Ein junger Feldhase sitzt am Feldrand (Symbolbild)
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Feldhasen brauchen Säume zum Überleben

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Der Saum in der Landschaft: Mehr als eine Randerscheinung

Säume sind die Übergänge in der Landschaft, also zum Beispiel zwischen Wald und Feld. Sie sind ökologisch besonders wertvoll, weil sie vielen Arten einen Lebensraum bieten und Biotope miteinander vernetzen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Ein Saum ist der Streifen dazwischen: zum Beispiel zwischen Wald und Feld, Feld und Feld oder Feld und Bach. Säume waren früher viel häufiger. Sie wurden in der Vergangenheit platt gemacht, weil sie der Flurbereinigung und den großen Landmaschinen im Weg waren und weil Holz zeitweise als Brennstoff kaum noch gefragt war. Doch Säume sind viel mehr als eine Randerscheinung. Sie sind ein Hotspot der Artenvielfalt und dazu nützlicher als man denkt.

Im Zwischenraum: Viel Platz für seltene Arten

"Säume sind unglaublich vielfältig", sagt Annette Otte, emeritierte Professorin für Landschaftsökologie an der Universität Gießen. Ein Saum, das kann der nur einen Meter breite Streifen zwischen zwei Äckern sein, das kann eine Hecke sein und damit kann zum Beispiel auch der Übergang zwischen Acker und Hecke gemeint sein. In dem Saum zwischen Acker und Hecke können die Pflanzenarten leben, die im Acker daheim sind sowie die Arten, die in der Hecke wohnen. "Und dann kommen eben noch Arten hinzu, die saumtypisch sind, die eigentlich immer den Schutz von einer Hecke von einem Wald benötigen, um wachsen zu können." Im Saum leben auch viele spezialisierte Tierarten. Denn der Saum bietet auf engstem Raum ein großes Gefälle von Wärme und Kühle, Trockenheit und Schatten. Je nach Witterung kann ein Tier dann weiter raus oder weiter rein wandern, je nachdem, ob es gerade ein paar Grad mehr oder weniger, mehr Luftfeuchtigkeit oder weniger braucht. In Säumen findet man unter anderem besonders viele Spinnenarten, Wildbienen und zum Beispiel Tagfalter.

Der Saum: Lebensader in der Landschaft

Der Feldhase richtet im Saum seine Kinderstube ein. Auch Rebhuhn, Wildbienen und andere bedrohte Tiere können in unserer Landschaft nur überleben, wenn es genug Säume gibt. Denn diese Arten haben keine großen Reichweiten, kommen nicht von einer Gehölzinsel zur anderen, wenn dazwischen ein paar hundert Meter Acker liegen. Der Saum als lineares, also streifenförmiges Landschaftselement kann die Biotope verbinden oder zumindest die Distanzen verkürzen. Darüber hinaus wachsen hier viele Blütenpflanzen von Hochstauden wie Kronwicke und Johanniskraut über Gehölze wie Schlehen und Holunder bis hin zu Bäumen wie Mehlbeeren und Wildbirnen. Säume kann man auch als Archiv der Vegetationsgeschichte sehen. Zum Beispiel wenn man in einem sandigen Saum seltene Ginsterarten findet, dann könnte das darauf hinweisen, dass dieser Ginster dort schon sehr lange existiert und früher verbreitet war, sagt Landschaftsökologin Annette Otte. "Das wissen wir ja nicht. Aber wahrscheinlich ist es so, weil wenn man dann in der Umgebung guckt, dann findet man solche Arten an keiner einzigen Stelle mehr." Säume haben also auch eine "Platzhalterfunktion" für seltene Pflanzenarten.

Waldsaum von der Staude bis zur Wildkirsche

Ein Saum zwischen zwei Felder kann unter Umständen lediglich aus einem schmalen Streifen von nicht verholzten Hochstauden bestehen. Ein richtiger Waldsaum dagegen hat 15 Meter bis 30 Meter Tiefe. Denn er ist mehrstufig, fängt mit Stauden und niederen Sträuchern an, geht über höhere Sträucher über zu niedrigen Bäumen wie Mehlbeere, Wildkirsche und Wildbirne. Diese lichtliebenden Baumarten sind inzwischen auch selten. Waldsäume bieten fast alles: Nektar, Pollen, Früchte, Unterschlupf, Äste und Stiele, an denen Insekteneier überwintern können, sichere Brutplätze.

Schutz vor Sturmschäden

Ein ordentlicher Waldsaum schützt darüber hinaus den Wald, erklärt Waldbau-Experte Christian Ammer. Insbesondere bei Wäldern, die in Richtung Westen exponiert sind, habe man festgestellt, „dass meistens die Schäden, die Stürme verursachen, nicht so groß sind, wenn der Wind langsam aufgleiten kann über so einen Waldsaum“. Träfe der Wind dagegen auf eine fast senkrechte Wand, wenn das Feld ohne Übergang an hohe Bäume angrenzt „dann kommts halt relativ schnell zu Schäden“. Ein Waldsaum hat also ökologische und ökonomische Vorteile. Deswegen sollte jeder Waldbesitzer, jede Waldbesitzerin bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit Waldsäume anlegen, rät Christian Ammer. Zum Beispiel bei einem Wald, der 120, 150 Jahre alt ist, „wenn man da an die Verjüngung denkt und die dann einleitet, dass man dann auch schon mitbedenkt, diesen Waldrand, wenns ihn nicht schon gibt, zu etablieren“.

Saumpflicht am Bach

An Gewässern muss ein Saum sein – bayerische Landwirte müssen in Folge des Artenschutzvolksbegehrens inzwischen in der Regel fünf Meter Abstand halten zu einem Bach und dürfen den Streifen nicht bebauen und nicht düngen. „Glücklicherweise ist diese Erkenntnis inzwischen überall durchgedrungen, auch in Bayern, dass die Gewässerrandstreifen eine wirklich wichtige Funktion haben im Gewässerschutz, im Naturhaushalt und für das Landschaftsbild“ freut sich Professor Jürgen Geist, Gewässerökologe an der Technischen Universität München-Weihenstephan. Immerhin gebe es in allein im Freistaat 100.000 Kilometer Fließgewässer. Die Randstreifen an beiden Seiten könnten die Landschaft vernetzen und Korridore für verschiedene Arten bieten.

Gehölze am Gewässerrand schützen Forellen vor Überhitzung

Und wenn man schon keinen Mais säen, keine Gülle ausbringen darf und vielleicht auch kein Vieh hat, das das Gras vom Randstreifen fressen mag, dann könnte man am Bach auch gleich Gehölze anpflanzen. Heckensträucher und einzelne Bäume am Gewässerrand stabilisieren mit ihren Wurzeln das Ufer, bieten Köcher- und Steinfliegen Nahrung und sorgen für mehr Strukturen im Bachbett. Außerdem beschatten sie im Sommer das Wasser. Gerade in kleineren Gewässern spiele die Beschattung eine ganz wichtige Rolle, sagt Gewässerökologe Jürgen Geist: „Diese kleineren Gewässer würden sich in einer offenen Landschaft sehr stark erwärmen, gerade an sehr heißen Tagen.“ Ein Gehölzsaum könne dazu führen, dass das Wasser um einige Grad kälter sei. Das kann gerade für kälteliebende Arten wie Bachforellen und Äschen, die unter dem Klimawandel leiden, existenziell sein.

Vom Nutzen der Säume: Vom Brennholz bis zum Schlehensirup

Früher haben Säume das Weide-Vieh zusammengehalten. Statt eines Weidezaunes, für den man Holz benötigt hätte, haben die Hecken am Rand der Weiden auch noch Holz geliefert. Und Holunderblüten und Beeren, Schlehen, Besenreisig, Haselnüsse und eben jede Menge Brennholz. Hecken schadet es nicht, wenn man sie alle 15 bis 20 Jahre auf den Stock setzt, also auf einer Höhe von rund 30 Zentimeter abholzt. Wichtig ist dabei allerdings, dass man die Hecke nicht auf ganzer Länge, sondern immer nur abschnittweise abholzt. Damit den Tieren Rückzugsgebiete bleiben. Ein paar Jahre später kann man dann einen anderen Abschnitt auf den Stock setzen. Der Brennholzertrag einer Hecke ist dabei durchaus vergleichbar mit einem Wald.

Mulchgeräte zerstören Saumränder

Der moderne Feind des Saums ist der Schlegelmulcher. Der Schlegelmulcher ist ein Gerät, das man zum Beispiel an den Traktor anbaut und das nicht nur Grasaufwuchs sondern auch kleine Äste, kurz und klein kriegt und auf den Boden schleudert. Der Schlegelmulcher und seine Verwandtschaft kommen immer wieder am Rand von Säumen, also zwischen Sträuchern und Wiese zum Einsatz. Mulchgeräte zerkleinern auch kleine Frösche, Wildbieneneier, Schmetterlingsraupen, Spinnen, Käfermaden, halt alles, was bei den Pflanzen lebt. In der Regel lassen die Maschinen das Pflanzen- und Tiermus dann auf der Fläche liegen, das heißt, die Nährstoffe reichern sich an und die neuen Triebe kommen manchmal kaum durch die Mulchschicht durch.

Bitte nicht stören

Der Schlegelmulcher wird immer noch gern verwendet von Bauhöfen und Straßenmeistereien, unter anderem weil man den Aufwuchs nicht wegfahren muss. Manche Umweltschützer sprechen in dem Zusammenhang von „Vollkatastrophe“, Annette Otte, emeritierte Professorin für Landschaftsökologie formuliert es zurückhaltender: „Schlegel mulchen ist also nicht so prima.“ Das passe nicht zum Saum: „In der Regel ist es so, dass Säume Stellen brauchen, die ungestört sind, damit sie sich also entwickeln und auch entsprechend wachsen können.“ Wenn man beispielsweise Säume zwischen Hecke und Feld pflegen wolle, solle man sie höchstens einmal im Jahr mähen oder alle zwei Jahre einmal. Denn Mähen ist für viele Tierarten, die am Saum leben, schonender als Mulchen. Insbesondere wenn man mit einem Messerbalken mäht.

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