Männerhände flexen an einem Metallrost. Es sprühen Funken. Ein Symbolbild für Fachkräftemangel.
Bildrechte: BR/ Philipp Kimmelzwinger

Es fehlt an Fachkräften. (Symbolbild)

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Arbeitslosigkeit trotz Fachkräftemangel: So passt das zusammen

Seit Juni steigt die Arbeitslosenzahl in Deutschland wieder - und das über den üblichen Sommerpauseneffekt hinaus. Zugleich suchen viele Betriebe Fachkräfte, die Zahl der offenen Stellen ist hoch. Warum das kein Widerspruch ist.

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Das ifo-Institut hat kürzlich eine Studie vorgelegt, für die in Deutschland 9.000 Unternehmen befragt wurden. Demnach verzeichnen rund 43,1 Prozent der Unternehmen einen Mangel an Arbeitskräften. Auch die Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, bestätigte bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen vom Juli: "Der Mangel an Fachkräften befindet sich weiter auf hohem Niveau." Und das, obwohl die schwächelnde Konjunktur die Zahl der Arbeitsplatzangebote etwas habe sinken lassen. Im Juli war die Arbeitslosenquote gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen auf 2.617.190 Arbeitslose. Im Monat davor war die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen um 192.000 nach oben gegangen. Die Arbeitslosigkeit nimmt also zu.

Viele offene Stellen: Gut für Arbeitslose?

Kann das sein? Ist das nicht ein Widerspruch? Eigentlich müssten sich bei einem hohen Niveau an offenen Stellen – 772.000 waren es laut der Juli-Statistik zuletzt – doch mehr Arbeitsuchende in einen Fachkräftejob vermitteln lassen. So einfach sei das nicht, sagt Susanne Eikemeier, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. Sie verweist auf eine Analyse ihrer Behörde, die jährlich die Zahl sogenannter Engpassberufe erhebt, also, in welchen Jobs es einen Mangel an Fachkräften gibt.

"In der neusten Analyse haben wir festgestellt, dass die Zahl der Engpassberufe von etwa 100 auf 148 innerhalb eines Jahres angestiegen ist. Das ist schon enorm. Das bedeutet, dass wir einen Mangel in jedem sechsten Fachkräfteberuf haben." Susanne Eikemeier, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit

Vielen Arbeitslosen fehlt die nötige Qualifikation

Besonders viele Fachkräfte fehlen demnach in der Informationstechnik, im Dienstleistungsbereich, im Bereich Gesundheit und Pflege, an Schulen wie auch in der Industrie und auf dem Bau. Der Vergleich von Arbeitslosenzahlen und freien Stellen mag bei der Gegenüberstellung der bloßen Zahlen nahelegen, dass etliche Arbeitslose einfach eingestellt werden könnten, räumt Alexander Kubis vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das an die Bundesagentur angegliedert ist. Er weist aber darauf hin, dass auch auf dem Arbeitsmarkt das Prinzip von Angebot und Nachfrage gilt. "Das heißt, dass Angebot und Nachfrage nicht unbedingt immer perfekt zusammenpassen." Oft fehlen laut Kubis entsprechende Qualifikationen. Viele, die arbeitslos werden, seien eben nicht unbedingt für die Jobs geeignet, die von den Betrieben so dringend gesucht werden, erklärt Susanne Eikemeier von der Bundesagentur.

Forscher: Durch Weiterbildung im erlernten Beruf bleiben

Mittlerweile würden mehr als 50 Prozent der Arbeitslosen Helferjobs suchen und nicht mehr eine Stelle in dem Beruf, den sie früher einmal erlernt haben, weiß Arbeitsmarktforscher Kubis. Das liege daran, dass Berufswissen schnell veraltet. Berufsbilder ändern sich zum Teil rasant und oft weitreichend. Das vergrößere im Lauf der Zeit die Mängel in der Qualifikation der Arbeitskräfte. Dies gilt besonders für den Prozess der Digitalisierung und der Dekarbonisierung, also des Umstiegs auf klimaschonende Techniken. Der Bedarf an Fachkräften steigt dadurch und zugleich auch das Risiko, arbeitslos zu werden. Darauf müsse man unbedingt mit Weiterbildung reagieren, rät Kubis. "Da geht es nicht darum, quasi was völlig Neues zu lernen", oder gar umzuschulen, sagt der IAB-Forscher. Sondern es gehe darum, dass die Menschen in ihrem Beruf neue Tätigkeiten erlernen.

Bundesagentur: Es fehlen Menschen im erwerbsfähigen Alter

Ein weiterer Grund, dass Fachkräftejobs unbesetzt bleiben, ist die Alterung der Gesellschaft. Demografischer Wandel heißt das Stichwort. Der sei in manchen Regionen so groß, dass dort schlicht zu wenige Erwerbsfähige vorhanden seien, sagt Eikemeier. Als Beispiel nennt sie die östlichen Bundesländer, wo viele Menschen abgewandert seien.

Experten: Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland ist nötig

Worin sich die Behördensprecherin und der Arbeitsmarktforscher einig sind: Ohne Fachkräfte aus dem Ausland werde es nicht gehen. Doch auch das ist schwierig. Denn wer in Deutschland arbeiten will, muss ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen. Deutsch aber gehöre nicht zu den einfachen Sprachen, so Eikemeier. Das international gängigere und einfacher zu erlernende Englisch sei als Berufssprache in Deutschland nur in wenigen Branchen und Betrieben verbreitet. Hinzu komme ein weiteres Problem für Menschen aus dem Ausland, die in Deutschland arbeiten möchten: die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Die Bildungssysteme, die im Ausland vorherrschen, seien nicht immer mit denen in Deutschland vergleichbar. Man sehe das "zum Beispiel an der dualen Ausbildung, die im Ausland nur sehr selten angeboten wird."

Fazit: Es könnten mehr Arbeitslose auf Fachkräftestellen passen

Das wirft die Frage auf, ob es sinnvoll wäre, Berufsqualifikationen an anderen Prüfsteinen zu messen als einem Ausbildungssystem, das mit auswärtigen Abschlüssen nicht vergleichbar ist. So wie die Situation jetzt ist, bietet sie zum einen Arbeitsmigranten und erst recht auch arbeitslosen Menschen wenig Chancen, einen freien Arbeitsplatz zu ergattern.

IAB-Forscher Kubis plädiert dafür, die Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer auszuweiten, damit sie nicht in die Arbeitslosigkeit rutschen. Wenn Arbeitsmigranten nach Deutschland kommen, würden diese gleichzeitig niemandem den Arbeitsplatz wegnehmen, sagt er. Und: Würden zu viele Fachkräftestellen in einem Unternehmen zu lange unbesetzt bleiben, sei das eine Gefahr für alle Beschäftigten.

Dieser Artikel ist erstmals am 28. August 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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