Birkenstämme stehen am Rande eines nassen Moors
Bildrechte: BR / Stefan Müller-Kroehling (LWF)

Moorbirken in den Sulzschneider Mooren im Ostallgäu

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Moorbirke: Was den Baum des Jahres so besonders macht

Die Moorbirke ist ein Überlebenskünstler, spendet vielen anderen Arten Leben und hat dennoch kein gutes Image. Nun haben Fachleute in Weihenstephan den Baum des Jahres 2023 erklärt und gewürdigt. Aber: Die Moorbirke wird in Bayern seltener werden.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Kein Baum hält so viel Kälte aus wie die Moorbirke. Sie wächst im Gegensatz zur bekannteren Sandbirke auf feuchteren und kühleren Standorten. In Bayern ist sie in den ostbayerischen Gebirgen verbreitet, im Voralpenland und in den Alpen – besonders in Hochmooren wie zum Beispiel im Biermoos bei Fürstenfeldbruck und im Schwarzen Moor in der Rhön und an Moorrändern. Denn sie mag es sonnig und feucht, doch nicht ganz nass. Anders als Sandbirken hat sie behaarte Blätter und Zweige, sie heißt deshalb auch Haarbirken. Doch warum haben Moorbirken ein schlechtes Image bei einigen Moorschützern und unter Waldbauern? Und muss dieses Image korrigiert werden?

Forscher: Moorbirke kein Moor-Schädling

Die Moorbirke ist quasi das Springkraut vieler ehrenamtlicher Moorschützer. So berichten Lokalzeitungen gelegentlich über Aktionen, bei denen Freiwillige ein Moor von Moorbirken befreien. Der "Vorwurf" an den Baum: Er würde dem Standort das Wasser entziehen und damit die Torfschicht weiter entwässern, so dass sich letztere zersetze und Kohlendioxid freisetze. Auch bei etlichen Waldbauern haben Birken allgemein ein schlechtes Image: Sie würden "wertvolleren" Bäumen das Wasser wegnehmen und diese schädigen, sie seien "Wassersäufer" und "Kronenpeitscher".

Im Hinblick auf die Moorbirke ist diese Kritik nicht haltbar. "Birken pumpen die Moore nicht leer", sagt Stefan Müller-Kroehling von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Und wenn künftig für den Klimaschutz mehr Moore "wiedervernässt" werden, werde im Hochmoor das zunehmende Torfmoos die Moorbirken verdrängen, sagt der Forstexperte. Zum einen, weil es den Moorbirken zu nass wird. Zum anderen ziehen die Torfmoose so viel Phosphat aus dem Moorboden, dass für die Moorbirken zu wenig von dem Nährstoff übrig bleibt. Am Moorrand herrschen bessere Bedingungen; dort können Moorbirkenwälder das Moor zum Beispiel vor austrocknenden Winden schützen.

Beliebt bei der Schildkrötenmotte

Von Birken leben rund 500 pflanzenfressende Insekten- und Milbenarten, damit kommen sie auf der Hitliste der Artenvielfalt an Bäumen gleich nach den Spitzenreitern Salweide und Eiche. Zu den Insekten zählen zum Beispiel Schmetterlinge wie der Trauermantel und der Birkensichelflügler, dessen Raupen aussehen wie die braunen Fruchtstände der Birke (also die "Würstchen", in denen sich unzählige Samen befinden). Und die Schildkröten-Motte: Die Raupen der Schildkröten-Motte stanzen aus dem Birkenblatt kleine runde Scheiben aus, in die sie sich einspinnen, um besser geschützt zu sein – wie in einem Schildkrötenpanzer. An den Birken leben auch besonders viele Käfer und Pflanzenwespen. Hornissen schälen manchmal die Rinde ab, um an den Birkensaft zu kommen.

Rehe fressen lieber Moorbirken

Die Knospen, Blätter und Kätzchen der Birken sind wichtige Nahrungsquellen für Auer- Birk- und Haselhuhn. Einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge fressen mehr als 30 Vogelarten die Samen der Birken. Der Fitis-Laubsänger kommt jedes Frühjahr pünktlich zum Birkenaustrieb zurück aus seinem Winterquartier in Afrika. "Man müsste ihn eigentlich Birken-Laubsänger nennen", sagte Olaf Schmidt, der ehemalige Chef der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) bei der Moorbirkentagung in Weihenstephan.

Unter den Säugetieren ist die Waldbirkenmaus stark mit der Birke verbandelt - sie braucht ungepflegte Lebensräume mit höherer Luftfeuchtigkeit. Die streng geschützte Art ist in Bayern nur noch am Riedberger Horn im Allgäu und im Bayerischen Wald vorhanden.

Während viele Insekten und Vögel nicht unterscheiden zwischen Moorbirken und Sandbirken, bevorzugen Rehe ganz eindeutig die Moorbirken als Nahrungsquelle. Denn Moorbirkenblätter sind weicher, und sie enthalten sowohl mehr Nährstoffe als auch weniger holzige Bestandteile als Sandbirkenblätter. Deswegen sind Rehe eine große Gefahr für jungen Moorbirken.

Moorbirke wird bleiben, jedoch seltener werden

Moorbirken-Wälder, wie es sie in drei Moor-Reservaten in der Rhön noch gibt, werden gegenwärtig bundesweit als "von vollständiger Vernichtung bedroht bis stark gefährdet" eingestuft. Die Klima-Nische des "nördlichsten Baumes Europas" wird sich im Zuge der Erderwärmung nach Nordosten verschieben.

Das heißt: In Bayern wird die Moorbirke noch seltener werden - doch sie wird bleiben, so die Prognose von Hans-Joachim Klemmt von der LWF. Zum Vorteil auch anderer Baumarten. Als lichtbedürftige Pionierbaumart bildet sie zum Beispiel nach Stürmen oder Lawinenabgängen auf Kahlflächen einen sogenannten "Vorwald" und bereitet damit den Boden für nachfolgende Baumarten. Indem sie vor Wind und einer zu dichten Pflanzendecke auf dem Waldboden schützt.

Waldbauern sollten ihre Haltung zur Moorbirke ändern

Fest steht: Die Leistungen der Moorbirke für die Biodiversität werden zu wenig wertgeschätzt – genau wie ihr forstliches Potenzial auf feuchten Standorten. Deswegen wird sie oft nicht gefördert, sondern schnell abgeholzt.

Wie aber fördert man Moorbirken? Die Antwort der Fachleute: Sobald die Bäume circa zwölf Jahre alt sind und auf Brusthöhe einen Stammdurchmesser von 12 bis 14 Zentimeter haben, sollte man die Krone freistellen, also Konkurrenzbäume ummachen. In einem Alter von rund 50 Jahren (bei einem Stammdurchmesser von 40 Zentimeter und mehr) ist die Moorbirke erntereif. Der Anteil der Moorbirke am Gesamtholzvorrat in den deutschen Wäldern liegt bei gerade mal 0,2 Prozent. Rechnet man das Birkenholz zusammen, also das von Sand- und Moorbirke, kommt man auf 1,9 Prozent; damit liegen die Birken an vierter Stelle der Laubhölzer nach Buchen, Eichen und Eschen.

Alles möglich: Möbel, Bauholz, Sportgeräte und Vanillin

Moorbirke und Sandbirke kann man im Hinblick auf die Verwertung quasi über einen Kamm scheren, die Holzeigenschaften sind fast gleich. "Das ist für die Moorbirke eine sehr gute Nachricht", sagt Stefan Torno von der Cluster-Initiative Forst und Holz in Bayern.

Birkenholz ist fast weiß, hat kaum Maserung. Es ist nicht gut gefeit gegen Witterungseinflüsse, deswegen eignet es sich vor allem für den Innenausbau. "Großes Potenzial haben wir im Bereich Sperrholz", prognostiziert Torno. Doch aus Birken kann man auch Möbel und Parkettböden sowie zum Beispiel Sportgeräte wie Diskusscheiben und Speere machen. Dient das Holz als Rohstoff in der chemischen Industrie, kann daraus unter anderem Material für Batterien oder der Aromastoff Vanillin werden.

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