Die Aufnahme zeigt die Internationale Raumstation ISS in einer niedrigen Erdumlaufbahn. Im Hintergrund befindet sich die Erde.
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Für die Internationale Raumstation ISS soll der Betrieb normal weitergehen - trotz Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland.

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Ukraine-Krieg: Und was ist mit der ISS?

Krieg auf der Erde, Frieden im All? Zwar geht der Betrieb auf der Internationalen Raumstation ISS scheinbar normal weiter. Doch die Folgen für die Raumfahrt sind gewaltig. Betroffen sind auch deutsche und europäische Missionen.

Dem deutschen Astronauten Matthias Maurer scheint es gut zu gehen. Maurer, Astronaut der Europäischen Weltraumagentur ESA, befindet sich derzeit auf der Internationalen Raumstation ISS. In einem Tweet bedankt er sich für ein Bild der ISS, aufgenommen vom Erdboden. Da scheint die ISS über allem zu schweben.

Ukraine-Krieg hat das Weltall erreicht

Wie es Matthias Maurer wirklich geht, da oben in einer Erdumlaufbahn zusammen mit vier amerikanischen und zwei russischen Kollegen, während unten auf der Erde ein Angriffskrieg Russlands tobt? Das kann man ihn leider nicht persönlich fragen. Eine angesetzte offene Pressekonferenz mit Maurer wurde vor wenigen Tagen abgesagt.

Klar ist jetzt schon: Dieser Krieg auf der Erde hat längst das Weltall erreicht. Davon betroffen ist nicht nur – derzeit glücklicherweise nur indirekt – die Internationale Raumstation ISS, sondern vor allem europäische und deutsche Missionen, die in Kooperation mit Russland und der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos stattfinden sollten.

Trotz Krieg soll Betrieb auf der ISS weitergehen – sagt die NASA

Seit 1998 ist die Internationale Raumstation in einer niedrigen Erdumlaufbahn genau das: international. Finanziert wurde die hundert Milliarden US-Dollar teure Raumstation zwar größtenteils von den USA. Aber sie besteht aus mehreren Modulen aller beteiligten Partner. Das erste Modul im All war ein russisches Fracht- und Antriebsmodul namens Sarja. Erst im letzten Jahr hat Russland ein weiteres Modul an die ISS angebracht, ein Forschungsmodul namens Nauka. Daran angebracht wiederum ist der European Robotic Arm ERA, finanziert und gebaut von der ESA.

Und während die USA größtenteils für die Stromversorgung auf der ISS verantwortlich sind, kümmert sich Russland mit Bahnanhebungen darum, dass die ISS aufgrund von Reibungskräften nicht an Höhe verliert und irgendwann gen Erde stürzt. Die ISS als Projekt des Friedens ist somit vor allem ein Projekt der gegenseitigen Abhängigkeit im All.

Als die NASA ihr Space-Shuttle-Programm im Jahr 2011 einstellte, konnten jahrelang alle Astronautinnen und Astronauten nur vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zur ISS gelangen, an Bord von Sojus-Kapseln. Erst mit den kommerziellen Crew-Dragon-Flügen der US-Firma SpaceX wurde diese Abhängigkeit der USA von Russland für die astronautische Raumfahrt gemildert. Auch Matthias Maurer ist mit SpaceX von Cape Canaveral in Florida aus gen ISS gestartet.

Die Chefin des bemannten NASA-Raumfahrtprogramms, Kathy Lueders, sagte bei einer Pressekonferenz, die Situation werde zwar beobachtet. Der ISS-Betrieb laufe aber weiter "normal". Erst kürzlich hat die NASA bei SpaceX weitere Flüge zur ISS bis zum Jahr 2023 gebucht. Und frühestens Mitte April soll auch wieder eine europäische Astronautin gen ISS starten, die Italienerin Samantha Cristoferetti.

Schlagabtausch mit Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin via Twitter

Soweit die offizielle Seite. Auf der inoffiziellen Seite schaut es schon ganz anders aus, vor allem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Denn auf Twitter ist der Chef der russischen Weltraumbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin alles andere als subtil unterwegs – auch, was die ISS angeht.

Bereits am 24. Februar 2022 erboste sich der Roskosmos-Chef in einer Reihe von Tweets: "Wenn Sie die Zusammenarbeit mit uns blockieren, wer rettet dann die ISS vor einem unkontrollierten Abstieg aus der Umlaufbahn und dem Absturz auf US-Territorium oder Europa?" schreibt Rogosin. "Es besteht auch die Möglichkeit, dass ein 500 Tonnen schweres Bauwerk auf Indien und China fällt. Wollen Sie ihnen mit einer solchen Aussicht drohen? Die ISS fliegt nicht über Russland, daher liegen alle Risiken bei Ihnen. Sind Sie bereit dafür?"

Tatsächlich fliegt die ISS auch über Russland – aber nun gut. Wenig später sorgte ein Video, das angeblich von Roskosmos produziert und vom russischen Staatsmedium Ria Novosti verbreitet wurde, für Verstörung: Es zeigt, wie sich zwei russische Kosmonauten von ihrem amerikanischen Kollegen Mark Vande Hei verabschieden, in eine Sojus-Kapsel steigen und zurück gen Erde fliegen. Die ISS stürzt daraufhin antriebslos in Richtung Erdatmosphäre und Vernichtung.

Das wollte wohl wiederum der ehemalige US-amerikanische Astronaut Scott Kelly nicht so stehen lassen. Via Twitter lieferte er sich Anfang dieser Woche einen wüsten Schlagabtausch auf Russisch mit Dmitri Rogosin. Unter anderem schrieb er an Rogosin, dass sein Weltraumprogramm ohne westliche Devisen nichts wert sei. Kelly empfahl im außerdem einen Job bei McDonald’s: Wenn es McDonald’s in Russland noch gibt." Inzwischen gibt es McDonald’s 2in Russland übrigens nicht mehr.

Dmitri Rogosin reagiert darauf mit einem inzwischen gelöschten Tweet, in dem er Kelly als Idioten bezeichnete und von ihm verlangte, aufzuhören, da "andernfalls der Tod der ISS" auf sein Konto gehen würde.

Die digitale Schlammschlacht könnte genau das bleiben, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass der US-amerikanische Astronaut Mark Vande Hei sich derzeit tatsächlich auf der ISS befindet. Und nach derzeitigem Stand soll Vande Hei Ende März die ISS genauso verlassen, wie er dort angekommen ist: zusammen mit seinen beiden russischen Kollegen in einer russischen Sojus-Kapsel.

Pause für Experimente mit russischer Beteiligung auf der ISS

Während sich die Astronauten an Bord der ISS bedeckt halten und zumindest die internationalen Partner jenseits von Roskosmos um Schadensbegrenzung bemüht zu sein scheinen, ist der Status einiger Experimente auf der ISS derzeit weit vom Normalbetrieb entfernt. So ist das Projekt Icarus derzeit gestoppt: Für dieses Projekt wurden Tausende Tiere weltweit mit Sendern versehen, die ihre Daten an die ISS schicken. So wollen Forscher mehr über Zugverhalten und Wanderungsbewegungen herausfinden.

Die Empfangsantenne dafür ist an einem russischen Modul angebracht, das Projekt ist eine Kooperation mit russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Am 2. März 2022 hatte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR die Zusammenarbeit mit russischen Institutionen gestoppt.

Am Tag darauf verkündete Roskosmos seinerseits, mit dem DLR nicht länger zusammenarbeiten zu wollen. In seiner Mitteilung verkündet das DLR: "Gewalt darf kein Mittel zur Durchsetzung von Zielen jedweder Art sein. Wir sehen deshalb mit großer Sorge die Entwicklungen in der Ukraine und verurteilen die kriegerischen Handlungen Russlands."

Für Projekt Icarus war die ISS sowieso nur eine Art Zwischenstopp: Denn eigentlich wollen die Forscherinnen und Forscher die Empfangsantenne auf einem Minisatelliten ins All schießen. Bis es so weit ist, dauert es aber noch eine Weile.

Kooperationen der ESA mit Russland derzeit in der Schwebe

Auch die Zukunft des European Robotic Arm ERA, der am russischen ISS-Modul Nauka installiert ist, steht auf dem Spiel. Denn ERA ist ein Projekt der europäischen Weltraumbehörde ESA. Auch die ESA hat sämtliche russische Kooperationen gestoppt.

Besonders hart trifft das aber Forschung jenseits der ISS: Die Mission ExoMars steht auf dem Spiel. Mit ExoMars wollte die ESA einen Rover namens Rosalin Franklin zum Roten Planeten schicken, um nach Hinweisen von ehemaligem Leben zu suchen. Der Rover hätte bereits vor einigen Jahren starten sollen, dann jedoch kamen technische Verzögerungen und eine weltweite Pandemie dazwischen. Nun hätte es im September dieses Jahres so weit sein sollen.

Indes: ExoMars ist eine Kooperation mit Russland, die die ESA im Jahr 2013 angestrebt hatte, nachdem sich die US-Weltraumagentur NASA aus dem Projekt zurückgezogen hatte. Zwar wird der eigentliche Rover von Europa gebaut, aber die Landeplattform dafür sollte Russland liefern. Eine Sojus-Rakete hätte ExoMars gen Mars befördern sollen. Man merkt es am Konjunktiv: Die ESA schätzt es als "sehr unwahrscheinlich"ein, dass ExoMars in diesem Jahr startet.

Das nächste Startfenster zum Mars öffnet sich erst 2024 wieder. Ohne die russische Landeplattform und Rakete ist auch ein Start erst in zwei Jahren komplett unrealistisch. Derzeit hält sich die ESA bedeckt, was Auskünfte über die Zukunft von ExoMars betrifft. Mehr Informationen wird es voraussichtlich erst nach einer Sitzung der ESA-Mitgliedsstaaten geben, die Mitte März stattfindet.

Deutsches Röntgenteleskop eRosita im Sicherheitsmodus

Derzeit auch unklar ist, wie es für das deutsche eRosita-Instrument weitergeht: eRosita befindet sich nämlich im Weltraum an Bord von Spektr-RG, einem russischen Röntgenteleskop. In einer Kooperation mit Russland sollte eRosita insgesamt acht Mal den gesamten Himmel durchmustern. 2019 ist das insgesamt rund 90-Millionen-Euro teure Instrument gen Weltall gestartet. Finanziert wurde es einerseits durch das DLR, andererseits durch das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.

Am 3. März gab das MPE bekannt: "Der Empfehlung folgend, die Zusammenarbeit mit Russland auszusetzen, wurde eRosita während des Bodenkontakts am Samstag, den 26. Februar, in einen sicheren Zustand versetzt."

Das deutsche Röntgenteleskop macht somit Pause. Wie und ob es weitergeht, ist derzeit völlig offen. Und das gilt auch für die gesamte Raumfahrt mit russischer Beteiligung. Wer sich nun denkt, dass der Zustand schlimmer klingt, als zu Zeiten des Kalten Krieges, als 1975 amerikanische und sowjetische Astronauten im All Hände schüttelten, hat Recht: Derzeit ist es schlimmer. Aber nun war der Kalte Krieg genau das, nämlich kalt – und das, was in der Ukraine derzeit passiert, ist ein offener Angriffskrieg von Seiten Russlands.

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