Ein Mauersegler in der Hand von Margarete Kistler, ehrenamtliche Mauersegler-Tierpflegerin
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Ein Mauersegler in der Hand von Margarete Kistler: Die Vögel verbringen fast ihr ganzes Leben in der Luft.

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Vögel in Not – Ehrenamtliche Hilfe für Mauersegler

Mauersegler verbringen fast ihr ganzes Leben in der Luft. Im Sommer kommen sie aus Afrika nur zum Brüten zu uns. Doch um die Bestände steht es schlecht. Vogelretter kämpfen um den Erhalt der Kolonien. Dabei geht es um mehr als um Tierschutz.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Sie fliegen tagelang ohne Pause, sie fressen und schlafen sogar in der Luft. So ziehen Mauersegler jedes Jahr Ende April Tausende Kilometer aus Afrika in unsere Städte: zum Brüten. Mauersegler bringen uns den Sommer und nehmen uns die lästigen Mücken – das macht sie zu echten Sympathieträgern. Doch unsere Sommer verändern sich und mit ihnen die Bedingungen für die treuen Sommerboten. Seit 2016 steht der Mauersegler auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Vogelarten.

Ehrenamtliche Hilfe seit mehr als 25 Jahren

Im Wohnzimmer von Familie Kistler in München ist es im Sommer ziemlich laut. Etwa 20 Mauersegler tummeln sich in aufeinandergestapelten Schuhkartons und Kisten mit Löchern. Sie warten darauf, dass Margarete Kistler ihre hungrigen Schnäbel mit einer Ladung Heimchen (Hausgrillen) stopft.

Seit mehr als 25 Jahren kümmern sich Margarete und Anton Kistler ehrenamtlich um verletzte oder erschöpfte Mauersegler. Ein Fulltime-Job für die beiden Rentner. "Wir haben jetzt im Schnitt über 30 Jungvögel", sagt Margarete Kistler. Fünf bis sechs Mal pro Tag wollen die gefüttert werden, das muss vorbereitet sein. Die Boxen müssen immer wieder gesäubert werden. In den Sommermonaten mal ein paar Tage wegfahren – für die Eheleute nicht machbar. Ende Mai haben heuer die ersten Mauersegler in Kistlers Wohnzimmer Unterschlupf gefunden. Ein bis drei Wochen werden sie versorgt, bis die Tiere wieder flugfähig sind.

Täglich rufen etwa 20 Menschen an, die Hilfe für Mauersegler suchen. Margarete Kistler leistet Erstberatung am Telefon. Das Wichtigste sei, die Vögel niemals in die Luft werfen, um ihnen Starthilfe zu geben. Das sei ein weit verbreiteter Mythos. Die Verletzungsgefahr für die Vögel ist viel zu groß. Sind sie zu früh aus ihren Nestern gefallen, können sie schlicht noch nicht fliegen.

Situation der Mauersegler verschlechtert sich

Mauersegler haben es in den vergangenen Jahren immer schwerer, sagt Sylvia Weber, Gebäudebrüter-Expertin des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). "Wir beobachten seit etwa 2013 einen wirklich spürbaren Rückgang der Münchner Bestände." Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) zählt jedes Jahr weniger Mauersegler. Schon 2019 zeigte sich in der Stunde der Gartenvögel, dass die Population der Mauersegler sich um mehr als die Hälfte verringert hat. Gründe sieht Sylvia Weber vom LBV vor allem in der schlechten Brutplatzsituation.

Weniger Brutplätze, weniger Nahrung, mehr Hitze und Regen

Mauersegler sind sehr ortstreu und auf ihre Brutplätze unter Dächern, an Fassaden oder Regenrinnen angewiesen. Werden Häuser gedämmt und bekommen eine neue Fassade, bleiben oft kaum Unterschlupfmöglichkeiten für die Vögel. Ein einfaches Mittel wäre, mehr Nistkästen aufzuhängen. Aber auch die Nahrungssituation wird immer schwieriger. Mauersegler ernähren sich ausschließlich von Insekten – und die werden seit Jahren immer weniger.

Und dann gibt es da noch die klimabedingten Wetterextreme. Selbst wenn Mauersegler einen geeigneten Platz und einen Partner oder eine Partnerin finden – die langanhaltende Hitze unter den Dächern der Stadt bleibt ein großes Problem: "Wir erleben, dass Mauerseglerküken oder Nestlinge, die noch gar nicht flugfähig sind, aufgrund großer Hitze von ihren Dächern abgesprungen sind." Diese landen dann in einer der wenigen Auffangstationen, wie der bei Familie Kistler.

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Ehrenamtliche Vogelpflegerin Margarete Kistler mit einem Mauersegler auf der Hand.

Nachfolger gesucht für die Pflege von Mauerseglern

Bis Anfang August müssen die Vogelpfleger alle Findlinge fit bekommen, denn dann zieht es die Tiere wieder Richtung Süden. "Bis jetzt habe ich sie alle durchgebracht", sagt die 76-jährige Margarete Kistler. Bis jetzt. Denn eigentlich seien sie und ihr Mann langsam zu alt für diese Arbeit. Seit Jahren schon suchen sie Nachfolger. Doch dann klingelt wieder das Telefon: wieder ein Jungtier, das Hilfe braucht. Da Nein zu sagen, fällt ihr schwer.

Tierschutz bedeutet auch Naturschutz

Margarete Kistler sieht sich dabei gar nicht unbedingt als Tierschützerin, ihr Blick geht darüber hinaus. Der Mauersegler gehört für sie einfach zum Sommer, er sei ein richtiger Insektenfresser und auch ein Zahnrädchen der Natur. Deshalb sprießen in Kistlers wildem Garten Hunderte von Blüten. "Da schließt sich wieder der Kreislauf, dass man einfach ein bisschen auch an die Insekten denkt und das Insektenvorkommen fördert. Ich setze nicht nur Rhododendron rein, sondern lasse auch mal einen Wildstrauß stehen. Man muss den Lebensraum erhalten, um das Tier erhalten zu können. Ich denke, was wir machen, könnte jeder machen."

Entscheidungen dieser Art kann jede und jeder Einzelne im Alltag für sich treffen. Wenn es um artgerechte Bauweisen geht, braucht es schon institutionelle Hilfe. Die Stadt München beispielsweise fordert, bei Bebauung städtischer Grundstücke direkt Lösungen für Gebäudebrüter einzuplanen und verpflichtend Nistkästen aufzuhängen. Die Klimaerwärmung im Großen ist eine globale Aufgabe, im Kleinen aber sind es Menschen wie Margarete und Anton Kistler, die einen Beitrag leisten.

Als Margarete Kistler auf dem Rodelberg in der Nachbarschaft steht und zwei ihrer Findlinge in den Süden fliegen sieht, ist das für sie der Dank und ein Erfolgserlebnis. Der Sinn ihrer ganzen Arbeit liegt in diesem kurzen Moment: "Jetzad geht er nauf, da fliegt er, besser geht’s nicht."

Im Audio: Mauersegler – Der Vogel, der im Flug schläft

Mauersegler (Apus apus)
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Mauersegler (Apus apus)

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