayerischen Kabinettssitzung in Regensburg zusammen mit Fiala nichts zu merken. Wenn Söder mit Blick auf die enormen Fortschritte in den bayerisch-tschechischen Beziehungen von "ziemlich besten Freunden" spricht, scheint an diesem Tag auch die Atomkraft diese Freundschaft nicht zu trüben.

Viele Störfälle in Temelín und Dukovany

Tschechien hat zwei Atomkraftwerke, die über die Jahre immer wieder durch Störfälle von sich reden machten: im südböhmischen Temelín und im südmährischen Dukovany. Vor allem die mittlerweile ad acta gelegten Ausbaupläne für Temelín, nur rund 60 Kilometer von der bayerischen Grenze entfernt, zählten lange zu den Konfliktpunkten zwischen den Nachbarländern.

Als sich der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ab 2010 um einen Neuanfang in den angespannten bayerisch-tschechischen Beziehungen bemühte, gehörte es zu den schwierigeren Aufgaben, die Sorgen des Freistaats in puncto Temelín vorzutragen. Sein Umweltminister damals hieß Markus Söder.

Von den früher unterschiedlichen Sichtweisen zeugen Sätze, die bis heute auf der Internetseite des bayerischen Umweltministeriums zu finden sind: "Für die Bayerische Staatsregierung steht der Schutz der bayerischen Bevölkerung im Mittelpunkt." Die Staatsregierung habe den zügigen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie maßgeblich mitgestaltet und lehne den Neubau von Reaktoren am Standort Temelín ab. Ziel sei vielmehr, "die tschechische Regierung von der Energiewende und dem bayerischen Weg hin zu erneuerbaren Energien zu überzeugen". Auch die Ausbaupläne in Dukovany begleitete Bayern kritisch.

Söder: Deutschland wird froh über Tschechiens Atomstrom sein

In Regensburg will ein tschechischer Reporter nun von den beiden Politikern wissen, ob es denn möglicherweise eine Allianz zwischen Bayern und Tschechien bei der Atomkraft geben könne - jetzt, da der Freistaat Kernkraftwerke in Eigenregie betreiben wolle. "Es ist ein schwerer Fehler, den Deutschland macht, jetzt die Kernenergie abzuschalten", entgegnet Söder. "Wir bleiben dabei: Es ist noch nicht zu spät, die Umkehr ist möglich." Auf die einst kritisierten tschechischen Ausbau-Pläne geht Söder nicht direkt ein, sagt aber: "Am Ende wird Deutschland froh darüber sein, dass Tschechien auch weiter Atomstrom produziert und den quasi auch Deutschland und Bayern zur Verfügung stellt."

Für Tschechien ist die Atomkraft laut Fiala "eine Notwendigkeit". Sie leiste zum einen einen Beitrag zur Abkehr von fossilen Brennstoffen, zum anderen gewähre sie angesichts des Kriegs in der Ukraine Energiesicherheit. Sein Land werde daher die Kernenergie weiter ausbauen, stellte der tschechische Premier klar. Neben dem Bau von großen Reaktoren in Dukovany - etwa 200 Kilometer von der bayerischen Grenze - arbeite die Tschechische Republik auch an der Möglichkeit, modulare kleine Reaktoren in Betrieb zu nehmen. Als ein Standort dafür ist Temelín im Gespräch.

Grüne: Kein Versuchslabor für unausgereifte Reaktortechnik

Der europapolitische Sprecher der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion, Florian Siekmann, sieht die tschechischen Atom-Pläne kritisch. "Die Grenzregion darf nicht zum Versuchslabor für unausgereifte Reaktortechnik werden", sagt er BR24.

Mit Blick auf den bayerischen Ministerpräsidenten fügt er hinzu: "Söder täte gut daran, ein Abkommen zum Ausbau der erneuerbaren Energien abzuschließen, statt nuklearen Träumereien nachzuhängen." Im vergangenen Jahr hatten die Pläne, im Grenzgebiet Mini-Reaktoren aufzustellen, auch bei Kommunalpolitikern in Ostbayern Sorgen ausgelöst.

Zusammenarbeit bei Forschung zu Kernfusion

Ein zentrales Thema bei der bayerischen Kabinettssitzung in Anwesenheit des tschechischen Premiers in Regensburg war eine mögliche Zusammenarbeit bei der Erforschung der neuen Kernfusion. Diese verspreche völlig neue Möglichkeiten, erläutert Söder, nicht innerhalb der zwei oder drei nächsten Jahre, aber vielleicht Ende des Jahrzehnts. In den USA seien erste Durchbrüche erzielt worden. "Wir dürfen als Europäer es nicht wieder verschlafen." Bayern plane daher eine Kernfusions-Forschungsstrategie samt einem Kernfusionsreaktor und habe Tschechien angeboten, sich zu beteiligen. "Denn die neue Kernfusion ist eine Riesenchance."

Fiala begrüßt das Angebot. Für Tschechien sei die Sicherung der Energieversorgung sehr wichtig, denn das Land verfüge über kein Meer und habe nicht die richtigen Bedingungen, um komplett auf erneuerbare Energien umzusteigen. Im vergangenen Jahr hatten die tschechischen Atomkraftwerke eine Rekordmenge an Strom produziert: Sie speisten 31 Terawattstunden ins Netz ein - 300.000 Megawattstunden mehr als 2021, wie die Betreibergesellschaft CEZ Anfang des Jahres mitteilte.

Söder: "Historischer Tag" - Beziehungen werden vertieft

Im Mittelpunkt des Treffens des bayerischen Ministerrats mit Fiala stand der Ausbau der Beziehungen beider Länder. Söder spricht von einem "historischen Tag": "Es ist das erste Mal, dass ein Regierungschef aus Tschechien, der Premierminister, im bayerischen Kabinett ist und war." Dies sei angesichts der bayerisch-tschechischen Geschichte früher unvorstellbar gewesen. "Es ist ein Zeichen der Verbundenheit, der Nachbarschaft." Auch Fiala lobt die "ausgezeichneten" Beziehungen.

Beide Regierungschefs unterzeichnen eine Absichtserklärung zu gemeinsamen Aktivitäten in der Luft- und Raumfahrt. Laut Söder sollen zudem die Schul- und die Hochschulpartnerschaften ausgebaut werden, das wechselseitige Erlernen der Sprache werde gefördert. Auch die Energiepartnerschaft solle intensiviert werden.

Keine Grenzkontrollen zwischen Bayern und Tschechien

Einig sind sich Söder und Fiala, dass es an der bayerisch-tschechischen Grenze keine Grenzkontrollen zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen geben soll. Darunter würden laut Fiala die Bürger leiden. Stattdessen müsse die EU Maßnahmen ergreifen, um die Mitgliedsländer vor einer starken illegalen Migration zu schützen. Söder verweist darauf, dass Bayern dank seiner eigenen Grenzpolizei im grenznahen Raum Schleierfahndung betreibe - mit sehr vielen Fahndungstreffern.

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