Symbolbild: Ein geschmückter Weihnachtsbaum
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Weihnachten soll besinnlich sein. Doch was, wenn die Liebsten Verschwörungsmythen und Falschbehauptungen verbreiten? Sieben #Faktenfuchs-Tipps.

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#Faktenfuchs: So vermeiden Sie Fakten-Streit an Weihnachten

Was tun, wenn zur Weihnachtsgans Verschwörungsmythen und Falschbehauptungen über den Tisch gereicht werden? Sieben #Faktenfuchs-Tipps für eine empathische, konfliktfreie Kommunikation.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Wenn Familie und Freunde an den Feiertagen zusammenkommen, dann treffen manchmal unterschiedliche Weltbilder aufeinander. Das birgt Konfliktpotenzial, etwa wenn die Tante, der Onkel oder der Schwager beim Weihnachtsessen auf einmal von den vermeintlich gefährlichen Impfstoffen sprechen oder von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung.

Passend zum Weihnachtsfest gibt der #Faktenfuchs sieben Tipps, wie eine friedliche, konfliktfreie und konstruktive Kommunikation gelingen kann. Dafür hat der #Faktenfuchs mit dem Psychologen Philipp Schmid von der Radboud-Universität Nijmegen gesprochen. Er forscht zu medizinischer Kommunikation und den psychologischen Aspekten von Desinformation.

Tipp 1: Impulsive Gegenrede unterdrücken

Was also tun, wenn beim Weihnachtsessen Gerüchte, Falschinformationen oder Verschwörungsmythen auf einmal die Unterhaltung bestimmen? Darauf einzugehen und gleichzeitig eine besinnliche Stimmung zu wahren, kann eine Herausforderung sein. "Wenn wir etwas über ein Thema wissen oder anderer Meinung sind, dann neigen wir häufig dazu, unser Gegenüber mit dem, was wir wissen, sofort zu überfahren", sagt Psychologe Schmid im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.

Das erklärt er an einem Beispiel: Wenn man von einem Onkel höre, die Masernimpfung sei nicht sicher, dann folge häufig eine impulsive Reaktion. "Wenn man zu diesem Thema etwas weiß, hält man dagegen und sagt, dass das Unsinn sei und überhaupt nicht stimme", sagt Schmid.

Sofortiges Dagegenhalten führe jedoch meist zu einer Konfrontation oder dazu, dass das Gespräch komplett beendet wird und niemand mehr etwas sagt. Und gerade beim besinnlichen Weihnachtsfest ist das natürlich nicht das Ziel.

Tipp 2: Offene Fragen stellen

Es brauche, so Schmid, einen empathischen Ansatz für die Unterhaltung. Statt einer impulsiven, vorwurfsvollen Reaktion auf die Aussage des Onkels, solle man offene Fragen stellen, zum Beispiel:

"Was denkst du darüber?"; "Woher hast du diese Information denn?"; "Was löst das in dir aus?"

Das gebe dem Onkel die Möglichkeit, seine Position klarzumachen, ohne sich vorverurteilt zu fühlen, so Schmid. "Man schafft einen Raum, in dem bestimmte Gedanken, Ängste und Emotionen überhaupt geäußert werden können."

Offene Fragen zu stellen, mag zwar einfach klingen, ist in so einer Situation aber nicht immer einfach umzusetzen. "Man muss das wirklich üben und wenn man nur an Weihnachten damit anfängt, ist es wahrscheinlich schon zu spät", sagt Schmid. Daher solle man bereits im Alltag mit Freunden oder Kolleginnen üben, offene Fragen einzusetzen. Diese Übung helfe einem dann in emotionalen Situationen - wie in unserer beispielhaften Unterhaltung mit dem Onkel beim Weihnachtsessen.

Tipp 3: Aktiv zuhören

Im weiteren Verlauf des Gesprächs komme es dann auf das "aktive Zuhören" an, erklärt der Psychologe. Dabei wiederhole man in eigenen Worten nochmal, was der andere auf die offene Frage geantwortet hat - auch wenn das Gesagte falsch ist. Das kann so aussehen:

"Ich verstehe, dass du dich ziemlich für dieses Thema interessierst. Und du bist der Meinung, dass die Impfung nicht sicher ist. Du hast ja echt viel recherchiert und spezifische Sachen dazu gelesen, die dich da bestätigen."

Eine solche Antwort zeige, dass man wirklich zuhört und sein Gegenüber ernst nimmt - Interesse statt Abwehrhaltung also. Damit verschaffe man sich Respekt, so Schmid. Außerdem habe das aktive Zuhören noch einen weiteren Vorteil. Wenn man den Standpunkt des Onkels nochmal in eigenen Worten wiedergibt, erlaubt das wiederum eine Reflexion auf der anderen Seite, sagt Psychologe Schmid.

"Manchmal sind die Dinge, die man sagt, so absurd, dass, wenn jemand anders sie wiederholt, man zurückrudert und sagt: 'Also so habe ich das jetzt nicht gemeint, das war vielleicht etwas übertrieben, was ich tatsächlich meine ist Folgendes…'." Dadurch gelange man dann häufig an den Kern der Sache, so Schmid.

Der Psychologe sagt: "Das ist gerade für Leute, die sich selbst gut auskennen, häufig schwierig. Aber es geht darum, mit Empathie zu verstehen, wie der andere zu seinem Schluss gekommen ist."

Sich durch Empathie und Verständnis Respekt verschaffen

Wenn man den Ursprung dieser Schlussfolgerung verstanden hat, könne man der Person klarmachen, dass man gar nicht so unterschiedlich sei, sagt Schmid. Im Beispiel der Masern-Impfung könnte man sagen:

"Wenn ich diese Beiträge, die du da online gelesen hast, auch gelesen hätte und jetzt keine weiteren Informationen dazu hätte, dann wäre ich zu dem exakt selben Schluss gekommen wie du."

Das schaffe ebenfalls Respekt und stärke das Vertrauen. Erst dann sei der Zeitpunkt gekommen, auch selbst ein Informationsangebot zu machen, sagt Schmid. Man könne dann folgendes anbieten:

"Ich habe mich da auch schon mal mit beschäftigt. Magst du mal hören, was ich dazu denke?"

So entstehe ein Austausch über das Thema auf Augenhöhe.

Tipp 4: Gemeinsam recherchieren und Quellen anschauen

Dabei kann man dann auch gemeinsam die besprochenen Quellen zu dem Thema anschauen. Gerade in den sozialen Netzwerken kursieren viele Falschinformationen, Fakes oder Verkürzungen. Dass gerade dort auch viele zweifelhafte Quellen geteilt werden, ist nicht allen bewusst oder wird nicht von allen erkannt. "Die andere Person zu fragen, wo sie die Information her hat und sich das dann mal gemeinsam anzuschauen und dann eine Hilfestellung anzubieten, kann sehr hilfreich sein", sagt Philipp Schmid.

Hier hat der #Faktenfuchs Tipps gesammelt, wie Sie selbst Fakten prüfen können. Hinweise und Merkmale von Themen, die besonders anfällig für Desinformation sind, finden Sie hier. Weitere Informationen zur Masern-Impfung finden Sie hier.

Wie tief man tatsächlich in die Materie einsteigen kann, hängt für Philipp Schmid dabei aber auch vom Thema ab. Man sollte auch auf der inhaltlichen Ebene versuchen, immer eine Brücke zu den Ansichten des Gegenübers zu schlagen, erklärt Schmid. Wenn jemand etwa moderne Medizin wegen fehlender Nähe zur Natur ablehne, könne man anführen, dass die Medizin zahlreiche Aspekte und Mechanismen von der Natur übernommen hat, sagt Schmid als Beispiel.

Tipp 5: Lange Monologe behutsam unterbrechen

Wie aber mit der Gesprächssituation umgehen, wenn die Ausführungen des Onkels zur Masern-Impfung in einen nicht endenden Monolog ausarten? Wenn man das Gegenüber unterbrechen möchte, sollte man auch das empathisch und nicht konfrontativ tun, so Schmid. Statt vorwurfsvoll abzuwürgen, lieber andeuten, dass man nicht mehr folgen kann:

"Warte mal kurz, ich komme nicht mehr ganz mit. Das ist sehr viel, was du hier präsentierst. Das ist ja auch nachvollziehbar, weil dich dieses Thema anscheinend sehr interessiert. Aber ich würde da gerne nochmal nachfragen, ich bin sonst nicht mehr in der Lage noch zu folgen."

An dieser Stelle könne man dann wieder mit dem aktiven Zuhören einsteigen (Tipp 3). Durch den Einwurf, dass man nicht mehr mitkommt, sende man seinem Gegenüber ein Signal. "Das entwaffnet, weil der andere natürlich möchte, dass das Publikum - in dem Fall die Familie - irgendwie mitkommt", sagt Schmid.

Tipp 6: Im Gespräch Gemeinsamkeiten finden

Wenn sich das Gespräch schwierig gestaltet, etwa weil es um Verschwörungsmythen kreist und das Gegenüber nicht davon abweicht, kann es hilfreich sein, den Fokus des Gesprächs auf einen Teilaspekt oder ein verwandtes Thema zu lenken, für das man sich selbst mehr interessiert.

"Dadurch kann das Gespräch eine ganz andere Wendung nehmen", sagt Psychologe Schmid. Vor allem, weil man häufig merke, dass man doch viel mehr gemeinsam hat und die Differenzen nicht überall bestehen. Das stärke die Beziehung. "Darauf kann man dann aufbauen und auch mit einer ganz anderen Stärke wieder neu die Themen angehen, bei denen man nicht einer Meinung ist. Und man merkt, dass es auch egal ist, wenn man sich mal streitet."

Dennoch müsse man seine eigenen Ansichten nicht vollends herausnehmen, betont Schmid. Gerade wenn es an die eigenen Werte gehe, kann man auch selbst auf das Gespräch zurückkommen und sagen, dass man da anderer Meinung ist, so Schmid. "Nur weil die Festtage sind, bedeutet das nicht, dass man die eigenen Überzeugungen und Werte pausieren muss. Wir sollten nur alle etwas empathischer sein."

Tipp 7: Wenn es hakt: Pausieren und später wieder einsteigen

Wenn man an einem Punkt im Gespräch anlangt, an dem man nicht wirklich weiterkommt oder sich nicht mehr wohl fühlt, dann ist es auch in Ordnung, dies zu kommunizieren, sagt Schmid. Wichtig sei auch hier, das Gespräch nicht konfrontativ zu unterbrechen, sondern zu kommunizieren, dass es für einen selbst schwierig sei, das jetzt weiterzuführen.

Dadurch könne man ein bisschen Raum für sich und das Gegenüber schaffen und sich erstmal sortieren. Zu einem anderen Zeitpunkt könne man dann nochmal das Gespräch suchen und auf das ursprüngliche Thema zurückkommen.

Über Weihnachten hinaus in Kontakt bleiben

Weil Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben oder häufig Falschinformationen konsumieren, sich gerade online häufig in Communitys bewegen, die ihre Ansichten teilen, sei es wichtig, dass man als Familienmitglied einen Gegenpol bietet, sagt Schmid.

"Da die Familie kein selbstgewählter Freundeskreis ist, hat sie noch die Möglichkeit, andere Informationen zu liefern, die einem Weltbild vielleicht nicht mehr entsprechen und es auch herausfordern", so der Psychologe. "Man hat da also eine Funktion und kann tatsächlich die andere Person noch mit Informationen erreichen, die sie vielleicht auf anderem Wege nicht mehr wahrnehmen würde."

Empathie, Deeskalation und Verbundenheit als Kern gelungener Kommunikation

Diese Ratschläge finden sich so oder so ähnlich auch in anderen Publikationen, die Empfehlungen für den Umgang mit verschwörungsgläubigen Freunden oder Angehörigen geben, die Falschinformationen konsumieren. Das "News Literacy Project", eine US-amerikanische gemeinnützige Bildungsorganisation, empfiehlt es, Geduld, Empathie und Hartnäckigkeit im Umgang mit seinen Angehörigen zu üben.

Die Organisation betont ebenfalls die Bedeutung von Angehörigen als vertrauensvolle Personen, die die Betroffenen noch erreichen können. Das betont auch der gemeinnützige "PEN America", ein Autorenverband, der sich für Meinungsfreiheit durch die Förderung von Literatur und Menschenrechten einsetzt. Sich stets in die andere Person hineinzuversetzen und ihre Perspektive nachzuempfinden, auch wenn man widerspricht, sei essentiell.

Um Vertrauen und einen Zugang zu schaffen, könne man auch eine Anekdote erzählen, wie man selbst mal auf eine falsche Behauptung oder ein Gerücht hereingefallen ist und es geglaubt hat.

Verschwörungstheorien: Am Anfang sind Gläubige noch mit Fakten zu erreichen

Gerade wenn jemand noch am Anfang ist, sich hinsichtlich Verschwörungsideologien zu radikalisieren, könne man die Person noch gut mit Faktenchecks erreichen, sagte die Autorin Katharina Nocun 2020 in einem BR-Interview.

Warum Verschwörungstheorien ganze Weltbilder prägen können, wie man sie erkennt und wie man mit Menschen umgehen kann, die daran glauben, hat der #Faktenfuchs hier beleuchtet.

Einige der Tipps gehen - neben dem persönlichen Kontakt - auch explizit auf die digitale Ebene ein, etwa wenn der Onkel seine Behauptungen zur Impfung in der Messenger-Familiengruppe teilt.

Fazit

Damit die Unterhaltung mit einem Familienmitglied, das an Verschwörungsmythen glaubt oder krude Thesen verbreitet, gelingen kann und friedlich bleibt, ist es laut dem Psychologen Philipp Schmid wichtig, empathisch zu kommunizieren. Dabei sollte man keine impulsiven, konfrontativen Antworten geben, sondern stattdessen auf das Gegenüber eingehen.

Durch offene Fragen und aktives Zuhören kann man zeigen, dass man den anderen ernst nimmt. Erst dann sollte man sich auf die faktische Ebene begeben und selbst seine Ansichten teilen und Informationen liefern oder gemeinsam dazu recherchieren. Wenn sich das Gespräch als schwierig gestaltet, sollte nach Gemeinsamkeiten gesucht werden oder die Unterhaltung pausiert und später wieder aufgenommen werden.

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