Mit der Erfindung der Atombombe änderten sich die Spielregeln auf dem Schachbrett der Weltmächte. Ihr Vernichtungspotenzial könnte zum Weltuntergang führen, ihr Abschreckungspotential jedoch auch zu Frieden. Ist die Atombombe Fluch oder Segen?
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Atombombe: Rettung oder Untergang für die Menschheit? #Oppenheimer | Possoch klärt | BR24

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Atomwaffen: "Unberechenbarkeit gehört zur Abschreckung"

Mit der Erfindung der Atombombe änderten sich die Spielregeln auf dem Schachbrett der Weltmächte. Ihr Vernichtungspotenzial könnte zum Weltuntergang führen, ihr Abschreckungspotenzial jedoch auch zu Frieden. Ist die Atombombe Fluch oder Segen?

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Christopher Nolans neuester Kinofilm "Oppenheimer" thematisiert die Erfindung der Atombombe. Sie sollte die Geschichte der Menschheit für immer verändern. Die Frage dabei ist nur: Zum Guten oder zum Schlechten? Ist die Atombombe in Form der Abschreckungswaffe, ein Garant für Frieden? Oder ist sie eine Waffe, mit der sich die Menschheit früher oder später selber vernichten wird?

Nukleare Abschreckung funktioniert nur mit "Quäntchen Verrücktheit"

Verteidigungsexperte Christian Mölling schätzt den militärischen Nutzen einer Atomwaffe als extrem gering ein. Die Zerstörungswirkung beim Einsatz kleinerer Atomwaffen im Gefecht könne mittlerweile auch mit konventionellen Präzisionsraketen erreicht werden. Viel wichtiger sei der politische sowie psychologische Nutzen der Waffe. Das hätte auch jüngst Wladimir Putins Drohungen im Ukraine-Krieg, die die Entscheidungen des Westens beeinflussen, verdeutlicht. "Es ist eine Erpressungswaffe", erklärt Mölling.

Entscheidend sei die Unberechenbarkeit eines Nuklearwaffenstaates, so der Sicherheitsexperte. Wenn ein Staat mit seinen Atomwaffen hundertprozentig berechenbar wäre, hätte er verloren. "Sie müssen […] ein Quäntchen Verrücktheit haben, man muss es ihnen zutrauen, dass sie trotz aller Rationalität, die gegen den Einsatz spricht, sie es möglicherweise dennoch tun", sagt Mölling.

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Die Angst wird bleiben

Insgesamt neun Staaten sind heute im Besitz von Atomwaffen: Russland, die USA, China, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Dem Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge existieren weltweit 12.512 Atomsprengköpfe, 9576 davon seien einsatzbereit. Es ist eine Vernichtungskraft, die die Erde in kürzester Zeit zerstören könnte. Die Angst vor einem durch einen Nuklearkrieg herbeigeführten Weltuntergang, sie wird die Menschheit wohl für immer begleiten.

"Das Wissen über die Waffen ist da, das kriegen wir nicht mehr aus den Büchern und auch nicht mehr aus dem Internet." Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Gefahr eines Atomkriegs auch im 21. Jahrhundert

In Zeiten des Kalten Kriegs standen die Atommächte USA und Sowjetunion manchmal kurz vor einem nuklearen Krieg. Die Bedrohung war real, ist jedoch mit dem Ende der Sowjetunion vorerst verschwunden. Heute schauen wir auf Putins Atom-Drohungen, doch die größere Gefahr einer Eskalation liegt woanders. Laut Gerhard Mangott, Professor für internationale Beziehungen und Sicherheitsforschung an der Universität Innsbruck, birgt vor allem der Konflikt zwischen Indien und Pakistan die Gefahr eines Atomkriegs. Der Umstand, dass Pakistan konventionell der indischen Armee unterlegen sei, könne dazu führen, dass Pakistan die Atombombe verwende, um für ausgeglichene Verhältnisse zu sorgen, erklärt Mangott.

Auswirkungen eines Nuklearkriegs treffen jeden

Dylan Spaulding, Physiker und leitender Wissenschaftler im Global Security Program der Union of Concerned Scientists, warnt vor den globalen Auswirkungen einer nuklearen Konfrontation zweier Atommächte. "Ich denke, was viele Menschen nicht realisieren: Selbst wenn eine solche Waffe auf der anderen Seite der Erde benutzt wird, die Auswirkungen treffen dich trotzdem", so Spaulding. Die Folgen wären weltweite Finanzschocks, gestörte Lieferketten, auch von Nahrungsmitteln, und Flüchtlingsbewegungen, die vor der Strahlung fliehen. Weder die Ausbreitung des radioaktiven Niederschlags noch die Dauer all dieser Folgen könnten in irgendeiner Weise gelenkt oder aufgehalten werden. Deshalb beurteilt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz die Atombombe auch als schrecklichste Waffe, "die jemals erfunden wurde."

Atomwaffe bringt "Prestige und Status"

Obwohl der Erwerb von Nuklearwaffen seit 1968 durch den Atomwaffensperrvertrag verboten ist, wollen womöglich noch mehr Staaten wie der Iran oder Saudi-Arabien zur Atommacht aufsteigen. Der Grund für Mangott: Prestige und Status gegenüber anderen Nuklearstaaten, aber auch im eigenen Land. In Nordkorea zeige die Kim-Dynastie so der Bevölkerung, wie leistungsfähig der Staat unter der Führung der Erbdynastie sei. Dies führe zur Regime-Stabilität.

Das Prinzip der nuklearen Abschreckung führte Theoretiker im Fach internationale Beziehungen auch dazu, die These aufzustellen: Je mehr Nuklearwaffenstaaten, desto mehr Abschreckung und desto mehr Frieden. Diese These ignoriert laut Mangott jedoch die Möglichkeit, dass auch nukleare Unfälle oder Fehlkalkulationen zu einer Atom-Katastrophe führen können. "Je mehr Nuklearwaffenstaaten es gibt, umso größer wird dieses Unfallrisiko", erklärt der Politikwissenschaftler.

"Ausreichende Anzahl russischer Sprengköpfe einsatzbereit"

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine diskutieren Expertinnen und Experten darüber, ob Putin eine Atombombe einsetzen könnte. Christian Mölling, Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, geht davon aus, "dass eine ausreichende Anzahl an russischen Sprengköpfen einsatzbereit ist und dass Russland auch sicherstellt, dass die USA und andere das wissen."

"Es gibt keinen guten Schutz gegen Nuklearwaffen"

Dylan Spaulding sagt, es gebe "keinen guten Schutz gegen Nuklearwaffen". So würden zwar Raketenabwehrsysteme existieren, die heranfliegende Nuklearraketen abfangen sollen. Doch hätten sich diese Systeme als ineffektiv herausgestellt und in Tests schlecht abgeschnitten. "Es gibt nur sehr wenig Schutz, den ein Land gegen einen tatsächlichen nuklearen Angriff auffahren kann. Und schon ein kleiner Angriff könnte für ein Land verheerend sein, je nach Ziel", sagt Spaulding.

Nuklearwaffen: "Ein Fluch mit dem wir leben müssen"

Die Erfindung der Atombombe kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Auch deshalb urteilt Christian Mölling, dass die Nuklearwaffe ein Fluch sei, mit dem wir leben müssten. "Selbst, wenn wir alle abgerüstet hätten, würde der Erstbeste versuchen, diese Waffen wieder zu haben." Man könne "nur hoffen, dass sich alle so gut wie möglich bewusst sind, was die Verantwortung ist, die man mit diesen Waffen hat", sagt Mölling.

Politikwissenschaftler Gerhard Mangott betrachtet die Atombombe hingegen als "Segen unter sehr großen Anführungszeichen". Durch die Abschreckungswirkung habe die Wahrscheinlichkeit, dass Nuklearwaffenstaaten eine militärische Konfrontation beginnen, abgenommen. "Viele sagen, der lange Frieden [in Europa] seit 1945 bis zum russischen Krieg gegen die Ukraine sei auch durch die Abschreckung durch Nuklearwaffen garantiert worden. Und dem muss man, jedenfalls tue ich das, beipflichten".

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