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Verschwörungstheorien greifen in den letzten Jahren vor allem online um sich

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"Es ist wie eine Sucht": Wie umgehen mit Verschwörungsgläubigen?

Die psychischen Folgen können gravierend sein: Chatgruppen und Websites ziehen immer mehr Menschen in ein Netz aus Verschwörungstheorien. Viele Betroffene können über nichts anderes mehr reden. Und hinterlassen Freunde und Familie ratlos.

Dimitri (Name von der Redaktion geändert) ist 26 und lebt in Bayern. Noch immer erinnert er sich ungern an die Zeit vor ein paar Jahren zurück. “Ich war praktisch immer ängstlich, das ging bis zu Panikattacken. Ich konnte nicht einmal mit Menschen richtig kommunizieren.” Dimitri war von 2016 bis 2017 Mitglied von Verschwörungsforen auf Reddit - unter anderem Pizzagate, dem Vorläufer für die QAnon-Bewegung. “Irgendwann fiel mir auf, dass meine Beteiligung an diesen Verschwörungsgruppen alles schlimmer gemacht hat.” Aber wie schafft man es raus aus diesen Gruppen?

QAnon, Pizzagate, 5G, Impfverschwörung

Spätestens seit der Coronakrise hat sich der Glaube an Verschwörungen fester in der deutschen Gesellschaft verankert. Die gängigsten Mythen: Bill Gates will uns per Corona-Impfung Mikrochips implantieren. Ein satanistischer Kinderporno-Ring um Hillary Clinton und Tom Hanks beherrscht die Welt. Mobilfunk-Anbieter verbreiten mit ihren 5G-Strahlen Corona.

Freunde und Familie wissen oft nicht, wie sie mit den Betroffenen umgehen sollen. Im Online-Forum “QAnon-Casualties” auf Reddit hat sich nun eine Art digitale Selbsthilfegruppe gebildet. “Ich verliere den Mann, den ich liebe, an QAnon” schreibt eine Nutzerin. “Ich fühle mich zuhause nicht mehr sicher.” Ihr Beitrag ist nur einer von hunderten. Menschen berichten davon, wie ihre Partner und Partnerinnen immer gereizt sind und über nichts anderes mehr sprechen können als eine angebliche Weltverschwörung.

Wie geht man mit Verschwörungstheorien in der Familie um?

Aber was soll man machen, wenn ein Freund oder Familienmitglied dabei ist, in den Verschwörungsglauben abzusinken? "Am besten ist sofort reagieren", sagt Katharina Nocun, Autorin und Expertin für Verschwörungstheorien, im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

"Das Schlimmste, was man tun kann, ist einfach schweigen und hoffen, dass es besser wird. Vor allem verpasst man damit einen ganz wichtigen Moment. Denn am Anfang von so einer Radikalisierung sind Menschen noch sehr offen für Faktenchecks. Aber je mehr sich jemand radikalisiert, je mehr jemand beispielsweise von einer großen Presseverschwörung überzeugt ist, desto schwieriger wird es überhaupt, ihn noch dazu zu bringen, andere Quellen zu lesen als das, wo er die jeweiligen Informationen über die angebliche Verschwörung her hat." Katharina Nocun

Gerade am Anfang einer solchen Entwicklung lohnt es sich also noch, die Verschwörungstheorien zu hinterfragen. Und zwar sowohl in Internet-Kommentaren als auch am Weihnachtsfeiertag am Familientisch. “Selbst wenn man das Gefühl hat, ich weiß nicht, wie ich da richtig reagieren soll, zumindest einfach kurz sagen: Ich stimme dem nicht zu, ich sehe das anders”, sagt Katharina Nocun.

Schweigen hilft nicht weiter

Auch Autor und Psychologe Markus Appel von der Universität Würzburg hält Gegenrede für wichtig. "In so einer Kommunikationssituation sitzen ja nicht nur die zwei Leute, sondern auch andere: Der kleine Bruder, die kleine Schwester. Eine Diskussion kann deshalb fruchtbar sein, und zwar auch für die Personen, die drumherum sitzen. Denn oft wird Schweigen gleichgesetzt mit Zustimmung."

Außerdem empfiehlt Appel, die Thesen von Freunden und Familienmitgliedern nicht lächerlich zu machen. Stattdessen solle man die Person freundlich behandeln und individuell auf sie eingehen. Denn durch einen persönlichen Bezug - etwa durch Beruf oder den Bekanntenkreis - kämen Menschen leichter ins Nachdenken.

Viele Verschwörungstheorien funktionieren nur dadurch, dass sie Millionen Menschen pauschal zu Mitverschwörern erklären - Regierungsbeamte, Ärztinnen, Journalisten. Wenn aber zum Beispiel der Schwager des Betroffenen Arzt ist und die Nichte Journalistin, dann lohnt sich die Frage, ob die beiden auch Teil einer großen Corona-Verschwörung sind.

Was, wenn der Glaube zu tief sitzt?

Das Problem ist jedoch: Mit Argumenten kommt man irgendwann nicht mehr weiter. “Wenn man erst richtig tief drin ist, lässt man diese Faktenchecks oder irgendwelche Fakten überhaupt nicht mehr an sich ran”, erzählt Dimitri. Er hat noch vor einigen Jahren selbst viel Zeit in Verschwörungs-Communities verbracht. “Es geht einfach glatt durch dich durch, du blockst diese Information komplett. Es ist als wärst du in einer Sekte und würdest etwas Schlechtes über deinen Anführer hören. Du erkennst es nicht an.”

In der Psychologie spricht man hier vom "Confirmation Bias", erklärt Psychologe Markus Appel. "Das Weltbild bestimmt, wie man Informationen verarbeitet", sagt er. Deshalb kann es auch sehr schwer sein, Menschen vom Verschwörungsglauben abzubringen. Gerade wenn die Personen einem sehr nahe stehen, sei es aber trotzdem den Versuch wert. Man solle dann auch nicht locker lassen: "Steter Tropfen höhlt den Stein", meint Appel.

Gerade Menschen mit wenig sozialen Kontakten verlieren sich leicht im Verschwörungsglauben. “Bildung macht dich dagegen nicht immun”, sagt Dimitri, der früher selbst Teil einer Verschwörungs-Community im Internet war. “Denn deine ganze Bildung existiert auf einmal auf derselben Ebene wie die bösen Verschwörer.” Er vermutet einen psychologischen Effekt auf das Gehirn, der motiviert, immer mehr zu lesen, sich immer tiefer damit zu beschäftigen. “Es ist wie eine Sucht”, sagt Dimitri.

Eine mögliche Lösung: Sich mit Gefühlen nähern

Jemanden aus dieser Sucht zu befreien, ist anstrengend - und nicht jeder hat die Kraft dafür. Aber: “Ich glaube, am effektivsten ist es, die Leute zur Selbstreflexion zu bringen”, sagt Dimitri. “Man kann so tun, als würde man nach den Theorien fragen, aber eigentlich fragt man nach den Gefühlen dahinter. Warum glaubst du das? Wie geht es dir damit? Macht es dich glücklich?”

Auch Psychologe Markus Appel hält das für eine gute Idee. "Im engeren Familienkreis kann ich mir das gut vorstellen. Auch dass man darüber reden, wie es einem selbst damit geht." So könne man den Fokus auf die persönliche Beziehung legen.

Dimitri selbst entschied sich Ende 2017, die Reddit-App von seinem Smartphone zu löschen und keine Verschwörungsinhalte mehr zu lesen. Er sagt, er tat das damals nur aus Sorge um seine geistige Gesundheit. Weil er merkte, dass es ihm immer schlechter ging. “Ich habe das Gedankengut damals noch nicht abgelehnt. Ich habe einfach aufgehört, es zu konsumieren. Die Ablehnung kam erst später.”

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