Psychologische Helfer im Gespräch (Symbolbild).
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Helfen in der Krise: Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit

Gerade dort, wo Hilfe am nötigsten wäre, ist das Angebot knapp: Bei psychischen Krisen gibt es selten schnell einen Therapieplatz. Der Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit will präventiv wirken und Sichtbarkeit schaffen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Etwa jeder fünfte Heranwachsende hat psychische Auffälligkeiten und mehr als jeder vierte Erwachsene zeigt im Laufe eines Jahres Anzeichen einer psychischen Störung. Letztere sind mittlerweile die zweithäufigste Ursache für Krankschreibungen und der häufigste Grund für krankheitsbedingte Frühverrentungen.

Was ein seelischer Ersthelfer leisten kann

Diesen Tatsachen, nachzulesen im bayerischen Psychiatrie-Bericht, will der Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit entgegenwirken. Der seelische Ersthelfer soll Menschen mit psychischen Krankheiten begleiten und vor allem frühzeitig Mut machen, professionelle Hilfe aufzusuchen.

Um 9.30 Uhr startet der zweitägige Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit in Neuburg an der Donau. Das Thema ist nicht gerade leichte Kost. Die acht Teilnehmenden, die um einen U-förmigen Tisch sitzen, schauen gebannt nach vorne. Es ist eine bunt gemischte Truppe im Alter von Ende zwanzig bis Anfang 60, vom ehrenamtlichen Seelsorger bis hin zum Ingenieur.

Kursinhalte: Vorträge, Filme, Gruppenarbeiten, Rollenspiele

Wichtig ist der Sozialpädagogin und Kursleiterin Iris Raba, dass die Teilnehmenden ein Gefühl für die verschiedenen psychischen Krankheitsbilder bekommen. Deshalb sehen die Teilnehmenden zunächst Filme von und über Menschen mit Depressionen, Psychosen und Suchterkrankungen. Nach dem Theorieteil geht es aber vor allem viel ums Üben, beispielhaft nachgestellt mithilfe von Rollenspielen in Gesprächssituationen.

Warum man psychischer Ersthelfer werden will

Die Gründe, warum jemand am Kurs teilnimmt, sind sehr unterschiedlich. Einige haben Menschen mit Depressionen im nahen Umfeld. Andere sind etwa Abteilungsleiter und haben schon Suizide bei eigenen Mitarbeitenden erlebt. Ein paar der Teilnehmenden sind selbst als Seelsorger tätig, andere einfach interessiert.

"Bei mir ist es im beruflichen Kontext zuletzt tatsächlich öfter so gewesen, dass wir schon vermehrt gerade mit jungen Leuten zu tun hatten, die irgendwie in einer psychischen Ausnahmesituation waren", erzählt die 28-jährige Kursteilnehmerin Marina. Kursteilnehmer Oliver sagt: "Da ich Teamverantwortung habe und vor zwei Jahren ein Schicksalsschlag in der Filiale hatte, möchte ich mich schulen. Eine Mitarbeiterin hat sich das Leben genommen. Keiner hat es kommen sehen, selbst die Familie nicht und wir als Team auch nicht", berichtet der 40-Jährige.

Akute Krise und Auslöser

Generell unterscheiden die Fachleute zwischen akuten Krisen und langfristigen "Nichtkrisen-Situationen". Es gibt sehr vieles, das eine psychische Erkrankung auslösen kann. Das wird den Teilnehmenden bewusst, als sie körperliche, soziale und psychische Faktoren in Kleingruppen auf Blättern notieren.

Von Trennung bis hin zu "nicht-zufrieden mit dem Äußeren" können die Gründe, die psychische Krankheiten befördern, vielfältig sein. Neben Wissen zu Krankheitsbildern wie Depressionen, Angststörungen und Psychosen soll vor allem der Dialog zwischen denen, die helfen und denen, die Hilfe brauchen, trainiert werden.

Wie erkenne ich eine Krise und wann helfe ich?

Die Signale für Anfänge einer psychischen Krise sind oft schwer von Außen zu erkennen. Generell sei sozialer Rückzug ein Indikator, erklärt Kursleiterin Iris Raba. Auch Anspielungen oder auffällig viele Fehlzeiten in der Arbeit könnten Hinweise auf den Anfang einer psychischen Erkrankung geben.

Beim Ersthelfer für psychische Gesundheit gilt, genauso wie beim "körperlichen Ersthelfer": Helfen können nur die, deren eigene Sicherheit nicht gefährdet ist. Beispielsweise bei Suchtkranken, die gewalttätig sind, sollten die Ersthelfer zusätzlich die Polizei rufen. Auch der Krisendienst Bayern ist in solchen Fällen eine gute Anlaufstelle.

Angepasste Gesprächsführung

Der Fokus des Kurses liegt vor allem auf der Gesprächsführung. Hier wird ein einfaches Handlungsprinzip als Leitfaden für Ersthelfer-Gespräche vermittelt. Dabei liegt der Fokus auf angemessener Reaktion und Kommunikation, Weitergabe von Informationen, die den Betroffenen helfen sollen und der Unterstützung, professionelle Hilfe zu finden und zu sehen, welche weiteren Ressourcen hilfreich sein könnten. Wichtig sei auch zu beachten, das man das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt in einer vielleicht angenehmeren Umgebung noch einmal führen sollte, wenn die Person noch nicht bereit dafür war.

Ersthelfer sind keine Therapeuten

Der MHFA-Ersthelfer-Kurs arbeitet immer wieder mit aktualisierten Studien. Die Kurse werden deutschlandweit mehrmals im Monat angeboten, auch online. MHFA steht für Mental Health First Aid – eine Bildungsinitiative, die ihren Ursprung vor rund 20 Jahren in Australien fand. Seit vier Jahren gibt es die Kurse in ganz Deutschland. Die Ersthelfer sind keine Therapeuten oder Therapeutinnen, sie können aber Begleiter sein auf dem Weg zur Therapie. Dennoch müssen sie sich aber klar abgrenzen.

Eigene Ressourcen aufladen unabdingbar

Die eigenen Grenzen zu kennen sei für einen seelischen Ersthelfer essenziell, sagt Iris Raba: "Solche Gespräche zu führen sind sehr anstrengend und eine Herausforderung. Teilweise geht es auch um existenzielle Themen, die einem selber an die Nieren gehen."

Deswegen sei es umso wichtiger, nach solchen Gesprächen gezielt etwas zu tun, um seinen Akku wieder aufzuladen. Etwa etwas Schönes mit Freunden machen, sich etwas kochen, Sport treiben oder die eigene Lieblingsserie gucken - je nachdem, was man gerne macht. All das könne den Helfenden helfen.

Psychische Erkrankungen: Sehr gut heilbar

Die Kursteilnehmenden zeigen sich erstaunt darüber, was man tatsächlich doch alles mit entsprechender Sensibilität bewirken kann. Die wichtigste Botschaft des Kurses ist es, dass, wenn Menschen frühzeitig ihre psychischen Probleme angehen, die Chancen sehr gut stehen, zu genesen und wieder ein erfülltes Leben zu führen.

Nach dem letzten Kapitel "Suchtmittel" ist der Ersthelfer-Kurs zu Ende, die Prüfung können die Teilnehmer an einem anderen Tag absolvieren. Jetzt dürfen sie erstmal Self-Care betreiben und sich etwas Gutes tun.

Was der Kurs bei den Teilnehmenden bewirkt

Auf die Frage, ob sie jetzt tatsächlich bereit sind, psychische Erste-Hilfe zu leisten, kommen unterschiedliche Antworten. "Es war schon wirklich anstrengend, weil man ja in den Themen nicht so drin ist", sagt Kursteilnehmerin Marina. Und der 30-jährige Thomas ergänzt: "Ich hoffe, dass die Hemmschwelle, Leute anzusprechen, durch den Kurs niedriger geworden ist. Die Struktur hilft mir auf jeden Fall schon mal, in schwierige Gespräche zu gehen".

Anlaufstellen und Ausblick

Für Personen in einer psychischen Krise gibt es verschiedene Anlaufstellen. In Oberbayern gibt es beispielsweise allgemeine Beratungsstellen wie die SPDi-Ingolstadt oder auch die Suchtberatungsstelle Neuburg-Schrobenhausen und die Beratungsstelle für Angehörige psychisch Kranker, die ApK Ingolstadt e.V. Außerdem ist für persönliche Krisen die Telefonseelsorge für anonyme Hilfesuchende erreichbar – rund um die Uhr unter 0800 1110111 oder 0800 1110222.

Bildrechte: BR/ Meike Föckersperger
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MHFA Ersthelfer Kurs: Auf der Tafel werden mögliche Auslöser für psychische Erkrankungen aufgelistet.

Dieser Artikel ist erstmals am 05.09.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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