An der Universität Würzburg haben gerade mit dem Wintersemester auch die Vorlesungen und Seminare im Zusatzstudiengang "Antisemitismuskritische Bildung für Unterricht und Schulen" begonnen. In dem bundesweit einmaligen Studiengang lernen angehende Lehrerinnen und Lehrer in drei Semestern, wie man Antisemitismus im Alltag erkennt, erfasst, wo die Grenzen sind und wie man damit – auch später im Unterricht – umgeht.
Professorin Ilona Nord vom Lehrstuhl für evangelische Theologie, bei der der Zusatzstudiengang angesiedelt ist, räumt ein, dass der Krieg in Israel und Gaza auch den Antisemitismus-Studiengang an der Uni Würzburg überschattet: "Wir spüren das sehr stark, dass der Konflikt uns hier erreicht. Wir haben jüdische Studierende, einen jüdischen Kollegen."
Für die Betroffenen sei das Risiko, in öffentliche Räume zu gehen, mit Leib und Leben bedroht zu werden, real. "Das ist eine große, harte Veränderung", sagt Ilona Nord. Allerdings würde deswegen das Studienprogramm nicht umgestellt werden. "Wir wollen nicht den Nahost-Konflikt lösen." Die Studentinnen und Studenten würden aber natürlich trotzdem wissen wollen, wie die Dozenten das Thema einschätzen.
Grundlagen in drei Semestern
Vor einem Jahr sind 30 Studentinnen und Studenten in dem damals ganz neuen Studiengang gestartet. Jetzt im Wintersemester kamen 30 Erstsemester dazu. Das Zusatzstudium ist in drei Module aufgebaut. Im ersten Semester geht es um Grundlagen: Was ist Antisemitismus? Welche Definitionen gibt es? Welche Vorfälle sind zum Beispiel der bayerischen Meldestelle für Antisemitismus bekannt? Im zweiten Semester werden die Teilnehmer auf konkrete Vorfälle im Unterricht vorbereitet, Workshops mit Rollenspielen werden erarbeitet. Im dritten und letzten Semester geht es dann auch um Medien. Wie wird die aktuelle Situation in Israel und Gaza in den sozialen Medien, wie TikTok oder Instagram dargestellt? Wie macht sich Antisemitismus dort bemerkbar? Und was kann man medial dagegensetzen.
Schockiert über Antisemitismus auch an Schulen
In der ersten Vorlesung des Wintersemesters fragt die Dozentin gleich zu Beginn, wie jeder den Krieg in Israel und Gaza ganz persönlich erlebt. Ein Student meldet sich, hat den Mut, seine Gedanken auch in größerer Runde zu äußern: Erst die Causa Aiwanger, sagt er, jetzt die Ereignisse in Nahost. Man bemerke in Deutschland nach 45 den Prozess der "Wiedergutwerdung" statt einer tatsächlichen Wiedergutmachung.
Jetzt äußerten alle eine bedingungslose Solidarität mit Israel, während man sich nebenbei weigere, vor der eigenen Haustür zu kehren. Was man auch daran sehe, dass in Brandenburg zwei Lehrer eine Schule haben verlassen müssen, weil sie gegen Hitler-Grüße vorgehen wollten, die an der Schule gezeigt würden. "Das hat mich ziemlich wütend gemacht", sagt der Student.
Im Hörsaal berichtet eine andere Studentin, dass für sie ganz aktuell Social Media ein brennendes Thema sein. Sie selbst sieht sich in einer eher linken Bubble, in der sie einigen inzwischen "entfolgt" sei, weil es zu viele antisemitische Äußerungen gegeben habe. "Ich habe da in den letzten zwei Wochen radikal aussortiert", berichtet die Studentin.
Hohe Nachfrage und lange Wartelisten
Das Zusatzstudium an der Uni Würzburg wird mit dem Zertifikat "Antisemitismuskritische Bildung für Unterricht und Schulen", kurz ZABUS nach drei Semestern abgeschlossen. Das Interesse bei angehenden Lehrkräften aus allen Schulbereichen ist groß, die Wartelisten sind inzwischen lang. Auch Lehrerinnen und Lehrer, die bereits unterrichten, wollen das Zusatzstudium absolvieren, ebenso Personen aus der Erwachsenenbildung und dem Diversity-Bereich. Wenn wir wollten, könnten wir große Hörsäle füllen, sagt eine Dozentin. Mit dem aktuellen Krieg in Israel und Gaza sei die Zahl der Anfragen an die Uni Würzburg noch einmal gestiegen.
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