MRSA-Keime sind am 19.09.2017 im Institut für Hygiene und Gesundheit in Hamburg in 1000-facher Vergrößerung unter einem Mikroskop zu sehen.
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Durch die breite Anwendung von Antibiotika sind viele Keime über die Zeit resistent gegen die Medikamente geworden.

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Multiresistente Keime: Forschung setzt Hoffnung auf KI

Immer mehr Bakterien werden resistent gegen Antibiotika. Weil die Entwicklung der Medikamente teuer und langwierig ist, bringt die Pharmaindustrie kaum neue Präparate auf den Markt. Eine Studie zeigt: KI hilft bei der Suche nach neuen Wirkstoffen.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Krankenhauskeim - dieses Wort macht vielen Menschen Angst. Denn wer sich mit einem solchen infiziert, wird ihn nur schwer wieder los. Mit dem umgangssprachlichen Begriff sind jene Bakterien gemeint, gegen die gängige Antibiotika keine Wirkung mehr haben - sie sind gegen Medikamente resistent. Eine Infektion mit multiresistenten Bakterien ist schwierig zu behandeln und kann zu Komplikationen führen. Besonders gefürchtet unter den multiresistenten Keimen ist der Erreger Acinetobacter baumannii. Er kann unter anderem eine tödliche Lungenentzündung verursachen.

KI hilft Forschern, neuen Wirkstoff zu finden

Einem Forschungsteam aus den USA und Kanada ist es vor kurzem gelungen, gegen dieses Bakterium einen vielversprechenden Wirkstoff zu identifizieren, und zwar mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz (KI). "Wir haben das KI-System so trainiert, dass es erkannt hat, wie es dem Bakterium gelingt, sich vor den gängigen Antibiotika zu schützen, also resistent zu werden", erklärt John Stokes von der McMaster University im kanadischen Hamilton. Im Labor hat das Team rund um Stokes den vom KI System vorgeschlagenen Wirkstoff getestet und gesehen: Im Reagenzglas tötet der Wirkstoff das Bakterium tatsächlich. Das bedeutet, dass die Substanz die Grundlage für ein neues Antibiotikum gegen dieses Bakterium sein könnte.

Wirkstoffsuche: Enorme Zeitersparnis durch KI

Überrascht habe die Forscher, deren Studie im Fachblatt Nature Chemical Biology publiziert wurde, wie schnell das KI System den Wirkstoff identifiziert hat. Um die vielversprechende Substanz unter 7.000 chemischen Stoffen zu finden, brauchte es noch nicht einmal zwei Stunden. Für die Forschung bedeutet das eine enorme Zeitersparnis. In einem weiteren Schritt testete das Team von John Stokes, ob dieser neue Stoff nicht nur im Reagenzglas, sondern auch in einem lebenden Organismus erfolgreich sein würde. "Wir haben entzündete Wunden bei Mäusen mit unserem Wirkstoff behandelt und wir konnten sehen: Das funktioniert! Wir konnten die Infektion in den Griff bekommen."

Mit Hilfe von KI: Ein bis zwei Millionen Substanzen am Tag durchsucht

Ein Ergebnis, dass die Forscher hoffnungsvoll stimmt, denn das Bakterium Acinetobacter sei wirklich "sehr verbreitet und auch gefährlich", sagt John Stokes. Möglicherweise sei die Entdeckung der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines neuen Antibiotikums. Denn am Anfang jeder Medikamentenentwicklung steht die Suche nach dem Wirkstoff.

Bis vor einigen Jahren war das eine aufwendige und zeitintensive Arbeit. Per Hand und mit Pipette testeten die Forschenden im Labor Wirkstoff für Wirkstoff. Mittlerweile hat sich dieser Prozess beschleunigt. Vollautomatische Roboter können an einem Tag ein bis zwei Millionen möglicher Wirkstoffe auf ihre Eignung durchsuchen, erklärt Gisbert Schneider von der Eidgenössische Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. Und die KI beschleunigt diesen Ansatz noch weiter: "Das Durchsuchen von einer Million oder zwei Millionen Substanzen geht dann in Sekunden", erklärt Gisbert Schneider.

KI-System könnte in Zukunft neue Substanzen entwerfen

Mit Hilfe von KI-Systemen könnten solche Forschungen in Zukunft sogar noch weiter optimiert werden. Denn es ist möglich, komplett neue Substanzen von einem KI-System entwerfen zu lassen. Daran forscht beispielsweise Gisbert Schneider mit seinem Team von der ETH. Diese Methode könnte in Zukunft wertvolle Grundmaterialien sparen und patentfreie Medikamentenwirkstoffe ermöglichen.

Aber diesen Schritt ist das Team von John Stokes mit der jetzt veröffentlichten Studie noch nicht gegangen. Die Forschenden haben sich vielmehr darauf konzentriert, bereits bekannte Substanzen auf ihre Wirksamkeit gegen das multiresistente Bakterium Acinetobacter zu testen. Gisbert Schneider, der nicht an der Studie beteiligt war, hält sie für eine "grundsolide Arbeit" und daher für sehr vielversprechend. Denn die Forscher hätten die virtuelle, KI-gestützte Erkenntnis erfolgreich mit einem Labor-Experiment verküpft und damit glaubhaft entschlüsselt, warum diese gefundene Substanz dieses Bakterium töten kann und weshalb das von Vorteil ist.

KI könnte Millionen Euro in der Pharmaforschung sparen

Der Einsatz von KI Systemen in der Pharmaforschung kann also nicht nur deutlich Zeit sparen, sondern auch einige hundert Millionen Euro, betont Gisbert Schneider. Deshalb wird die "neue Kollegin KI", wie der Biochemiker sie liebevoll nennt, schon bald in allen Pharmalaboren zu Hause sein. Allerdings ist die erfolgreiche Wirkstoffsuche nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem wirksamen Medikament. Denn erst danach können diese Substanzen in klinischen Studien an Menschen getestet werden. Das dauert manchmal jahrelang, ist enorm aufwendig und teuer. Deshalb hofft das Team von John Stokes, dass es gelingen wird, eine Pharmafirma davon zu überzeugen, den neu entdeckten Wirkstoff gegen das resistente Bakterium zu einem Medikament weiterzuentwickeln.

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