Frisches Gemüse, aber auch Nudeln und Saft kommen bei der Aischgründer Tafel in die Seniorentüte.
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Frisches Gemüse, aber auch Nudeln und Saft kommen bei der Aischgründer Tafel in die Seniorentüte.

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Armuts-Scham: "Seniorentüte" spendet Lebensmittel - ganz diskret

Viele Rentnerinnen und Rentner müssen jeden Cent umdrehen. Doch sich bei der Tafel Lebensmittelspenden zu holen, kommt für viele aus Scham nicht infrage. In Neustadt an der Aisch soll nun eine "Seniorentüte" für mehr Anonymität sorgen.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Ein Brokkoli, Nudeln, eingelegte Gurken und ein Orangensaft: Das sind nur einige Lebensmittel, die der Vorsitzende der Aischgründer Tafel, Thomas Nicol, in die Seniorentüte packt. Seit einiger Zeit haben er und die anderen Mitarbeiter der Tafel in Neustadt an der Aisch immer wieder gemerkt, wie viel Überwindung es Seniorinnen und Senioren kostet, Hilfe anzunehmen. "Wir haben mit vielen gesprochen, die uns bestätigt haben, dass das für sie ein ganz schwieriger Schritt ist, sich quasi zu outen und zu uns zu kommen", berichtet der Tafel-Leiter.

Tüte wird sogar mit neutralen Autos geliefert

So kam die Idee zur Seniorentüte: Ältere Bedürftige können die Stofftüten, vollgepackt mit Essen und Getränken, zu den normalen Geschäftszeiten des Vereins dort abholen. So müssen sie nicht zum normalen Ausgabefenster am Samstag erscheinen und in der Schlange stehen. Denn oft würden sie befürchten, dort von Bekannten erkannt zu werden. Für gehbehinderte oder nicht mobile Seniorinnen und Senioren bietet die Tafel sogar einen Bringdienst: Ihnen würde man die Seniorentüte einfach vorbeifahren. "Das machen wir dann natürlich auch mit einem neutralen Fahrzeug", so Nicol.

Rentnerin: "Ich schäme mich nicht"

Die Idee findet auch eine Neustädter Rentnerin gut, die seit vielen Jahren regelmäßig die Tafel in Anspruch nimmt. "Ich schäme mich nicht, wieso soll ich auch", sagt sie. Für sie ist es sogar "ausgemachter Blödsinn", sich für den Besuch zu schämen, wie die Frau sagt. Sie sei froh, dass es die Tafel gibt. Ihre Rente reiche kaum aus, um regelmäßig im Supermarkt einzukaufen.

Oft seien es Rentnerinnen und Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet und gespart hätten und denen nun trotzdem Geld fehle. So erzählt es Thomas Nicol von der Aischgründer Tafel. Doch gerade im ländlichen Raum, wo jeder jeden kennt, sei es schwierig, über Geldprobleme offen zu sprechen. Die Stadt biete möglicherweise mehr Anonymität.

Tafel-Kunden sollten als "Lebensmittelretter" gesehen werden

"Im ländlichen Bereich ist es so, dass, wenn man mit seinen Freundinnen am Dienstag nicht Kaffee trinken geht, dann fällt auf, dass man kein Geld hat", vermutet die Ehrenamtsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Gabi Schmidt (Freie Wähler). "Deshalb geht man mit Kaffee trinken, aber dafür ist dann der Kühlschrank leer."

Schmidt kenne solche Geschichten gut, sie lebt selbst in Neustadt an der Aisch. Das neue Projekt Seniorentüte findet sie deshalb "großartig". Sie betont, dass Tafel-Kundinnen und Kunden von der Gesellschaft im Gegenzug vielmehr als Lebensmittelretter gesehen werden sollten. Ein Ansatz, den die Tafel deutschlandweit mit ihrem Leitspruch "Lebensmittel retten. Menschen helfen" verfolgt.

Reaktionen bisher durchweg positiv

Die Seniorentüten gibt es erst seit diesem Monat. Doch bisher seien alle Reaktionen positiv, sagt Thomas Nicol: "Wir haben schon etliche Anfragen und Registrierungen bekommen". Er und seine Mitarbeitenden gehen davon aus, dass bei ihnen im Landkreis Neustadt an der Aisch rund 5.000 Menschen über 65 Jahre als armutsgefährdet gelten. Er hofft darauf, dass möglichst viele von ihnen dank der Seniorentüte nun endlich den Schritt gehen und Hilfe annehmen.

Gepackte Seniorentüte.
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