Ein Mann spricht in sein Smartphone.
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Anhand der Stimme lassen sich neben körperlichen Merkmalen wie Alter und Geschlecht auch manche Krankheiten erkennen.

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Depression: Wie Analyse-Apps bei medizinischen Diagnosen helfen

Im Laufe eines Jahres erkranken in Deutschland 5,3 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression. Um Erkrankte zu unterstützen, entwickeln Forschende Analyse-Apps, die Patienten helfen sollen, besser mit der Krankheit umzugehen.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Unsere Stimme verrät viel über uns und unseren Körper. Sie liefert Hinweise auf unser Alter und Geschlecht, auf Körpergröße und -gewicht. Aber auch Erkrankungen verursachen wahrnehmbare Veränderungen der Stimme. Spuren, die diagnostische Hinweise für die Medizin liefern. Bereits seit einigen Jahre erforschen Wissenschaftler mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, welche Unterschiede Krankheiten wie beispielsweise Parkinson in der Stimme hinterlassen. So gelang es dem britischen Forscher Max A. Little, Experte für Maschinelles Lernen an der Universität Birmingham, durch Analyse von Sprachaufnahmen von Parkinson-Patienten zehn Merkmale zu bestimmen, darunter Besonderheiten bei der Atmung und bei Schwingungen in der Tonhöhe und Klangfarbe, die mit 99-prozentiger Genauigkeit an Parkinson Erkrankte identifizieren.

Stimme liefert nützliche Informationen

Inzwischen haben Wissenschaftler durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz eine ganze Reihe von Biomarkern in der Stimme von Patienten für eine Vielzahl von Erkrankungen identifiziert - neben Parkinson unter anderem auch für Alzheimer, Multiple Sklerose, Autismus-Spektrum-Störungen und für Depression. Doch während viele dieser Diagnostik-Methoden noch am Anfang stehen, gibt es bereits einige Smartphone-Apps, die versprechen, anhand einer Sprachaufnahme innerhalb weniger Sekunden eine depressive Erkrankung zu erkennen.

Erkennen Apps Depression?

Unmöglich sei das nicht, sagt Professor Ulrich Hegerl, Leiter der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und früherer Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Denn durch eine Depression verändere sich fast alles im Körper. "Der Schlaf, der Appetit, die Bewegung, der Muskeltonus, die Herzrate für Blutdruck - alles reagiert, weil Depression eine Erkrankung ist, die den gesamten Körper in Mitleidenschaft zieht." Diese Veränderungen bei Patienten könnten nicht nur Fachärztinnen oder Pflegekräfte in psychiatrischen Einrichtungen erkennen, sondern theoretisch auch eine Software, sagt der Mediziner.

Stimme nur ein Baustein der Analyse

Die Parameter, die solche Diagnose-Apps auswerten, sind vielfältig: Wie viele Wörter spricht jemand pro Minute? Spricht jemand monoton oder lebhaft? Wieviel Druck ist auf der Stimme und wie groß ist der Frequenzbereich? Tests zeigen allerdings, dass die Sprachanalyse-Apps mit ihren Diagnosen nicht immer richtig liegen. Ein Grund dafür ist, dass die Apps nicht auf ihren Benutzer hin "geeicht" werden. Erst wenn die App erkennt, wie ein Mensch spricht, wenn er gesund ist, kann sie erkennen, wenn derselbe Mensch davon abweicht.

"Es gibt eine große Varianz zwischen den Menschen. Der eine spricht schon von Haus aus leiser und langsam, und der andere redet wie ein Maschinengewehr. Entscheidend ist aber die Veränderung gegenüber dieser Grundlinie", sagt Ulrich Hegerl. Die Spracherkennungs-Apps würden aber nur ein Muster erkennen, das viele depressive Menschen aufweisen, das sei problematisch. Es gehe nicht um den Durchschnitt aller Depressiven und wie sie klängen, sondern um die Einzelperson und was sich in deren Stimme verändere. Die Stimme, sagt Hegerl, könne daher nur ein Baustein bei der Analyse sein.

Komplexe Symptome bei Depression

Da die Symptomatik von depressiven Menschen sehr komplex ist, arbeitet der Leiter der Deutschen Depressionshilfe gemeinsam mit einem Team von Forschenden an der Universität Leipzig an einem System, das Betroffenen hilft, ihre individuelle Situation besser zu kontrollieren. Mit dem Smartphone lasse sich dabei viel mehr auswerten, was auf Depression hinweise als nur die Stimme, sagt Hegerl.

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt STEADY (Sensorbasiertes System zur Therapieunterstützung und Management von Depressionen) entwickeln Wissenschaftler derzeit eine App für das Smartphone, die über Sensoren weitgehend selbstständig Bio- und Verhaltensdaten der Betroffenen sammelt. Die Erkrankten ergänzen ihre Daten um regelmäßige Selbsteinschätzungen ihrer Stimmungslage sowie Angaben zu Tagesaktivitäten, Schlafqualität oder Medikamenteneinnahme. Über einen längeren Zeitraum lernen die Algorithmen der App die Situation der Betroffenen so immer besser kennen.

Warnung vor depressiven Schüben

Zusammengenommen, so Hegerl, könnten diese Daten depressiven Menschen helfen, sich selbst besser einzuschätzen. Kündigt sich ein depressiver Schub an oder bin ich auf dem Weg der Besserung? Bis diese App aber auf den Markt kommt, müsse sie noch eine langwierige Zulassung durchlaufen, da sie hochsensible Daten sammele. "Unser Ansatz ist, dass der Patient Herr über seine Daten ist. Und der Patient soll entscheiden, mit wem die Daten sonst geteilt werden", erklärt Hegerl. Ziel sei es, dass die App wie ein Begleiter für Depressive funktioniere, vergleichbar zu einem Insulin-Messgerät bei Diabetikern. So erkenne das System gegebenenfalls Zusammenhänge und Muster in den Daten und könne die Betroffenen auf individuelle Frühwarnsignale hinweisen.

Ein an einer Depression Erkrankter kann die Daten zum einen selbst nutzen, um genauer als über reine Selbstwahrnehmung auf Veränderungen seiner Symptome aufmerksam zu werden. Zusätzlich stellen die Daten für den behandelnden Therapeuten oder Arzt eine wertvolle Informationsquelle zu Verhalten und Physiologie dar, die allein durch eine medizinische Untersuchung und durch die Selbstauskunft der Betroffenen nicht erhoben werden kann.

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