An einer Tafel stehen durchgestrichen die Worte "Antisemitismus", "Homophobie" und "Frauenfeindlichkeit"
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Wie viel sind uns unsere Werte wert?

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Antisemitismus, Homophobie, Frauenhass: Sind wir zu tolerant?

Abfällige Aussagen muslimischer Jugendlicher gegen Juden oder Frauen sind in Integrationsklassen laut Lehrerinnen und Lehrern Alltag. Die Lehrkräfte sind sich einig: Deutschland sollte bei diesen Themen weniger tolerant sein – auch bei den Jüngeren.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

Muslimische Jugendliche, die sich abfällig über jüdische oder homosexuelle Menschen und Frauen äußern: Davon berichten Lehrkräfte an Berufsschulen am bayerischen Untermain. Sie wollen anonym bleiben. Denn sie wollen vermeiden, als rassistisch wahrgenommen zu werden. Seit dem Krieg in Nahost habe sich die Situation in den Schulen und die Abneigung gegenüber Juden weiter verschärft.

Lehrkräfte: Abfällige Äußerungen von muslimischen Schülern

Ein Lehrer erzählt etwa davon, dass ein Junge aus Afghanistan in der Klasse ausgeschlossen werde, weil er Christ ist. Auch Frauen sind bei muslimischen Jugendlichen immer wieder ein Thema: Die Deutschen seien "so dumm, sich von Frauen sagen zu lassen, wo es langgeht". Von solchen und ähnlichen Aussagen berichten auch andere Lehrerinnen und Lehrer.

Sie sind sich einig: Deutschland müsse die hier nicht verhandelbaren Werte wie Menschen- und Frauenrechte, Religionsfreiheit und Demokratie hochhalten. Das gelte für Hetzer aus der rechten Szene gleichermaßen wie für Asylsuchende und Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei schwingen Fragen mit: Wie viel sind uns unsere Werte wert? Und wer soll sie vermitteln?

Politik: "Wind von rechts wird rauer"

In der Migrations- und Integrationsdebatte besteht dringender Handlungsbedarf: Darin waren sich Politikerinnen und Politiker von CSU, SPD, FDP und Grünen in Aschaffenburg einig – am Abend der Landtagswahl im Oktober.

Bayerns früherer Justizminister Winfried Bausback (CSU) spricht von einem Rechtsruck in der Gesellschaft. Der Wind werde rauer, bemerkt auch die SPD-Landtagsabgeordnete Martina Fehlner.

Miltenberger Landrat: Geflüchteten nicht nur Job vermitteln, sondern auch Werte

"Wir müssen den geflüchteten Menschen nicht nur Sprache und Beruf vermitteln, sondern auch Werte. Dieser Aspekt ist in meinen Augen etwas vernachlässigt worden in den letzten Jahren. Wir haben das häufig auf die Schultern von Ehrenamtlichen ausgelagert", betont Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf (Die Grünen).

"Deutschland tut sich schwer, klare Kante zu zeigen und viele nutzen das aus", sagt Nilüfer Ulusoy, die Integrationsbeauftragte von Klingenberg. In der Stadt im Landkreis Miltenberg hat die AfD bei der Landtagswahl 27 Prozent geholt.

Integrationsverein "Frauen für Frauen" in Erlenbach

Nilüfer Ulusoy engagiert sich nicht nur in ihrem Beruf für diese Themen. Mit ihren Mitstreiterinnen hat sie in den vergangenen Jahren viele Projekte durchgeführt, bei denen es um Integration geht. Seit zehn Jahren ist die 48-Jährige zum Beispiel Vorsitzende des Vereins "Frauen für Frauen" in Erlenbach im Landkreis Miltenberg.

Mit Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg hat ihr Verein als einer der ersten in Deutschland die sogenannten "Mother-Schools" angeboten. Dabei handelt es sich um ein Projekt der Organisation "Frauen ohne Grenzen" und des Bayerischen Sozialministeriums.

Ziel: Mütter für Verhalten ihrer Kinder sensibilisieren

Das Ziel der verschiedenen Projekte: Mütter stärken und für die Gefahren des Salafismus sensibilisieren – also der ultrakonservativen Strömung innerhalb des Islams. Mütter sollen Tendenzen bei ihren Kindern erkennen – und auch gegensteuern können.

Seit drei Jahren führt Ulusoy auch das Modellprojekt "Leben in Bayern" vom Bayerischen Innenministerium durch, an drei Standorten im Landkreis Miltenberg. Geflüchtete Menschen, die langfristig in Deutschland bleiben können, sollen Kultur, Werte und Alltag in Bayern kennenlernen – und sich leichter integrieren können, so das Ziel.

Aziza Buhler, die vor 24 Jahren aus Marokko nach Deutschland gekommen ist, unterrichtet im Quartierszentrum in Elsenfeld und berichtet von ihren Erfahrungen: "Dass in Deutschland Männer Männer und Frauen Frauen heiraten können, ist für viele neu. Meine Frauen lachen dann, sie kennen das nicht – aber sie sind neugierig." Mütter hätten einen großen Einfluss auf ihre Kinder. "Starke Mütter haben starke Kinder", sagt Nilüfer Ulusoy augenzwinkernd und spielt auf eine Kursreihe ihres Vereins an.

Integrationsbeauftragte: Kinder übernehmen Meinungen von Eltern

Nilüfer Ulusoys Eltern waren vor vielen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, um kurzfristig hier zu arbeiten. Sie hatten Vorurteile gegenüber Aleviten und Kurden. "Ich habe heute viele Aleviten und Kurden in meinem Freundeskreis. Als ich meine Mutter einmal darauf angesprochen habe, sagte sie: Sie habe das von ihren Eltern übernommen und nicht besser gewusst", erinnert sich die Integrationsbeauftragte von Klingenberg.

Ihre Mitstreiterin Hülya Mutu hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "Leider wird vieles von Generation zu Generation weitergegeben, was gar nichts mit unserer Religion zu tun hat."

"Manche Werte in Deutschland sind nicht verhandelbar"

Ulusoy hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, schätzt die Freiheiten hier und hält die Fahne für Demokratie und Menschenrechte hoch. "Manche Werte sind nicht verhandelbar. Da brauchen wir mutige Menschen und die dürfen nicht schweigen", sagt die zweifache Mutter im BR24-Interview.

Viele Männer hätten ein Problem damit, dass in ihrem Verein "Frauen für Frauen" eben nur Frauen das Sagen hätten. Doch sie kämpft auch gegen Menschen in Deutschland, die sie und die Frauen in ihrem Verein nicht haben wollen würden. Für ihr Engagement für die Integration von Frauen hat die 48-Jährige vor gut einem Jahr den Bayerischen Verdienstorden bekommen. Ihre Botschaft: Bei Intoleranz muss unsere Toleranz aufhören.

Parallel-Gesellschaften durch versäumte Integration

Sie und ihre Mitstreiterinnen sind sich einig: In der Integration ist vieles schiefgelaufen, beziehungsweise versäumt worden. "Es gibt hier Parallel-Gesellschaften und man lässt sie in Ruhe. Sie denken: Wir können so weitermachen, keiner sagt etwas dazu. Das stört uns. Deshalb gewinnt die AfD auch immer mehr Stimmen", sagt Ulusoy.

Es ärgert sie, dass Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland geboren sind, Deutschland trotzdem nicht als ihre Heimat bezeichnen.

Lehrer-Verband: Demokratie in den Schulen vermitteln

Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen-Verband (BLLV) betont gegenüber BR24, es werde immer wichtiger, an Schulen Demokratie und Werte zu vermitteln. Das Kultusministerium verweist in diesem Zusammenhang auf die Initiative "Werte machen Schule" und auf das Online-Portal "Wertebildung Bayern" – eine Multiplikationsplattform für Schulen mit "Good-Practice"-Beispielen.

Lehrerinnen und Lehrer, die in ihren Klassen mit Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie oder ähnlichen Themen zu kämpfen haben, könnten sich auch Hilfe bei den Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz holen. Sie sind an den neun staatlichen Schulberatungsstellen angesiedelt. "Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung haben an Bayerns Schulen keinen Platz", so die Botschaft des Bayerischen Kultusministeriums.

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